

Wolfgang Puck kocht für Hollywood »Streisand möchte ihr Hühnchen mit Trüffeln und Travolta seine Mac'n'Cheese«
SPIEGEL: Herr Puck, eigentlich wäre jetzt Ihre Hochsaison. Zwischen November und Januar laden alle großen Studios zu Pre-Award Partys und feudalen Weihnachtsfeiern. Der Bezahlsender HBO wollte Ihnen eine Serie widmen, die Sie auf den Events bis zu den Oscars begleitet. Alles abgesagt. Was machen Sie jetzt?
Wolfgang Puck: Unser Eventcatering bewegt sich tatsächlich gegen null. Es gab ein paar kleinere Zusammenkünfte, die ich beliefert habe, aber kein Vergleich zum normalen Tagesgeschäft um diese Jahreszeit. Die meisten Awards werden virtuell verliehen.
SPIEGEL: Sie bewirten seit 25 Jahren den Governors Ball, bei dem sich die Stars nach der stundenlangen Oscar-Zeremonie auf Ihr Menü stürzen.
Puck: Die Academy untersucht gerade, wie man die Show Ende April in reduzierter Form veranstalten könnte. Bisher bin ich noch nicht involviert. Vielleicht können wir den Gästen draußen am Hollywood Boulevard ein Tablett anreichen? Ich bin für alles zu haben, aber es gibt noch keinen Plan. Wir werden sehen.
SPIEGEL: Was machen Sie denn, wenn Ihre wichtigsten Kunden ausbleiben?
Puck: Ich bin gerade dabei, die Eröffnung zweier neuer Restaurants vorzubereiten, am Sunset Boulevard, ganz in der Nähe, wo ich früher mit dem Spago anfing. Mein Sohn Byron wird dort Chefkoch.
SPIEGEL: Ist es eine mutige oder eine leichtfertige Entscheidung, ausgerechnet jetzt neue Restaurants zu eröffnen?
Puck: Die Restaurants gehören zu einem Hotel, ich hafte nicht mit meinem Privatvermögen. Und ich glaube, wenn die Pandemie erst einmal vorbei ist, werden die Leute mehr denn je ausgehen wollen. Die sind buchstäblich ausgehungert – und in Los Angeles immer neugierig auf Neues. Da mache ich mir wenig Sorgen.
»Wenn ich meine Runde durchs Lokal drehe, begrüße ich immer zuerst die Unbekannten und den Promi zuletzt.«
SPIEGEL: Ihr Flaggschiff, das Spago, ist nicht gerade neu.
Puck: Letztes Jahr habe ich sogar den besten Umsatz seit der Eröffnung vor 29 Jahren gemacht.
SPIEGEL: Wie erklären Sie sich Ihre Langlebigkeit?
Puck: Jeder Gast will ein besonderer Gast sein. Ich mache keinen Unterschied. Wenn ich meine Runde durchs Lokal drehe, begrüße ich immer zuerst die Unbekannten und den Promi zuletzt. Egal, ob da Tom Cruise oder David Beckham sitzt. Manche Kollegen würden sich sofort auf den Star stürzen, sich möglicherweise mit ihm an den Tisch setzen. Aber mir ist wichtig, dass jeder Gast weiß: Dem Wolfgang bin ich genauso wichtig wie Tom Cruise.

SPIEGEL: Und was sagt Tom Cruise dazu?
Puck: Der kriegt genug Aufmerksamkeit. Jemand aus Kansas City, der zwei Monate im Voraus reserviert und vielleicht gespart hat auf einen besonderen Abend in Beverly Hills, dem schulde ich viel mehr, dass er sich wohlfühlt.
SPIEGEL: Wie wurden Sie zum Hollywoodliebling?
Puck: Ohne Absicht. Ich bin Gastwirt. Das einzige, das mich interessiert, ist, Menschen mit meinem Essen glücklich zu machen. Mein großes Vorbild war mein Lehrmeister Raymond Thuillier. Der stand noch als Siebzigjähriger mit Leidenschaft am Herd im Baumanière Les Baux de Provence.
