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Jessica Jungbauer

Coronakrise im Gastgewerbe "Die große Herausforderung wird sein, nicht zu verzweifeln"

Die Gastrobranche gehört zu den Bereichen, die besonders unter der Coronakrise leiden. Mit neuen Geschäftsmodellen halten die Betroffenen ihre Läden am Laufen - Ausgang ungewiss. Vier Beispiele.
Von Jessica Jungbauer

Rund zweieinhalb Millionen Menschen arbeiten in Deutschland im Gastgewerbe. Was bedeutet das Coronavirus für ihre Branche? Gespräche mit Gastronominnen und Gastronomen aus Deutschland zeigen: Das kleine Nachbarschaftsrestaurant ist genauso betroffen wie ein großes Ferienhotel mit Ausflugsrestaurant. Das Café um die Ecke leidet ebenso wie der hippe Szenetreff oder ein Sterneladen. Doch noch etwas haben die Betroffenen gemein: Sie alle stemmen sich gegen die Folgen der Coronakrise, jeder versucht auf seine Art, den Laden irgendwie am Laufen zu halten. 

Max Strohe, Koch des Sternerestaurants Tulus Lotrek in Berlin und Initiator von #kochenfürhelden

Foto: René Riis

"Meine Partnerin Ilona Scholl und ich haben die Coronakrise schon länger mit Bangen verfolgt. Als sie dann Deutschland erreichte, haben wir früh entschieden, das Restaurant zu schließen - zum Schutz unserer Mitarbeiter und von uns selbst. Wir hatten gehofft, dass die Regierung uns diese Entscheidung abnimmt. Also viel früher, als das jetzt seit dem 23. März für alle Restaurants gilt. Denn eine Regelung wie eineinhalb Meter Abstand zwischen den Tischen bewahrt unser Personal nicht vor einer Ansteckung. Die können ja aus dieser Entfernung keinen Wein einschenken oder Speisen servieren. Unsere Mitarbeiter mussten wir dann wie viele andere in Kurzarbeit schicken.

Danach waren wir die ersten drei Tage zu Hause – voller Tatendrang, nichts zu tun. Uns war schnell klar, die große Herausforderung wird sein, daran moralisch nicht zu verzweifeln oder in Panik auszubrechen. Wir wollten also etwas unternehmen, und von unserem Lieferanten wussten wir, dass er Ware verschenkt, weil die Abnehmer fehlen. Das war so viel, dass wir damit Menschen bekochen wollten, die in sogenannten systemrelevanten Berufen arbeiten und für die Homeoffice keine Option ist, wie etwa Ärztinnen und Ärzte oder Pflegekräfte.

Innerhalb von zwei Tagen ging das dann durch die Decke, alles über Facebook und Instagram. Wir machen das ehrenamtlich und weiten das jetzt unter dem Hashtag #kochenfürhelden aus. Immer mehr Städte machen mit, weswegen wir es nun dezentral organisieren: Auf der Homepage wird den Restaurants jeweils ein Held oder ein Zweck zugeteilt, um den sie sich kümmern können. Bei uns gibt es Hausmannskost für Selbstabholer aus Kliniken. Mittlerweile liefern wir aber auch. So kontaktarm es eben geht: Der Fahrer trägt Schutzhandschuhe und stellt das Essen vor die Tür.

Die Arbeit lenkt uns auch davon ab, dass wir womöglich finanziell ruiniert sind. Statt darüber nachzudenken, tragen wir lieber unseren Teil bei. Unser Vermieter unterstützt uns glücklicherweise und meinte, wir müssten erst mal keine Miete bezahlen. Wir hoffen natürlich trotzdem auf ein baldiges Ende der Krise. Länger als drei Monate können wir das vermutlich nicht durchhalten."

Viktoria Fuchs, Köchin und Inhaberin, Romantik-Hotel Spielweg in Münstertal

Foto: Sebastian Fuchs

"Wir sind ein Familienunternehmen in der sechsten Generation. Während der ruhigeren Wintersaison hatten viele Mitarbeiter Urlaub und wir haben etwas umgebaut. Jetzt hätte eigentlich die Frühjahrssaison beginnen sollen: Ostern, Pfingsten… Doch nichts ging los. Natürlich gehen die Gesundheit und Sicherheit der Gäste und Mitarbeiter vor. Aber uns als Familienhotel trifft es doch besonders hart, weil wir keine große Firma oder einen Investor im Rücken haben. Wir machen alles allein. Uns fehlen nun das À-la-carte-Geschäft, die Übernachtungen und die Veranstaltungen. Den März hätten wir noch überbrücken können, aber je länger sich das in den April und all die Feiertage im Frühling zieht, desto schwieriger wird es für uns.

