

Konsumkultur und Nachhaltigkeit "Ich behaupte nicht, Designer wären bessere Menschen!"
SPIEGEL: Der amerikanische Designer Viktor Papanek sagte einmal: "Es gibt Berufe, die mehr Schaden anrichten als der des Designers. Aber viele sind es nicht." Stimmt das?
Frenzl: Wir kultivieren in unserem Beruf natürlich eine gewisse Überheblichkeit und glauben, die Welt besser zu verstehen und mit unserer Kreativität bereichern zu können. Aber die Frage ist: Sind wir bloß Erfüllungsgehilfen des Marketings? Oder übernehmen wir wieder die gesellschaftliche Verantwortung, die wir als Designerinnen und Designer haben? Das ist in den vergangenen Jahren mit Themen wie Social Design wiederentdeckt worden. Darin liegen eigentlich die Wurzeln unserer Profession.
SPIEGEL: Inwiefern?
Frenzl: Schon im Werkbund oder dem Bauhaus (das "Staatliche Bauhaus in Weimar" war eine Kunstschule für Architektur. Städtebau und Design, Anm. d. Red.) ging es darum, langlebige Gebrauchsgüter für jedermann zu gestalten und damit die Gesellschaft zu verändern.
SPIEGEL: In der Öffentlichkeit kommt das nur bedingt an. In ihrem Buch "Designerglück" schreiben Sie, dass Design oft als etwas latent Unsympathisches, etwas für die oberen Zehntausend und auch als etwas Kaltes wahrgenommen wird. Woher kommt das?
Frenzl: Der Eindruck einer schrillen Disziplin, die alles Eckige rund und alles Runde eckig macht, ist vielleicht durch die Bewegungen der Achtzigerjahre wie zum Beispiel das Mailänder Designkollektiv Memphis entstanden, die mit den dogmatischen, nüchternen Formen der Moderne brachen, sie betont überzeichneten und mit schrillen Mustern übersäten. Die damit ausgedrückte Funktionalismuskritik ist vielen gar nicht klar. Auf der anderen Seite muss man noch immer darüber sprechen, wie die Moderne in der breiten Masse angekommen ist: Das Bild nüchterner, kalter Klötze in der Architektur hat sich festgesetzt. Ein Bild, das die Kritiker der Moderne von Anfang an auch überzeichnet und als Diffamierungsstrategie gewählt haben.

Memphis war eine Design-Gruppe, die 1981 von Ettore Sottsass gemeinsam mit Architekten und Gestaltern in Mailand gegründet wurde. Der Name stammt aus einem Song von Bob Dylan: "Stuck Inside of Mobile with the Memphis Blues Again" lief während des Gründungstreffens in Dauerschleife. Memphis-Design war die Antwort auf die funktionale Formensprache der Modernisten und den Minimalismus der Siebzigerjahre.
Foto: FilL239/ iStockphoto/ Getty ImagesSPIEGEL: Aber das Design der Moderne erlebt gerade ein Revival…
Frenzl: Es gibt eine regelrechte Emotionalisierung der Moderne! Noch vor ein paar Jahren hätte man jemanden wie Dieter Rams, der jahrzehntelang das Produktdesign der Firma Braun geprägt hat, als gestrigen Funktionalisten kritisiert. Jetzt sieht man ihn als jemanden, der sich sehr früh mit Nachhaltigkeit und Langlebigkeit beschäftigt hat. In Japan wird Rams wie ein Gott verehrt.
SPIEGEL: Rams ist zu einer Art Popstar geworden. Wieso?
Frenzl: Das hat mit der Neubewertung zurückhaltender, langlebiger Entwürfe zu tun, aber auch mit den Apple-Produkten, die Braun-Entwürfe aus der Mitte des letzten Jahrhunderts zitierten. Es liegt aber auch an den Medien und am unstillbaren Bedürfnis, Entwürfe mit großen Namen und Geschichten von Stardesignern zu verbinden.

