
Concept Stores: Die talentiertesten Shop-Kuratoren
Concept Stores Das Schaufenster als Bühne
Einzelne Teedosen stehen im Regal wie kostbare Kunstwerke. Der Boden glänzt weiß, die Wände sind weiß oder grau. Der Look im Laden "Paper and Tea" ist eine Mischung aus Industrial und Museum. Auf einem rechteckigen Tisch: Schalen mit Proben von Oolong und Darjeeling, auf der Mittelachse stehen schwarze Teekannen. Stillleben aus Symmetrien in einer ehemaligen Schuhmacherei in Berlin Charlottenburg. "Viele Teeläden sehen heute noch aus wie Kolonialwarenhändler: vorne die Verkaufstheke, dahinter Dutzende Dosen", sagt Jens de Gruyter. "Ich wollte Tee für Kunden kommunizieren."
De Gruyter betreibt zwei Teehandlungen in Berlin. Die Inspiration dazu hat er aus New York. In Manhattan trank er einmal japanischen Grüntee: im "Wild Lily Tearoom", damals ein Geheimtipp. Rechts und links die roten Backsteinfassaden, ein paar hundert Meter weiter die sechsspurige 11th Avenue. 15 Dollar kostete der Aufguss. "Nach einer Stunde im Teehaus wusste ich warum", erinnert sich de Gruyter. "An diesem Ort habe ich zum ersten Mal Tee als Kultur verstanden." Seinen Job als Fotograf schmiss er hin.
Mit seinem Laden "Paper and Tea" liegt de Gruyter im Trend sogenannter Concept Stores. "Ein Verkäufer kann seine Waren heute nicht einfach auf einen Tisch legen und sagen: Kauft das!" sagt Markenberaterin Lucy Johnston. "Besonders teure Artikel brauchen eine gute Story. Sie müssen für Kunden spürbar werden." Für ihren Buchtitel "The Creative Shopkeeper" suchte Johnston nach solchen Geschichten in Europa, Kanada, Japan, Australien.
In Brisbane traf sie auf einen Händler, der per Wohnwagen Flohmarktartikel an den Highways von Queensland verkaufte. In Tokio: eine Untergrundszene von Modeläden, die versteckt in Hinterhöfen von Mundpropaganda lebte. "In Europa erfüllt ein und derselbe Verkaufsraum oft unterschiedliche Zwecke", sagt Johnston. "Dort gibt es dann zum Beispiel nicht nur Modeartikel sondern auch Essen und Entertainment-Programm."
Bei "Paper and Tea" fand Johnston regelmäßige Teeverkostungen, in der chinesischen Tradition des Gongfu Cha. Mitarbeiter gossen Proben von Oolong in eierbechergroße Schalen. "Concept Stores sind nicht einfach nur Verkaufshallen", sagt Johnston. "Die Kunden erwarten dort ein sinnliches Erlebnis, mit authentischen Verkäufern, die etwas von ihrer eigenen Persönlichkeit hineinstecken."

Concept Stores: Die talentiertesten Shop-Kuratoren
Die Grenzen zwischen Persönlichkeit und Show verwischen bisweilen: Die beiden Modedesignerinnen Desiree Heiss und Ines Kaag öffneten ihren Laden "Bless Home" in einer Mietwohnung in einem Berliner Hinterhaus. Wer hinein will, der klingelt. Auf dem Kühlschrank liegen Sonnenbrillen, daneben ein Brettchen mit ungeschnittenen Zwiebeln. Am Badewannenrand hängen mehrere trockene Bikinis. Über dem Waschbecken im Badezimmer steht ein Becher mit Zahnbürste, wahrscheinlich benutzt von Bert Houbrechts. Seit einem Jahr lebt er in der Wohnung - und verkauft hier nahezu alles, sogar das Bett und die Socken auf dem Boden. "Ich schlafe hier, ich esse hier", sagt Bert Houbrechts. "Dazwischen erkläre ich den Kunden die Kollektion." Pro Tag kämen vier oder fünf Kunden. Am Samstag manchmal mehr.
Vier oder fünf Kunden am Tag, lohnt sich das überhaupt? "Oft dienen Concept Stores nur dazu, den Kunden Appetit zu machen", sagt Johnston. "Die Produkte sind dafür eher hochpreisig." Die Verkäufe finden häufig hinterher in den zugehörigen Onlineshops statt. Concept Stores erfüllen dann laut Johnston eine ähnliche Funktion wie Flagshipstores von Großfirmen: "Die Flächen dienen nicht nur dem Verkauf, sondern vor allem dem Image und der Werbung."
Regale werden zu Galerien, Produkte zu Ausstellungsobjekten
Auch bei "Bless Home" läuft ein Großteil des Umsatzes digital. Ebenso bei "Paper and Tea". In den Laden kommen Besucher aus Berlin, Großbritannien, Brasilien. "Im Laden holen sich viele Leute Inspiration", sagt de Gruyter. "Wenn sie uns einmal gesehen haben, dann kaufen sie Produkte auch von Zuhause." Regale werden zu Galerien, Produkte zu Ausstellungsobjekten.
"Raum ist der größte Luxus", sagt Concept Store-Gründer Andreas Murkudis. 15 Jahre lang war er Geschäftsführer des Berliner Designmuseums Museum der Dinge. 2011 öffnete er seinen "Store 81" in einem Hinterhof an der Potsdamer Straße. Ein früheres Druckereigebäude stand leer. Die Maße: 24 mal 20 mal 8,50 Meter. "Perfekte Proportionen", sagt Murkudis. "Die Halle ist hoch, wirkt aber nicht furchterregend. Fast wie ein Zuhause."
Architekten schlugen ihm vor, eine zusätzliche Ebene einzuziehen. Murkudis lehnte ab. "Nur so bekommt jedes Produkt seinen Raum und kann wirken" sagt er. In der Hallenmitte thront auf einer Insel eine Dose mit Schuhcreme, daneben ein Paar Freizeitschuhe von Birckenstock. An symmetrisch arrangierten Kleiderständern hängen seltene Designerstücke der Marke Tonello. Manche seit Monaten. "Ich gönn mir den Luxus, nur das zu verkaufen, was mir gefällt", sagt Murkudis. "Auch wenn einzelne Produkte zum Ladenhüter werden: Der Umsatz stimmt." 2017 wird sein erfolgreichstes Jahr, sagt er.
Preisabfragezeitpunkt
05.06.2023 18.20 Uhr
Keine Gewähr
Nicht alle Concept Stores funktionieren dauerhaft. Anfang 2017 machte das Berliner Art und Fashion House "Quartier 206" dicht, wenig später der Luxus-Modeladen "Poole" in München. Auch das große Vorbild, der legendäre Pariser Concept Store "Colette", wird im Dezember 2017 schließen. Selbst der "Wild Lily Tearoom" in New York existiert nicht mehr. Zu den Gründen zählen steigende Mieten und Konkurrenz durch Onlinehandel.
Andreas Murkudis hat trotzdem keinen Onlineshop. "Ich will keine Nymphenburg-Vasen durch die Welt schicken", sagt er. "Man muss hinter den Konzepten einen Menschen spüren. Erst wenn die Leidenschaft nicht mehr da ist, verliert auch der Laden an Attraktivität."