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Die Sache mit dem Lachs Soll man diesen Fisch noch essen?

Lachs ist der Lieblingsspeisefisch der Deutschen. Aber wegen der Produktion ist er bei Tier- und Naturschützern in Verruf geraten. Zu Recht? Viele Züchter bemühen sich um mehr Nachhaltigkeit.
Von Wolfgang Faßbender

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Allzu schwer tragen muss der aus Zürich abreisende Kunde nicht, nachdem er 54 Schweizer Franken auf den Tisch gelegt hat. Gerade mal 120 Gramm des sogenannten Tsar Nikolaj bekommt er für diese Summe, immerhin hübsch verpackt. Wer den Räucherlachs der Schweizer Edelmanufaktur Balik kauft, will aber ohnehin weniger den akuten Hunger stillen als vielmehr ein kostbares Souvenir mit nach Hause nehmen. Um die Veredelung des Fisches im kleinen Ort Ebersol rankt sich eine schöne, marketingtaugliche Geschichte: Ein Enkel des letzten Räuchermeisters des letzten russischen Zaren kommt darin vor, außerdem ein unternehmungslustiger Entrepreneur in den Siebzigerjahren und eine traditionsreiche Geheimrezeptur. Lange gelagertes Holz und kühler Rauch sollen eine Rolle spielen. Ob das reicht?

Vom Luxusprodukt zur Ramschware

Für viele offenbar schon. Balik-Lachs hat einen guten Ruf bei Delikatessenfans, er steht etwa im neuen Kölner Edelrestaurant Prunier Cologne auf der Speisekarte, zusammen mit Kaviar und Dom-Pérignon-Champagner. Bemerkenswert, denn heutzutage ist es nicht einfach, jemandem Lachs noch als etwas Besonderes zu verkaufen. Die Zeiten, als Saumon fumé in französischen Drei-Sterne-Restaurants wie selbstverständlich unter den Vorspeisen rangierte, sind längst vorüber: Die einstige Delikatesse ist zum Alltagsprodukt geworden. In Supermärkten und Discountern bekommt man ihn nachgeworfen, den geräucherten oder gebeizten Lachs, teilweise für unter zwei Euro pro 100 Gramm, und drittklassige Restaurants verhökern frisches Lachsfilet als Tagesgericht mit Reis und Salat. Billig im Einkauf, billig im Verkauf, oft belanglos am Gaumen. Egal. »Der Lachs ist der beliebteste Fisch der Deutschen – und das schon seit Jahren«, sagt Martina Buck, Sprecherin des Spezialhändlers Deutsche See AG.

Ob man ihn allerdings guten Gewissens verkaufen und verzehren darf, ist umstritten. Der Schauspieler Hannes Jaenicke, seit Jahren im Tierschutz aktiv, riet als Protagonist einer TV-Dokumentation vor zwei Jahren generell davon ab, Lachs zu essen, den aus Zuchten ebenso wenig wie jenen aus Wildbeständen. Andere sind weniger streng. Die Situation der fünf pazifischen Lachsarten Alaskas sei »größtenteils gut«, schreibt der WWF in seinem Fischratgeber – was für den gezielten Kauf aus Wildbeständen spricht. Und auch bei den Zuchten gibt es fraglos Unterschiede. Man muss schon schauen, wo man kauft – und das tun etliche Anbieter. »Der weitaus größte Teil des von uns verkauften Lachses stammt aus Norwegen«, sagt die Deutsche-See-Vertreterin Buck, »aus Chile kaufen wir gar nicht«.

Ohne Norwegen ginge in der Lachszuchtbranche wenig, da sind sich alle einig, auch die Schweizer Balik-Manufaktur deckt sich dort ein. Zuchten gibt es allerdings auch anderswo: Manche Restaurants legen Wert darauf, dass der Name Schottland auf der Karte steht, andere loben den Lachs der Färöer, wieder andere reden pauschal von Wildwasserlachs, meinen Zuchtware, haben aber nichts dagegen, wenn der naive Kunde ihn mit Wildlachs verwechselt. Gezüchtetes aus Neuseeland, unter dem Begriff Ora King verkauft und bisweilen als »Wagyu der Meere« apostrophiert, soll aus einem der reinsten Gewässer der Erde stammen. Der Parteilichkeit unverdächtige Köche loben tatsächlich seinen Geschmack, tischen Tranchen des zur Gattung der Pazifischen Lachse zählenden Königslachses gern roh als Sashimi auf.

