

Maximilian Gödecke
Fotoprojekt zu Ebay Kleinanzeigen Junger Mann zum Miteisen gesucht
Manchmal beginnt eine besondere Suche mit einer einfachen Anzeige auf Ebay-Kleinanzeigen. Seit knapp zwei Jahren beschäftigen sich Maximilian Gödecke und Anika Krbetschek mit den Personen hinter diesen Anzeigen, er als Reportage- und Portraitfotograf, sie als Künstlerin und freie Autorin. Um die 50 Menschen wollen die beiden für ihr Projekt »Search...« treffen. In ihren Bildern und Texten fangen sie ein, was die Menschen bewegt. Es geht ihnen aber auch um die Philosophie des Suchens selbst: Ist die Suche vorbei, wenn ich gefunden habe? Weiß ich eigentlich vorher, was ich finde, wenn ich suche? Oder geht es auch darum, Unerwartetes zu entdecken?
Lesen Sie hier unter anderem die Geschichten von Uta, die ein Enkelkind sucht, und von Nik, der Gleichgesinnte finden möchte, die mit ihm Armbrust schießen.
Uta, sucht ein Enkelkind

In ihrer Suchanzeige auf Ebay-Kleinanzeigen schreibt Uta: »Großeltern lieben bis zum Mond und zurück«
Foto: Maximilian GödeckeEine Frau und ein Mann: Sie sitzen an einem Tisch, der einlädt. Er schwebt in der Luft – der Wunsch, an diesem Tisch nicht genug Stühle für alle Gäste zu haben. Und dieser herrliche Garten, der nach Kindern ruft, die mit den Hunden auf den Wiesen tanzen und mit den Fischen durch das Wasser streifen. Es ist ein Wunsch, der mit dem Lauf des Lebens verbunden ist. Einer, der scheinbar nur durch das Schicksal erfüllt werden kann. Doch ist es auch eine Sehnsucht, die so endlos tief ist wie mütterliche Liebe.
Für Uta ist es der Versuch, sich vom Schicksal loszulösen, das sie nicht Oma hat werden lassen. Die Suche nach einem Enkelkind wird dabei zu einer Form von Selbstbestimmung. Und Selbstbefreiung. Befreiung von ihrer verlorenen Familie.
Als 21-Jährige kam ihr erster Sohn, der nach zu wenigen Jahren wieder ging. Auf den Tod des Bruders reagiert der zweite Sohn mit Ablehnung seiner Mutter gegenüber. Als sie uns tiefer in die Geschichte lässt, wird ihr Blick zum ersten Mal stumpf. Sie blickt an uns vorbei. Auch der zweite Sohn verlässt sie. Der dritte Sohn entwickelt eine Computersucht. Sie hatte wegen der Arbeit immer weniger Zeit für ihn, erzählt sie daraufhin. Eigentlich erzählt sie es nicht, sie wirft es sich vor. Der Sohn wuchs vermehrt bei seiner Oma auf, die familiäre Beziehung gilt mehr ihr als Uta. An ihr hat sie das Oma-Sein zum ersten Mal miterlebt. Doch sie blieb allein. 13 Jahre.
Als sie beschloss, weiterzugehen, konnte sie so gut wie nicht mehr laufen. Christian begleitet sie auf ihrem Weg. Wenn er in die Weite guckt, schaut sie geradeaus. Er träumt, sie wünscht. Ein Enkelkind: Das bedeutet für sie Hoffnung. Für ihn Überraschung.
Eigentlich hat sie sich immer schon für diese Rolle gemacht gefühlt. Auf den Wiesen und unter den Sonnenschirmen hält sie ein Zuhause bereit. Uta ist schon längst Oma, auch ohne Enkel.
Sarah, sucht Heimat

»Die Suche nach Heimatlichkeit im Äthiopischen ist letztendlich märchenhaft«
Foto: Maximilian GödeckeSo unscheinbar Sarahs kleine Wohnung am Berliner Gesundbrunnen von außen scheint, birgt sie doch eine ganze Welt in sich. Wie Spiegel ihres Innenlebens behängen Bilder um Bilder ihre Wände. Sarah verkörpert die Hybridität von Kultur. Das Deutsche interessiert sie weniger seit dem Tod ihrer Mutter. Das Äthiopische umso mehr seit dem Tod ihres Vaters.
Er starb einen Tag bevor sie das Flugticket nach Afrika einlösen konnte. Das Sterben der Eltern verwehte das Band ihrer kulturellen Herkunft im Wind der Haltlosigkeit. Die Vorstellung von Heimkehr nach Äthiopien verblasste ohne den Vater. Geblieben ist eine Distanz zum Land, seiner Politik und Gesellschaftsstruktur.
Und so sucht sie nach dem, was Heimat noch für sie bedeuten könnte. Sie findet es in der äthiopischen Küche, in der Intimität der Kunst, in dem Zusammenhalt. Findet es in Menschen, an die sie sich anlehnen kann, während sie ihnen gegenübersteht. Und in Begegnungen, die ihr Hinweise zu sich selbst geben.
Dennoch scheint es ihr, als könne sie ihre äthiopischen Erfahrungen hier kaum nachbilden. »Vielleicht ist meine Heimat am Ende doch Deutschland. Und die Suche nach Heimatlichkeit im Äthiopischen letztendlich märchenhaft.« Das Suchen als Mysterium. Denn zu suchen bedeutet, nicht hundert Prozent zu wissen, was man überhaupt finden kann. Vielmehr ist es ein assoziativer Prozess. Vielleicht ist das Suchen als solches am Ende weniger bedeutsam, als das Unerwartete auf dem Weg zu finden.
Heike, sucht Hilfesuchende

