Kalendarisch beginnt der Winter, die Jahreszeit für Ruhe und Einkehr, am 20., meteorologisch bereits am 1. Dezember. Das ist nicht mehr lange hin, doch in meinem Garten blüht es, als ob es kein Morgen gäbe. Rosen, Kapuzinerkresse, Hortensien – das mag dem bisher so milden Herbst geschuldet sein. Aber Passionsblume, Schwarzäugige Susanna, Husarenknöpfchen und Mohn – alles wahre Sonnenanbeterinnen, Hochsommerblüher, echte Warmduscher? Ist das noch normal? Oder ein Zeichen des Klimawandels?
Die Antwort lautet: Es ist offenbar ein Zeichen. Die Erderwärmung provoziert veränderte Vegetationsphasen der Pflanzen. In meiner Gartenfreunde-Facebook-Gruppe habe ich am Anfang des Monats ein paar Bilder gepostet von meinen Blüten und gefragt: »Was blüht bei euch am 2. November?«
Foto: Katharina Stegelmann / DER SPIEGEL
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Blüten im November
Die Vielfalt, die gezeigt wurde, war überwältigend. Dahlien, klar, das sind typische Herbstblumen, doch es waren auch Lupinen und Akelei dabei. Das ist ziemlich verrückt, vor allem die Akelei ist eine klassische Frühsommerschönheit, die normalerweise im Juli ihre Blüten verliert. Eine Frau schrieb: »Eisblumen«, immerhin.
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Wissenschaftlich untersucht und dokumentiert ist vor allem die Veränderung der jahreszeitlichen Entwicklung sogenannter Leitpflanzen. Als solche bezeichnet man zum Beispiel Forsythien, eine der frühesten Pflanzen im Jahresablauf. Mit ihrem Erblühen setzt für den Botaniker eine neue phänologische Phase im Jahr ein, weitere Pflanzen beginnen mit dem Wachstum. Deshalb gilt die Forsythienblüte eigentlich als verlässlicher Indikator, keine harten Fröste mehr fürchten zu müssen, sie ist Startsignal, um zum Beispiel den Rosenschnitt zu erledigen.
Schön, aber gefährlich
Der WWF zitiert zu diesem Thema verschiedene Studien, nach denen zum Beispiel in Hamburg die Forsythienblüte etwa vier Wochen früher beginnt als 1945; Apfel- und Kirschbäume blühen in Deutschland demnach heute um etwa acht Tage eher als noch Ende der Achtzigerjahre. Insgesamt verlängert sich die Vegetationsphase, die Blätter (und Blüten) fallen später im Jahr ab.
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Diese Erscheinungen kann man leider nicht schlicht als ästhetischen Gewinn verbuchen. Dass der Klimawandel aus vielen Gründen eines unserer größten globalen Probleme ist, ist klar. Aber wenn ich mich trotzdem mal kurz auf die Probleme beschränken darf, die das im Garten mit sich bringt: Eines davon ist, dass zum Beispiel die Eisheiligen stur an ihrem Termin im Mai festhalten. Es kann zu Frost kommen, und der trifft nun immer häufiger auf Blüten, die im Gegensatz zu geschlossenen Knospen sehr empfindlich reagieren. Die Obsternte gerät dadurch in Gefahr, auch kurz geschnittene Rosen könnten leiden.
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Das andere Klimaphänomen, das jeden Privatgärtner betrifft, sind die langen Trockenphasen und das damit einhergehende Sinken der Grundwasserspiegel. Darf man überhaupt noch gießen? Der Gartenkustos des Botanischen Gartens in Hamburg sieht das differenziert. Stefan Rust, 59, ist gemeinsam mit dem Leiter der Anlage zuständig für die wissenschaftliche Betreuung der Freiflächen und Gewächshäuser. Privat gärtnert Rust möglichst naturnah und umweltfreundlich. Das Sprengen von Rasenflächen lehnt der Botaniker ab.
In seinem Garten gibt es zwar Grünfläche, die sei aber voller verschiedener Gräser, Klee und Wildkräutern, die immer wiederkämen: »Wenn es im Sommer vier Wochen nicht regnet, wird die Fläche braun, ja. Na und? Nach dem ersten Regen wird das auch wieder grün«, sagt Rust. Wenn man einen einzelnen, wertvollen Strauch mit regelmäßigem, moderatem Gießen über eine Trockenzeit bringt, findet Rust das nachvollziehbar und in Ordnung.
Und wenn man die Flora im eigenen Garten auf sehr trockenverträgliche Pflanzen umstellt? Wäre das eine Methode, dem Klimawandel ökologisch sinnvoll zu begegnen? Schwierig, findet der Pflanzenkundler, denn diese Arten reagierten zumeist sehr empfindlich auf die eher nassen Winter in Deutschland. Dann doch eher auf heimische Gewächse und ihre Anpassungsfähigkeit setzen, meint er.
Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich einen grauen Novemberhimmel – und die bunten Blüten, die sich bis jetzt gehalten haben, heben meine Laune. Eine Mittagsblume steht schon seit vergangenem Jahr, sie blüht seit über zwölf Monaten immer wieder. Vielleicht schafft sie es noch einmal, den Winter zu überleben? Die Mohnblüte allerdings scheint mir ehrlich gesagt in erster Linie ein Resultat unsachgemäßer Gärtnerarbeit zu sein. Erst im August unternahm ich ein Saatexperiment, eigentlich zu spät für diese Blume. Das Ergebnis blitzt mich jetzt fröhlich rot an, Glück muss man auch mal haben.