

Natürlich waren es auch die Haare. Die Haare haben viel ausgemacht, die voluminöse Scheitel-Sturmhaube, dieser unverwüstliche Helm, dessen gewellte Seitenausläufer nur leicht Farah-Fawcett-haft wogten, wenn ihr Träger elastisch aufs Feld eilte, um die Gefallenen wieder aufzurichten.
Wo anderen, gewöhnlicheren Medizinern bei so viel Brenzligkeit längst die Stirnfransen an der stressschwitzigen Birne kleben müssten, wirkte Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, 72, stets cool wie ein Entmüdungsbecken. Der perfekt sitzende Schopf als vertrauensbildende Fassadenmaßnahme, schon sehr lange vor Joachim Löws Formfrisur.
Klingt immer etwas dümmlich und lookismussig, aber wahrscheinlich veröffentlichen amerikanische Wissenschaftsschlawiner gerade im Moment schon wieder die nächste Studie dazu, dass man Menschen mit schönen Haaren schneller vertraut und eher bereit ist, ihnen Leib und Leben anzuvertrauen.
Ungeachtet aller medizinischer Errungenschaften bleibt dem jetzt scheidenden Vereinsarzt von Bayern München - sollte er denn wirklich für alle Zeiten abtreten - ein großer Verdienst: Er war der letzte große Glam-Doc. Seit die TV-Doktores Brinkmann und Brockmann nicht mehr in "Schwarzwaldklinik" und "Praxis Bülowbogen" operieren, gab es im deutschen Fernsehen zwar viele Krankenhausserien, aber keine solchen Mediziner mehr zu sehen. Sie heilten nicht nur Schmerzen, sondern die Herzen der Maladen gleich mit. Die TV-Ärzte nach ihnen waren dann meistens unmündige Bürokratiebüttel oder selbst hochgradig therapieziös.
Der freundliche Bruder von Severus Snape
Nur den Rekordmeisterarzt umwehte, obschon kittellos, nach dem Abdanken seiner Serienkollegen noch diese Old-School-Aura des aufgeklärten Wunderheilers. Allein der Name: Wohlfahrt! Es schadete nicht, dass er außerdem ein wenig so aussah, als sei er der freundliche Bruder von Severus Snape aus "Harry Potter" - eben nicht der böse, sondern der gute Zauberer.
Wie Brink- und Brockmann eben eine dieser Figuren, die bei ihren Zuschauern den Restglauben an den Ärztestand in supersoften Mullbinden sanft, aber bestimmt wieder in Form zurrten, wenn irgendein Klinikskandal, ein paar im Bauchraum vergessene Schmoddertupfer das Vertrauen in die Medizinkunst mal wieder gebeutelt hatten. Man glaubte ihm einfach, dass er sie alle wieder zusammenschustern würde, die heiligsten Baller-Gebeine, an denen er hantierte, ein gefährliches Pflaster.
Dass ihn nun ein Zerwürfnis beim FC Bayern aus dem Vereinsamt drängt, ist nicht schön, doch noch weniger vorstellbar wäre doch gewesen, dass er in Rente geht, dieser Posterboy der Seniorenvitalität. Einer der wenigen Dauergebräunten im Fernsehen und überhaupt, bei denen der Gerbeprozess nicht ordinär oder neureich wirkt. Dabei bleibt rätselhaft, wo sich Müller-Wohlfahrt diese intensive Bräune stets regelmäßig aufzufrischen wusste, da er ja nicht im Freien operierte. Vielleicht doch, was wissen wir schon.
Auch wenn sein Abgang nicht mit den Ehren vollzogen wurde, die man ihm gewünscht hätte: Immerhin auf Twitter spielte man ihm den Auszugsmarsch, indem man Songtitel für ihn umdichtete. Unter dem Hashtag #MüWoSongs wurden Lieder wie "Who let the Doc out?", "Ich wünsch' Euch Spieler ohne Leiden", "Wunden gescheh'n" und "Der Mann mit der Spritze geht nach Haus" gesammelt. Oder heißt es womöglich auch dieses Mal: "Verbinden, verloren, vergessen, verzeih'n?"
Und schon einmal kehrte Müller-Wohlfahrt ja zurück, nach einem Zerwürfnis mit dem damaligen Trainer Jürgen Klinsmann. Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung auf Heilung - ganz wie in den guten, alten Arztserien.
Anja Rützel sah 1982 frisurentechnisch sogar ein bisschen aus wie Müller-Wohlfahrt. Während ihrer Schulzeit beglückte sie die Familie mit selbstgemalten Paul-Breitner-Porträts. Heute schafft sie es als Bayern-Mitglied fast immer zur Jahreshauptversammlung. Seit April 2015 ist sie Autorin für SPIEGEL ONLINE.
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Stets cool wie ein Entmüdungsbecken: Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt.
Allein der Name: Wohlfahrt! Es schadete nicht, dass er außerdem ein wenig so aussah, als sei er der freundlicher Bruder von Severus Snape aus "Harry Potter" - eben nicht der böse, sondern der gute Zauberer.
Die voluminöse Scheitel-Sturmhaube, dessen gewellte Seitenausläufer nur leicht Farah-Fawcett-haft wogten, wenn ihr Träger elastisch aufs Feld eilte, um die Gefallenen wieder aufzurichten.
Müller-Wohlfahrt besaß den perfekt sitzenden Schopf als vertrauensbildende Fassadenmaßnahme schon sehr lange vor Löws Formfrisur.
Er war der letzte große Glam-Doc. Seit die TV-Doktores Brinkmann und Brockmann nicht mehr in "Schwarzwaldklinik" und "Praxis Bülowbogen" operieren, gab es im deutschen Fernsehen zwar viele Krankenhausserien, aber keine solchen Mediziner mehr zu sehen. (Im Bild zu sehen: Klausjürgen Wussow als Professor Brinkmann mit Gaby Dohm als Schwester Christa, Schwarzwaldklinik)
Dass ihn nun ein Zerwürfnis aus dem Amt drängt, ist nicht schön, doch noch weniger vorstellbar wäre doch gewesen, dass er in Rente geht, dieser Posterboy der Seniorenvitalität.
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