»Ich war eigentlich schon immer 'ne Mutter Teresa, aber irgendwie is' nie was zurückgekommen.«
Foto: Maximilian GödeckeEs dauerte nicht lange, da war die Selbsthilfegruppe schon voll mit Interessierten. Die Gründerin Heike ist eine Betroffene, die helfen möchte. »Ich war eigentlich schon immer 'ne Mutter Teresa, aber irgendwie is' nie was zurückgekommen«, erzählt die 52-Jährige in rauchigem Berlinerisch. Die Bonnie-Tyler-Stimme ist ein Resultat von 33 Jahren hinter der Theke einer Neuköllner Stammkneipe. Mit dem Alkohol ertrank sie in Trauer.
Zweimal wäre sie fast daran gestorben, am seelischen Schmerz. Mehrere Male fand sie sich in Krankenhäusern und Kliniken wieder. Jedes Mal fühlte sie sich verlassen, bekam keine echte Hilfe, keine Therapie. »Dann bekommt man wieder Knorpeljucken. Und da hab’ ich mir wieder die Flasche Sambuca reingeknebelt.«
Zurück zum Alkohol. Zurück in der Kneipe. Der Ort, der sie verletzt und sie getragen hat. Und sie, die von der Theke aus selbst viele gehalten hat. Unbeugsam stehend zwischen den Schicksalen. Unbeirrt Heike zu sein heißt auch, sich gegen das eigene Schicksal zu stellen. Sich dem zuzuwenden, was man erhofft. Mit ihrem ganzen Sein verkörpert sie Standhaftigkeit. Und Lebensmut. So hat sie sich immer wieder dem Leben geöffnet.
Heike ist immer noch ab und an in den Neuköllner Stammkneipen zu treffen. Sie hört dort immer noch den Leuten zu – mit einer Kaffeetasse in der Hand. Jede wiedergewonnene Stärke nutzt sie, um anderen Raum zu geben. Auf der Suche nach Menschen, denen sie mit ihren eigenen Erfahrungen helfen kann, fand sie auch ein neues Ich. Eines, das positive Erfahrungen aus eigener Kraft machen kann.
Markus, sucht verlassene Orte

»Juhu, heute fahren wir nach Hause«
Foto: Maximilian GödeckeAuf dem Weg nach Vogelsang – einer alten sowjetischen Kaserne – im Cabrio. Der Wind bringt Aufruhr in die Frisur, pfeift durch das Gemüt. »Juhu, heute fahren wir nach Hause!«, ruft Markus der Fahrt entgegen. Es ist sein Lieblingsort.
Sein Interesse gilt verlassenen Gebäuden ebenso wie gepflegten Schlössern. Ruinen und Prachtbauten – eine Antithese, wie vieles, was Markus mag und macht. Nachdem er sich tagsüber kulturellen Veranstaltungen widmet, erweitert er abends eine der größten Star-Wars-Figuren-Sammlungen Deutschlands oder nimmt mit seiner Freundin an Tanzwettbewerben teil. Sie haben sich auch durch eine Suchanzeige kennengelernt. Gemeinsam schwärmen sie vom Tanz: das Bewegte gegen den statischen Lebensalltag.
Markus ist ein Sucher, ständig auf dem Weg zu mehr Wissen, mehr Erfahrung. Das Suchen als Antrieb und als Steuerung für den Lebensweg. Denn was gefunden wird, ist nicht immer ganz absehbar und leitet daher auch auf neue Wege.
Gefunden hat er auf dieser Suche Marianne, eine über Siebzigjährige, die ihm die entlegensten Ecken der ehemaligen Kaserne von Vogelsang zeigte. Über die Zeit ist Markus längst selbst Teil des Ortes und seiner Geschichten geworden.
Er hat ein neues Buch geschrieben, 13 Kurzgeschichten, wieder antithetisch: gruselig und satirisch. Er liest das zweite Kapitel. Es spielt hier, in Vogelsang.
Juri, sucht Gemeinschaft beim Eisbaden