Wir haben dann überlegt: Wofür stehen wir? Als Restaurant sind wir spezialisiert auf lokale Küche und Wildprodukte; mein Vater stellt viel Wurst her. Wir haben unseren eigenen Käse und auch noch viele Marmeladen aus den Früchten unserer Streuobstwiesen. Also bieten wir jetzt "Spielweg für daheim" an. Die Versandpakete werden gut angenommen. Unser hausgemachtes Bauernbrot backen wir nachts, morgens schicken wir es los und am nächsten Tag ist es beim Kunden. Unsere Speisen kochen wir zurzeit vor. Die Gäste holen sich das Essen hier ab und müssen es zu Hause nur noch aufwärmen.

Unsere Azubis sind noch da. Sie sind von der Kurzarbeiterregelung ausgenommen. Die Übrigen sind im Resturlaub oder, so traurig es klingt, in Kurzarbeit. Für die betroffenen Mitarbeiter ist es besonders schlimm, wenn sie nur noch 60 beziehungsweise 67 Prozent ihres Lohns bekommen, weil dazu noch das Trinkgeld fehlt. Wie lange das alles so weitergehen wird, weiß niemand. Aber wir machen das Beste draus.

Natürlich würde es uns helfen, wenn die Politik uns nicht nur Kredite gäbe. Die müssen wir ja auch wieder zurückzahlen. Große Firmen oder Banken bekommen Hilfspakete, die Gastronomie wäre sicherlich über Steuererleichterungen froh. Wir können den Verlust nicht so leicht ausgleichen. Die Kosten bleiben, aber wir können nicht mehr einnehmen, wenn wir wieder geöffnet haben - Tische und Zimmer können ja nicht doppelt belegt werden.

Wir müssen uns jetzt auch alle gegenseitig ein bisschen helfen: Im Onlineshop regionale Produkte bestellen, zum Bäcker um die Ecke gehen, und, sobald es wieder geht, Urlaub in Deutschland machen, wo es so schön ist – im Allgäu, auf Sylt. Oder eben im Schwarzwald."

Lauren Lee, Köchin und Inhaberin von Fräulein Kimchi, mit Sarah Durante, Köchin und Inhaberin von Humble Pie, Berlin

Lauren Lee

Lauren Lee

Foto: Fraeulein Kimchi

Lee: "Bereits Anfang des Monats wurden bei Fräulein Kimchi alle Cateringaufträge für Großveranstaltungen storniert, aber ich hatte ja noch mein Mittags-Catering für Firmen. Ich dachte: "Wird schon gut gehen." Als dann plötzlich immer mehr Absagen kamen, waren auf einmal all meine Aufträge weg. Manche Büros meinten, sie könnten wohl in zwei Wochen wieder öffnen. Aber ich ahnte, dass es länger dauern würde. Ich hatte wirklich Angst, auch um meine Mitarbeiter. Zur Rettung versuche ich es nun mit einem eigenen Lieferservice. Dabei helfen mir meine Kollegin Sarah Durante und ihr Mann."

"Man springt und hofft, dass sich das Netz von selbst knüpft, während man fällt."

Sarah Durante

Durante: "Uns war schnell klar, dass wir das am besten gemeinsam stemmen können. Es gab keine Struktur für das, was wir vorhatten. Das Modell Lieferando funktioniert für uns nicht, weil wir keine Sofortlieferungen anbieten können. Wir bauen wirklich alles nebenbei auf und ziehen an einem Strang. Man springt und hofft, dass sich das Netz von selbst knüpft, während man fällt."

Lee: "Wir stellen nun Menüs zusammen. Anders rechnet es sich nicht, die Mengen an Lebensmitteln zu verarbeiten. Wir kochen alles am Vortag vor, verpacken es luftdicht und liefern am nächsten Tag. Die Leute müssen mindestens vier Tage im Voraus bestellen, weil wir Zeit brauchen, um alles zu organisieren und die Routen zu planen. Natürlich machen wir immer noch einen riesigen Verlust, aber es ist besser als nichts. Es hält uns am Laufen. Gleich am ersten Tag hatten wir rund 200 Bestellungen. Wenn es so weitergeht, wird es reichen, um alle Mitarbeiter und die laufenden Kosten zu bezahlen."