SPIEGEL: Nach Ihrer Zeit in der Provence und einem kurzen Abstecher im Maxim in Paris wanderten Sie nach Amerika aus und landeten zuerst in Indianapolis. Warum ausgerechnet Indianapolis?
Puck: Ich bin Motorsport-Fan und stellte mir die Heimat der Indy 500 wie Monte Carlo vor. Und dann wollten die Leute da ihre riesigen Steaks durchgebraten und rammten die Gabel mit der Faust in das zähe Stück Fleisch. Ich versuchte ihnen beizubringen, dass ein Steak auch mit Messer und Gabel zerteilbar ist.
SPIEGEL: Sie haben einen erzieherischen Auftrag?
Puck: Anfang der Siebzigerjahre importierten sie in L.A. noch Spargel aus der Dose. Den berühmten Santa Monica Farmers Market gab es nicht. Ich suchte mir meine Bauern und Viehzüchter zusammen, von denen ich frisches Gemüse und Fleisch bezog. Aber dass ich den Gästen meinen Geschmack aufzwinge, davon bin ich schon lange abgekommen.
»Mit Künstlern habe ich mich immer besonders gut verstanden. Vielleicht, weil ich selbst ein verhinderter bin.«
SPIEGEL: Was ist denn Ihr Geschmack?
Puck: Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, für mich waren frische, saisonale Zutaten schon immer das Wichtigste. Und ich mag es wirklich nicht, wenn Fleisch zu sehr durchgebraten ist. Darüber hatte ich mal eine Auseinandersetzung mit Lauren Bacall. Die wollte ihre Taubenbrust schön durch. Ich servierte sie trotzdem rosa. Wollte sie belehren. Sie hat's nicht eingesehen. Zum Glück blieb sie uns trotzdem treu. So was würde ich heute nicht mehr machen.
SPIEGEL: Haben Sie Lieblingsgäste?
Puck: Sidney Poitier ist Pate meiner Kinder. So sehr mag er mein Kokos-Sorbet! Mit Künstlern habe ich mich immer besonders gut verstanden. Vielleicht, weil ich selbst ein verhinderter bin. Der Andy Warhol gestaltete das Cover der Speisekarte im Ma Maison, dem ersten Restaurant, dass ich in L.A. mit einem Partner betrieb.
SPIEGEL: Der Siebzigerjahre-Hotspot von Hollywood.
Puck: Ja, und das lag bestimmt nicht an der schäbigen Einrichtung. Der Orson Welles kam fast jeden Tag zum Mittagessen. Ein sehr dankbarer Gourmet. An ihm habe ich gern neue Rezepte ausprobiert wie warmen Hummersalat oder getrüffelte Bratwurst. Der Gene Kelly war ein anderer Stammgast und wurde ein guter Freund von mir. Wir spielten regelmäßig Tennis zusammen. Er mochte mein Pfeffersteak. Im letzten Jahr seines Lebens, als er sehr krank war, hat er niemanden mehr in sein Haus gelassen außer seiner Frau und mir. Natürlich gehörte er auch zu meinen ersten Promi-Gästen im Spago. Und brachte seine Freunde Gregory Peck und Billy Wilder mit. Stars attract stars.
SPIEGEL: Die Partys in Ihrem Restaurant sind noch knapp vierzig Jahre später Legende.
Puck: Einer meiner Stammgäste, der Hollywoodagent Swifty Lazar, schmiss im Spago seine private Oscar-Feier. In den Achtzigern war das die wichtigste Einladung, lange bevor es die »Vanity Fair«-Party gab. Die Zeremonie fand damals noch im Shrine Auditorium in Downtown statt. Viele von Swiftys Gästen waren nominiert, und wenn es Zeit war, rasten sie nach Downtown, ihren Oscar entgegennehmen – und dann umgehend zurück nach Hollywood ins Spago.
»Bei meinem ersten Governors Ball kochte ich Risotto für 1500 Gäste auf einem Gasgrill auf dem Parkplatz.«
SPIEGEL: Nach dem Tod des Agenten zog die Party um zur bis dato verschnarchten Veranstaltung der Academy, dem Governors Ball. Sie sollen mit dem Helikopter zwischen Spago und Shrine Auditorium hin- und hergeflogen sein. Ganz schön dekadent.