»Dieser Kampf – jeder Mensch hat den. In unterschiedlichen Lebenslagen«
Foto: Maximilian GödeckeWenn alle im Wasser sind, ist es egal, wie man reingekommen ist. Jeder hat so seinen eigenen Weg, das Eisbaden zu lernen. Beim Eisbaden geht es um Extreme, um den Kampf gegen sich selbst. Keiner will unter die kalte Dusche. Das Gefühl danach, der Rausch der Hormone, das ist die Belohnung. »Dieser Kampf – jeder Mensch hat den. In unterschiedlichen Lebenslagen.«
Ihn im Eisbaden auszutragen, ist für viele ungewöhnlich. Juris Suche bedeutet, zu finden, was er nicht unmittelbar um sich herum hat. Und dabei offen für verschiedene Formen des Fundes zu sein. Mit einigen Eisbadenden ist er dauerhaft im persönlichen Austausch – ohne jemals gemeinsam im See gewesen zu sein.
Eisbaden bietet neue Narrative, stemmt sich gegen Erzählungen von der bösen Kälte, dem bösen Luftzug. Sich denen zugehörig fühlen, die man zuvor als verrückt verstand. Das bildet Gemeinschaft. Und Eisbaden braucht Gemeinschaft: Um die noch unentdeckte Leidenschaft zu teilen, für den Push, auch wegen der Risiken.
Juris Schlüssel liegt in der Vorbereitung: Der wichtigste Teil des Badens passiert am Ufer. Zum Kaltwerden muss man sich warm machen. Zielstrebig steuert Juri auf den See zu. Vor der ersten Berührung mit dem Eiswasser stoppt er. Entspannung fährt durch seinen gespannten Körper. Gleichmäßige Schritte geleiten ihn ins eisige Kalt, ganz langsam taucht er ab.
Nik, sucht Andere mit Armbrust

»Im eigenen Haus lernt man keine neuen Leute kennen«
Foto: Maximilian GödeckeHier im Grunewald darf man keine Pfeile schießen. Die Welt des Armbrustschießens spielt sich an verschlossenen Orten wie Hinterhöfen und Kellern ab. »Im eigenen Haus lernt man keine neuen Leute kennen«, sagt Nik.
Er sieht eindrucksvoll aus mit der schwarzen Sportarmbrust über dem Arm. Vielleicht auch etwas dornig, mit den spitz-gegelten Haaren und der verschlossenen Miene. Doch in seinen Erzählungen funkelt auch Sorgsamkeit auf.
Wie ein Wolf wandert er durch den Wald. Die meiste Zeit ist er nur mit sich. Nur allzu gern schießt er, allein und nervengekitzelt, einen Pfeil nach dem anderen durch den Keller. Doch auch er wünscht sich Gemeinschaft.
Auf seiner Suche nach anderen Gleichen schwankt er zwischen Rückzug und Rausriss. Sonntags raus in den Wald, der Ruhe bringt. Der doch dann auch voller Menschen ist.
Neuerdings gibt es in seiner Region kleine Treffen mit Anderen mit Armbrust. Dort bildet sich etwas von der Gemeinschaft ab, die Nik sucht. Doch seine Suche ist damit nicht beendet. Denn das Suchen hat etwas Beständiges an sich. Etwas zu finden bedeutet nicht, dass man aufhört zu suchen.
Mathé, sucht Anschluss

»Die leere Fläche darf so sein – sie füllt sich von allein«
Foto: Maximilian GödeckeUrsprünglich auf der Suche nach dem Größeren, Weiteren, verkroch sich Mathé wieder in denselben Lesungen, Konzerten und Theaterstücken wie zuvor in den Niederlanden. Nun will er stattdessen auch die Stadt drumherum kennenlernen und begibt sich dabei auf die Suche nach dem, was Berlin für ihn bereithält.
Er hat schon einmal gesucht: in den niederländischen Kleinanzeigen, ein Bandmitglied, mit zehn Jahren. Erfolgreich. Nun, in seinen Zwanzigern, ist die Suche existenzieller. Seit Mathé in Berlin ist, sucht er substanziell, auf allen Ebenen: einen Job, ein Umfeld, Freunde. Auf der Suche nach dem Fokus, den er verlegt zu haben scheint. Nur die Kultur begleitet ihn wie ein Schatten.
Entgegen der Unwägbarkeit, die sein Suchen umrandet, liegt um Mathé eine Aura von undefinierter Sicherheit, von Furchtlosigkeit. Ein moderner Steppenwolf. Wartend – erwartend – sitzt er da, die langen Beine und Arme übereinander geschlagen. Suchen heißt, offen zu sein. Das Gesuchte auf einen zukommen zu lassen.
»Die leere Fläche darf so sein – sie füllt sich von allein. So lang’ es regnet und die Sonne scheint. Solange die Leute einfach so meinen Weg passieren« sagt Mathé, und ein Lächeln huscht über seine Lippen. Wissend gleiten seine Augen den Horizont entlang. Er ist kein Sucher, er ist ein Finder.