Etabliert hat sich mittlerweile auch die biozertifizierte Aquakultur, doch selbst die steht vor den bekannten Problemen der Lachszucht im Meer: Entschwommene Tiere etwa können Krankheiten auf wildlebende Artgenossen übertragen, die Böden werden durch Ausscheidungen belastet, die Schlachtung bedeutet Stress für die Tiere. Ob neuartige Systeme, die auf strikte Filterung des Wassers und Käfige setzen, die Zukunft sind? Immerhin haben etwa die norwegischen Züchter den Einsatz von Antibiotika drastisch reduziert, und auch der Anteil des verfütterten Fischmehls ist merklich gesunken. Jede Art von Lachskonsum als gleichermaßen verachtenswert einzustufen, scheint ein bisschen zu pauschal.

Forellen lassen sich viel einfacher züchten

Aber warum nicht das Meer ausschalten und so im Handstreich Probleme lösen? Tatsächlich ist im Süden des Schweizer Kantons Graubünden bereits eine Zucht abseits der Fjorde aktiv. »Die Nachfrage ist riesig«, sagt Ronald Herculeijns, Director Sales & Marketing der im bündnerischen Ort Lostallo angesiedelten Swiss Alpine Fish AG, die im geschlossenen System produziert. Schweizer Gastronomen haben die regionale Alternative für sich entdeckt, schätzen Frische, kurze Lieferwege, Geschmack und nicht zuletzt das Flair der Nachhaltigkeit, welches dieses Produkt umweht. Wobei die Zucht in Lostallo nicht autark ist: Die Lachseier kommen aus Island, und weil der Lachs nicht wahllos alles frisst, müssen zwingend Fischmehl und Fischöl ins Futter.

Nachhaltigkeit? Schon. »Der Anteil Fischmehl im Fischfutter wurde in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich reduziert und beträgt noch 20 Prozent«, sagt Herculeijns, »der Anteil Fischöl im Fischfutter beträgt 15 Prozent«. Soll man es als Schritt in die richtige Richtung loben oder als Augenwischerei verdammen? Eine Frage des Standpunkts. Geld zu verdienen mit der Binnenlachszucht scheint übrigens nicht einfach zu sein, denn der Aufwand bei Tanks, Strom, Wasser und Zeit ist erheblich; Forellen lassen sich wesentlich einfacher züchten. Der Cashflow sei positiv, heißt es dennoch aus Lostallo, wohl auch deshalb, weil hier nicht nur produziert, sondern auch veredelt wird.

Mit interessierten Kunden rechnet auch Patrick von Hertzberg; allerdings dürfte es noch dauern, bis die von ihm und seiner Tochter geführte Firma BeLLa Berliner Landlachs GmbH & Co. KG die ersten atlantischen Lachse (Salmo Salar) einfährt. Ein erster Ansatz im brandenburgischen Eberswalde scheiterte, die Behörden wollten wegen der benötigten Wassermenge nicht zustimmen. Hertzberg will nun im mecklenburgischen Malchow durchstarten, hofft schon bald bauen und wenig später fischen zu können.

Es gibt Alternativen zum Lachs

In welches Segment der Restaurants Hertzberg-Lachs dereinst Waren liefern könnte, ist klar: in die gehobene Gastronomie. Sofern die dann auch in zwei, drei Jahren noch Lachs haben will. Manche Spitzenköche haben nämlich schon die Hannes-Jaenicke-Regel übernommen und das Produkt komplett gestrichen, andere führen nach wie vor Räucherlachs oder den mit Dill, Salz und Zucker im Nu gebeizten Graved Lachs auf ihrer Karte und bekommen einen roten Kopf, wenn man sie darauf anspricht. Für Fabio Haebel, Chef des etwas anderen Hamburger Fischrestaurants XO Seafoodbar, ist die Sache dagegen klar. Er ist kein Lachs-Fan, der Nachhaltigkeit wegen. »Davon ab, möchten wir gerne zeigen, was es neben Lachs, Kabeljau und Thunfisch noch so gibt und dass auch Karpfen, Hecht, Wittling, Stint und Co. interessant und spannend sind.« Päpstlicher als der Papst ist aber auch Haebel nicht. »Einzige Ausnahme – Ostseelachs auf Wanderschaft!«

Bei Balik-Käufern, die ihren Schweizer Luxusfisch mit nach Hause nehmen, sind derlei Überlegungen wohl sekundär. Sie erfreuen sich am tatsächlich feinen Geschmack der in Ebersol produzierten Ware und am Balik-Mysterium, dem auf den Grund zu gehen nicht ganz einfach ist. Jener Israel Kaplan, Enkel eines Rigaer Hoflieferanten des Zaren, der dem Gründer der Firma 1978 die Kunst der Zubereitung verriet, bleibt nämlich ebenso geheimnisvoll wie sein Rezept. Fotos des Mannes finden sich keine auf der Website der Firma. Recherchen ergeben bloß, dass er in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts in Aachen beigesetzt worden sein soll. Immerhin dürfte er noch mitbekommen haben, welch verblüffende Karriere stinknormaler norwegischer Zuchtlachs machen kann.

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