Puck: Es war der pure Stress, denn wir hatten keine richtige Küche in der alten Oscar-Location. Beim ersten Mal kochte ich Risotto für 1500 Gäste auf einem Gasgrill auf dem Parkplatz, in Wind und Regen. Aber es hat allen geschmeckt.
SPIEGEL: Hollywoodstars sind Glutenphobiker und auf Dauerdiät. Ist das noch inspirierend?
Puck: So viel hat sich in den letzten vierzig Jahren gar nicht geändert. Die Leute gehen durch Phasen, halten drei Monate strikt Diät, aber wenn sie zu mir kommen, wollen sie sich was gönnen. Es kommt nicht mehr so häufig wie früher vor, dass jemand zwei Martinis vor dem Lunch bestellt. Natürlich berücksichtige ich den Geschmack der Zeit. Letztes Jahr, als Leonardo DiCaprio und Joaquin Phoenix für den Oscar nominiert waren, habe ich ein zu 70 Prozent vegetarisches Menü beim Governors Ball aufgetischt. Die beiden sind ja sehr umweltbewusst und der Joaquin ist obendrein noch Veganer.
SPIEGEL: Wieso nur 70 Prozent?
Puck: Weil sich alle wohlfühlen sollen, auch die alte Garde. Die Barbra Streisand möchte ihren Chicken Potpie mit extra Trüffeln, den bekommt sie dann auch. Und der John Travolta seine Mac'n'Cheese. Der Joaquin Phoenix war erst ganz misstrauisch, der dachte wohl, ich kann nur Schnitzel. Da habe ich ihn mit in die Küche genommen. Er probierte sich durch unsere ganzen veganen Gerichte und musste feststellen: »So gut habe ich noch nie gegessen.«
»Der Obama mag seine Lammchops auch zu durchgebraten.«
SPIEGEL: Sie haben mit Nancy Reagan gekocht und für Obama ein Dinner bei George Clooney zu Hause ausgerichtet. Können sich die Parteien wenigstens übers Essen verständigen?
Puck: Der Obama mag seine Lammchops auch zu durchgebraten für meinen Geschmack. Aber das Schöne am Essen ist ja, wie es die Leute verbindet.
SPIEGEL: Im Frühling telefonierten Sie als einer der Vertreter der »Great American Economic Revival Industry Groups« mit Präsident Trump darüber, wie man Ihre Branche durch die Krise führen kann. Sie schlugen einen Plan für Restaurants vor, nachdem Versicherungen für den Geschäftsausfall zahlen sollen und dann von der Regierung entschädigt werden, nach Vorbild der Rettungspakete für Fluggesellschaften. Was wurde daraus?
Puck: Nichts. Trump tat so, als höre er uns aufmerksam zu, aber seitdem konnte der Kongress sich noch nicht zu einem Entschluss durchringen. Dabei steht unsere Branche vor einer Katastrophe. Ich fürchte, mindestens 25 Prozent der kleinen Restaurants in L.A. werden den erneuten Lockdown nicht überleben.
SPIEGEL: Sie aber schon?
Puck: Um mich persönlich mache ich mir wenig Sorgen, viel mehr um meine Angestellten. Ich beschäftige insgesamt 5000 Menschen weltweit. Solange wir noch draußen servieren durften, konnte ich in den USA einige Verluste abfangen. Das Terrassengeschäft läuft naturgemäß besser in Los Angeles als in New York im Winter. Im Gegenteil, ich habe im Spago sogar noch neue Gäste dazugewonnen, denn auf einmal kamen auch junge Leute, die vorher vielleicht Schwellenangst hatten.
SPIEGEL: Und jetzt?
Puck: Ich muss die Krise als Gelegenheit betrachten. Probleme machen mich erfinderisch. Ich hätte nie gedacht, dass wir auf dem Gehsteig vor dem Spago servieren können. Was das für die Zukunft bedeutet! Wie viel billiger es wird, ein Lokal aufzubauen! Eine schöne Terrasse, ein paar Pflanzen… die Leute werden nach der Pandemie noch lieber draußen sitzen. Ich schaue nur nach vorne.