
Schöne Sittlichkeit: Jenseits des Kopftuchs
Muslimisches H&M-Model "Meine Füße zeige ich nicht"
Mariah Idrissi, 23, ist das erste H&M-Model mit Kopftuch. Sie lebt in West-London. Ihre Mutter stammt aus Pakistan, ihr Vater aus Marokko. Idrissi hat in diesem Jahr ihr Studium der Englischen Literatur abgeschlossen.
SPIEGEL ONLINE: Frau Idrissi, obwohl viele Frauen in Europa Kopftuch tragen, ist H&M das erste große Unternehmen, das sie direkt als Zielgruppe anspricht. Warum?
Idrissi: Ich weiß es nicht, es ist mir unbegreiflich. Die westliche Industrie ignoriert uns vollkommen.
SPIEGEL ONLINE: Wie schätzen Sie den Bedarf für muslimische Mode ein?
Idrissi: Er ist groß, nicht mehr nur in muslimischen Ländern. Es gibt inzwischen weltweit viele Websites für den Einkauf, äußerst erfolgreiche Bloggerinnen und große Fashion-Events. Aber das alles spielt sich noch in einer Blase ab, weit entfernt vom Mainstream. In einem Shoppingcenter in West-London würde ich keine muslimische Mode finden. Dazu muss ich erst in ein Viertel gehen, in dem viele Muslime leben. Oder im Internet schauen.
SPIEGEL ONLINE: Nun sieht es aus, als habe H&M den Markt entdeckt. Andererseits sind in dem Werbevideo außer Ihnen noch ein Mann im Rock, eine Frau mit Achselhaar, eine Oma im Mini zu sehen. Der Hidschab als Eigenart, nicht als Normalität?
Idrissi: Das ist richtig, und genau das möchte ich ändern: Der Hidschab soll normal werden. Ich will dabei auch die Botschaft des Islams vermitteln. Die Menschen sollen verstehen, warum wir Hidschab tragen. Das ist nicht nur eine Frage der Mode, sondern der Spiritualität.
SPIEGEL ONLINE: Warum tragen Sie Hidschab?
Idrissi: Ich glaube an den Koran. Es ist eine Pflicht - für Männer wie Frauen - sich zu bedecken. Während Männer nur bestimmte Teile ihres Körpers bedecken sollen, reicht das Gebot bei Frauen sehr viel weiter. Jeder hat dazu eine eigene Meinung, was selbstverständlich in Ordnung ist. Ebenso selbstverständlich sollte meine Entscheidung respektiert werden, Hidschab zu tragen.
SPIEGEL ONLINE: Der deutsche Marketingexperte Kai-Uwe Hellmann kritisiert den H&M-Clip als inhaltslosen Versuch von H&M, Absatz zu erhöhen. Dabei sage das Video gar nichts über den Hidschab oder den Islam aus.
Idrissi: Das war auch gar nicht das Ziel von H&M. In dem Video geht es darum, Vielfalt zu symbolisieren - und wie Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen sich für dieselbe Sache engagieren können: Recycling von Kleidung. Ich war nur ein sehr kleiner Teil davon. Neben mir werden zum Beispiel auch Homosexuelle und Übergewichtige gezeigt. Jede dieser Gruppen könnte eine Stimme in der Öffentlichkeit, ein Forum, gebrauchen. Warum sollten die Muslime sie als einzige erhalten?

Models: Inklusion auf dem Laufsteg
SPIEGEL ONLINE: Sie waren vor dem H&M-Video nicht als Model bekannt. Wie kam es zu dem Engagement?
Idrissi: Es war mein erster Modeljob überhaupt. H&M hat gezielt nach einem Model mit Kopftuch gesucht. Ich wurde von einer befreundeten Castingagentin empfohlen, sie hat ihnen Instagram-Fotos von mir geschickt.
SPIEGEL ONLINE: Was war Ihnen bei dem Shooting wichtig?
Idrissi: Ich hatte einen separaten Umkleideraum - ohne wäre es nicht gegangen. Und ich habe vorher genau nachgefragt, ob ihnen wirklich bewusst ist, was das bedeutet: ein muslimisches Model zu haben.
SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet es denn?
Idrissi: Der gesamte Körper muss bedeckt sein, bis auf Gesicht und Hände. Auch der Nacken darf nicht zu sehen sein. Bei den Füßen gehen die Meinungen auseinander, da kommt es auf die persönliche Einstellung an. Ich zeige sie nicht.
SPIEGEL ONLINE: Models werden oft wie Kleiderstangen behandelt, die Designer nach Belieben an- und ausziehen können. Wie bringen Sie das mit Ihrem Glauben in Einklang?
Idrissi: Ich ziehe Grenzen. Ich glaube nicht, dass muslimische Frauen auf dem Laufsteg auftreten sollten. Dort ist es nicht zu vermeiden, sich vor anderen auszuziehen. Es fehlt an Platz und Zeit. Außerdem musst du dich auf eine bestimmte Art bewegen und verkaufen. Und dabei folgen die meisten Schauen der Regel: Sex sells. Solange es keine reine Frauenveranstaltung ist, sollten muslimische Frauen sich davon fernhalten, finde ich.
SPIEGEL ONLINE: Ist ein Fotoshooting so anders?
Idrissi: Vollkommen anders! Fotos sind unbewegt. Das Model kann bedeckt bleiben und sich ganz darauf konzentrieren, das Outfit für eine Momentaufnahme zu verkaufen.
SPIEGEL ONLINE: Worauf achten Sie, wenn Sie privat Kleidung einkaufen?
Idrissi: Die Kleidung muss vor allem zurückhaltend sein. Sie muss den gesamten Körper bedecken und muss locker sitzen, sie darf den Körper nicht zu sehr betonen.
SPIEGEL ONLINE: Auf Ihren Instagram-Fotos tragen Sie auch roten Lippenstift. Ist das nicht sexy - und damit ein Verstoß gegen das Gebot der Zurückhaltung?
Idrissi: Es kommt darauf an, wie du es machst. Zurückhaltung und Anstand haben nicht nur damit zu tun, welche Kleidung du trägst. Wenn eine Frau Make-up tragen will, aber komplett bedeckt ist und sich sittsam benimmt, dann ist Make-up kein Problem. Es muss ausgeglichen sein, das ist vielleicht die wichtigste Regel.