Eine Fototapete versprüht Urlaubsflair im Gartencenter
Eine Fototapete versprüht Urlaubsflair im Gartencenter
Foto: Maximilian König / DER SPIEGEL

Urlaub von der Pandemie Wenn Seevetal schöner ist als Singapur

Seit einer Woche dürfen Gartencenter wieder öffnen. Ein Glück, meint unser Autor. Warum ein Besuch unbedingt zu empfehlen ist – auch wenn Sie gar keinen Garten haben.
Von Maximilian König

Man muss die raren Gelegenheiten nutzen, um dem Corona-Alltag zu entfliehen. Neulich brauchte ich zwei Blumenkästen für meinen Balkon. Ich fuhr in ein Gartencenter – und blieb zwei Stunden.

Für die coronamüden Sinne fühlt sich ein Besuch wie Urlaub an: Mediterrane Temperaturen. Exotische Formen, Farben und Gerüche. Viel Hightech – und sogar Tiere.

All dies bietet gerade nur das Gartencenter, während viele botanische Gärten, Museen und Zoos bald wieder im Lockdown stecken könnten. Sie müssen hier auch gar nichts kaufen. Beobachten Sie lieber andere Kunden dabei, wie sie 60 Liter Rindenmulch in ihren Wagen hieven. Laufen Sie durch die Gänge. Staunen und lernen Sie. Und wenn Sie welche haben – nehmen Sie Ihre Kinder mit.

Ein geführter Parcours mit fünf Stationen durch das größte Gartencenter Deutschlands. Ein Gewächshauspalast auf 17.000 Quadratmetern im nördlichen Niedersachsen. Viel Platz, um Abstand zu halten; der Einlass wird über die Anzahl der Einkaufswagen kontrolliert.

1. Flora – oder: »Hier is' Einbahnstraße«

Schnappen Sie sich einen der desinfizierten Wagen, nehmen Sie sich einen Übersichtsplan, stürmen Sie nicht direkt die »Deko-«, »Grill-« oder »Kissenwelt«, sondern folgen Sie den »Rundgang«-Schildern.

Die erste Schiebetür geht auf: Ein Meer aus Frühjahrsblühern erstreckt sich vor Ihnen. Primeln, Hornveilchen, Stiefmütterchen – Gemütlichkeit zum Eintopfen. Ganz extravagant lockt die »Duftrose«. Beugen Sie sich zu ihren rosafarbenen Blüten hinab, und lassen Sie sich olfaktorisch durch Ihre FFP2-Maske hindurch verwöhnen. Je weniger Sie riechen, desto sicherer ist Ihr Modell.

In den Gängen weisen Sie blaue Einbahnstraßen-Schilder auf die korrekte Schiebrichtung hin. Trotzdem kommt es zu Unfällen. Zwischen zwei Reihen Vergissmeinnicht scheppert’s. Die Wagen zweier Frauen, geschätzt Mitte 50, prallen frontal aufeinander. Der Disput klärt sich sachlich-norddeutsch.

»Hier is' Einbahnstraße!«

»Ja, und denn?«

»Kommst du hier nich' rein!«

Die Verkehrssünderin zieht schuldbewusst zurück. Und auch wir verlassen das Reich der Beet- und Balkonpflanzen. Die Baumschule ruft. Ein Open-Air-Festivalwuchs unter blauem Himmel. Mehrfach wechseln wir die Vegetationszonen: japanische Weiden, Zitronenbäume – plötzlich stehen wir in einem dunkelgrünen Kirschlorbeerwald. Freuen Sie sich darüber, dass Sie die Armee von Buchsbäumen nicht allabendlich wässern müssen. Und wie niedlich der kleine Rhododendron aus der Erde guckt, bevor er sich in ein kaum stutzbares Monster verwandelt.

Beachten Sie auch die Angaben auf den Papier-Anhängern der Pflanzen. Homeoffice-Geplagte entdecken Gemeinsamkeiten zwischen sich und der »Efeu Hedera Helix«: winterhart, anspruchslos, (Gedanken-)rankend.

Ein paar Meter weiter hören Sie es plätschern. Willkommen in der Aquaristik.

2. Fauna – oder »Mama, ich will Fische schauen!«

Studien beweisen, dass Pflanzengrün beruhigt. Ihr Puls geht noch weiter runter, wenn Sie vor einer Wand aus Aquarien stehen. In den Glaskästen jagen sich Schmetterlings-Buntbarsche und Zwerggarnelen. Der siamesische Kampffisch patrouilliert unter einem Schwarm Pinguinsalmler.

Wenn der Spielplatz des Gartencenters noch gesperrt ist, bringen Sie Ihre Kinder einfach hierher. Packen Sie ein paar Feuchttücher ein, damit Sie die Abdrücke der plattgedrückten Nasen wegwischen können. Und achten Sie darauf, dass der Nachwuchs die Kühlschranktür zu den Angelködern nicht aufbekommt: Dort lagern Mehltauwürmer und rote Riesenwürmer in offenen Pappkartons.