Aline John, Pâtissière und Inhaberin von Tarte und Törtchen in Stuttgart

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Jessica Jungbauer

"Wir haben die Coronakrise natürlich sofort zu spüren bekommen, weil viel weniger Gäste kamen. Als dann nur noch der Außerhausverkauf erlaubt war, wurden meine Mitarbeiterinnen etwas ängstlich. Niemand wollte mehr Kundenkontakt. Viele haben sich krankschreiben lassen. Ich bin jetzt in der blöden Situation, dass ich kaum noch Personal habe. Gerade versuche ich, mit drei Aushilfen den Laden durch die Krise zu bringen. Wir bauen aktuell unseren Lieferservice aus.

Zum Glück hatten wir bereits einen Kühlwagen für unsere Hochzeitstorten. Auf Vorbestellung kann man sich bei uns auch Törtchen reservieren lassen und abholen. Einfach so vorbeikommen geht ebenfalls weiterhin. Wir lassen die Kunden nur noch einzeln in den Laden und stellen Desinfektionsmittel bereit.

Trotzdem: Drei Viertel des Umsatzes sind weggebrochen. Finanziell können wir vielleicht noch zwei Wochen überleben. Ich habe mein Unternehmen so aufgebaut, dass ich eben nicht nur Minijobber beschäftige, sondern überwiegend Festangestellte. Mit ordentlichen Arbeitsverträgen, dreimonatigen Kündigungsfristen und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die Pâtisserie hat ein riesiges Rohstofflager, da geht gerade unheimlich viel Ware kaputt. Auch Vorproduziertes müssen wir entsorgen. Das alles zusammen ruiniert mich jetzt, wenn nicht bald Geld reinkommt.

Ich habe daher direkt die Soforthilfe beantragt. Ich hoffe, dass es schnell geht. Alle warten auf das Geld. Die Frage ist: Wem werden die Hilfen zuerst ausgezahlt? Stundungen beim Finanzamt und bei den Krankenkassen sowie eine Mietaussetzung habe ich auch vorbereitet. Doch das Geld muss ich irgendwann wieder erwirtschaften. Gerade für kleine Unternehmen ist das ein Problem.

Das Café ist unter normalen Umständen immer gut besucht. Wir haben gar nicht die Möglichkeit, den Umsatz groß zu steigern. Was aber schön ist: Viele denken jetzt an die kleinen Läden. Stuttgart-West ist eine tolle Community, hier hält man zusammen. Die Stammkunden kommen vorbei, kaufen Gutscheine und sagen: 'Das ist unser Stadtteil, und seine kleinen Läden machen das Leben in der Großstadt lebenswert.'"

Sebastian Kramer, Koch und Mitinhaber von Café Fritzis in Hamburg

Foto: Fritzis Hamburg

"Das Fritzis ist bekannt für seinen Mittagstisch. Wir haben kürzlich unsere Alkoholkonzession bekommen, und wenn jetzt nicht die Coronakrise dazwischengekommen wäre, hätten wir ab sofort auch abends geöffnet, mit Weinbar und Family Dinner. Schon bevor die offizielle Schließung galt, haben wir gemerkt, dass die Menschen kaum noch rausgehen, schon gar nicht mehr zum Essen.

So kamen wir auf die Idee, dass wir unsere Gerichte ab sofort zum Fenster raus verkaufen. Die Menschen können sich das dann mitnehmen und zu Hause warm machen. Wir kochen jeden Tag frisch, glasen es ein oder vakuumieren es in zwei Portionsbeutel. Es gibt verschiedene Hausmannskost wie Hühnerfrikassee, selbst gemachte Gnocchi in Salbeirahm oder Semmelknödel in Pilzrahm.

Für uns ist das die Gelegenheit, weiterhin Stammgäste zu sehen oder älteren Nachbarn, die nicht mehr so gut zu Fuß sind, etwas Essen mitgeben zu können. Wir bekommen viele Anrufe von Leuten, die das Haus nicht mehr verlassen können. Ab nächster Woche werden wir die beliefern. Auch die Anfragen und der Traffic über die sozialen Netzwerke haben enorm zugenommen. Meine Mitgründerin Terry hatte dann die Idee für das Hamster-Orakel. Jeden Tag sagt es an, was es bei uns Neues zum Hamstern gibt. Viele Menschen haben gerade viel Zeit, und das ist einfach der direkteste Weg zu unseren Gästen.

In erster Linie geht es uns jetzt darum, weiterhin für die Leute da zu sein. Die Arbeit hält uns aber auch am Laufen. Als Team von vier Gesellschaftern können wir unsere Arbeit gerade sehr gut verteilen. Das hilft. Bis die unterstützenden Maßnahmen vom Bund oder der Stadt greifen, laufen die Kosten weiter. Unsere einzige Vollzeitangestellte haben wir erst einmal in den Urlaub geschickt."

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