Vielleicht favorisieren Sie aber auch Landtiere. Schauen Sie dem Kaninchen-Paar beim Rumhocken zu. Und falls Sie mit lebendigen Tieren so gar nichts anfangen können: Streicheln Sie die samtenen Kätzchen der Strauchmagnolie.

3. Crime – oder: »Kettensäge? Ja, hab' ich da!«

Kettensägen hat er da, das erzählt der Verkäufer im grünen Hemd seinem Kunden am Telefon – und zwar ganz schön viele: Nehmen Sie die »Innovative Motorsäge mit elektronisch gesteuerter Einspritzung« (1.599 Euro) oder »Die neue Leichtigkeit in der 70 cm³-Hubraumklasse« (1.425 Euro) ruhig mal selbst in die Hand.

Fotostrecke

Supermarkt der Gartenträume

Foto: Maximilian König / DER SPIEGEL

Hobby-Krimi-Autoren entdecken im Gartencenter an jeder Ecke Mordinstrumente. Den langstieligen Zwiebelpflanzer zum Beispiel. Den martialischen Wurzelstecher. Mit dem Pflanzholz lassen sich Vampire einpflocken. Fantasievollen Gemütern macht es Sorge, dass alle Äxte ausverkauft sind (Kaminsaison schon vorbei?!) und nur noch eine einsame Machete vorrätig ist. Alle anderen wissen längst, warum der Mörder immer der Gärtner ist.

4. Hightech – oder: »Der kostet ja mehr als ein Lamborghini«

Es wird hochpreisig. Rasenmäher, das fällt schnell auf, als wir durchs »Motorland« streifen, sind nicht gleich Rasenmäher. Wir haben die Klasse der SUV (Aufsitzmäher), schnittige Sportmodelle (Wiesenmäher) und natürlich die selbstfahrenden Elektromodelle (Mähroboter).

Das alles ist aber bloß ein Vorspiel zu den wahren Stars des Markts.

Nehmen Sie das Laufband und gleiten Sie hoch zu den kugelrunden Vorstadtträumen der Gegenwart – in die Grillabteilung. Neben den ordinären Jedermann-Modellen ist eine Fläche für die Hightech-Werkbänke des guten Geschmacks reserviert. Wuchtige Komplettpakete mit Infrarot-Drehspieß-Brenner, Bluetooth-Thermometer oder Edelstahl-Aromaschienen – ausgeleuchtet und bepreist wie Kleinwagen. Der teuerste Grill-Altar – mit zwei Tresen, Spüle – kostet 27.500 Euro. Ein blonder Junge zieht sich an einem porzellanemaillierten Grillrost hoch. Als er das Preisschild sieht, guckt er seinen Vater an: »Der kostet ja mehr als ein Lamborghini.«

5. Design – oder: »Ich mag beides – das Runde wie das Eckige«

Zum Runterkommen wandern wir durch die weite Tundra der Gartenmöbel. Lassen Sie den Blick schweifen: über Teak und Rattan, weißes Camping-Plastik, dazwischen rosa Kissen-Tupfer mit Blumenmotiven. Ein Seniorenpaar arbeitet sich durch die Sitzgruppen. Stehen bleiben, hinsetzen, aufstehen – es sieht anstrengend aus. Sie rasten vor einer grau geflochtenen Garnitur. Den dazugehörigen Tisch gibt es in zwei Varianten. Sie sagt in Sepp-Herberger-Manier: »Ich mag beides – das Runde wie das Eckige.« Er sagt: »Egal was – da machen wir nix verkehrt.«

Das Risiko für Fehlgriffe steigt in der Gartendeko-Abteilung. Sie betreten einen Baukasten für die Vorgärten-Höllen der anderen: steinerne Bulldoggen, Schildkröten, viele, viele Buddha-Statuen. Ein Onyx-Findling mit schwimmender Kugel. Klassiker wie den Gartenzwerg und Brunnenschalen. Eine Brutalismus-Skyline aus Betonkübeln. Viele Trittplatten. Marmorkies. Moränenkies. Bambus-Fackeln, Rosenkugeln. Ein Willkommensschild in Edelrost-Optik.

Spätestens hier fällt auf: Das Gartencenter-Erlebnis steigert sich erheblich, wenn Sie gar keinen eigenen Garten haben. Die Entschleunigung gelingt besser ohne das Ikea-Phänomen: Beim Besuch ständig daran denken zu müssen, dass man dies und jenes doch für das eigene Zuhause gebrauchen könnte.

Zum Abschluss fläzen Sie sich in einen Strandkorb oder werfen Sie sich in eine Hängematte und schauen an die Sonnensegel-verhangene Glasdecke. Reflektieren Sie die Stationen. Denken Sie daran, dass Sie eigentlich hier sind, um zwei Blumenkästen zu kaufen, dies ganz vergessen haben – und starten Sie den Rundgang erneut.

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