Design-Vorbild Dieter Rams: Apples Lifestyle-Geräte, die von Jonathan Ive maßgeblich entworfen werden, orientieren sich an Produkten des ehemaligen Braun-Chefdesigners Dieter Rams und seinen Produkten aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren.
Foto: Roman RaackeSPIEGEL: Wir wollen ein Design also zuordnen können wie ein Gemälde oder ein Buch?
Frenzl: Genau. Bei Rams greift das jedoch zu kurz. Er war bei Braun Leiter eines Teams, in dem unterschiedliche Personen an den Entwürfen beteiligt waren. Seine Bekanntheit hat wohl auch mit den Verkürzungen der digitalen Welt zu tun – in diesem Fall mit Ebay, wo bei jedem Braun-Gerät "Entwurf: Dieter Rams" steht, auch wenn das gar nicht stimmt.
"Bauhaus" ist zum Schlagwort geworden
SPIEGEL: Ärgert es Sie, dass "Bauhaus" - eigentlich eine Hochschule - heute als Marketingbegriff verwendet wird?
Frenzl: Ja, "Bauhaus" ist zum Schlagwort, zu einer Art Dachmarke der Moderne geworden. Zum Bauhaus-Jahr liefen viele Filme mit historischen Fehlern. Meinen Studierenden ist nicht klar, dass die Geschichte für einen Fernsehfilm zugespitzt wurde. Ich versuche, ihnen zu vermitteln, dass "Bauhaus-Stil" ein falscher Begriff ist. Es gab viele Bewegungen, die sich in dieser Zeit mit neuen Formen des Wohnens und Lebens beschäftigten. Man kann vom Stil der Neuen Sachlichkeit sprechen. Aber an sich ging es darum, sich von Stil-Begriffen zu lösen.

Das zum Unesco-Weltkulturerbe gehörende Bauhaus in Dessau. Das Staatliche Bauhaus wurde 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründet und musste später wegen mangelnder finanzieller Unterstützung nach Dessau umsiedeln. Bauhausdirektor Gropius entwarf den Neubau für die Schule, die im Dezember 1926 eingeweiht wurde.
Foto: Z5328 Jens Wolf/ dpa/dpawebSPIEGEL: Das Bauhaus stand für Nachhaltigkeit, was heute ein riesengroßes Thema ist. Jeder Möbelhersteller hat mittlerweile einen Stuhl im Angebot, der aus den Holzresten anderer Stühle hergestellt wird…
Frenzl: Man kann von Nachhaltigkeit sprechen, wenn man den gesamten Prozess des Entwurfs, der Fertigung und der späteren Weiterverarbeitung bewusst gestaltet und in Kreisläufen denkt. Es geht darum, sozial verantwortungsvoll zu produzieren und etwa Abfall gar nicht erst entstehen zu lassen. Meistens wird der Begriff völlig falsch verwendet.
SPIEGEL: Haben Sie ein Beispiel?
Frenzl: Auf der Möbelmesse in Köln kritisierte ich vergangenes Jahr, dass Vitra wieder Fiberglasstühle herstellt, bloß weil es der Markt verlangt. Der Vitra-Designchef sagte: Die sind nachhaltig, weil sie lange nicht weggeworfen werden. Das ist falsch gedacht. Selbst wenn so ein Stuhl erst in 150 Jahren auf den Müll kommt, lassen sich die zwei Materialien nicht mehr trennen und sortenrein weiterverarbeiten. Das verlagert das Problem nur auf spätere Generationen.
SPIEGEL: Auch der Endverbraucher ist verantwortlich. In einer Ihrer Kolumnen schreiben Sie, dass auch Sie ganz gerne das neue iPhone haben und nicht ein älteres Modell…
Frenzl: Ich behaupte nicht, Designer wären bessere Menschen! Wir gehen beobachtend durch die Welt, analysieren die Phänomene der Konsumkultur, stellen den Drang zur Distinktion aber auch an uns selbst fest. Ich kritisiere Instagram – bin da aber natürlich auch. Und ich laufe über die Möbelmesse und sage: "Kenn ich schon, gibt’s hier nichts Neues?" Wir befinden uns leider noch immer in der Tradition, die Zukunft unserer Gesellschaft in neuen Produkten zu suchen. Man kann aber auch dem Journalismus vorwerfen, dass er diesen Wunsch bedient und bei Design nur über das Neue, Schrille und Abgefahrene berichtet.
SPIEGEL: Sie kritisieren, dass im Design kaum ein Diskurs stattfindet. Haben sich die Beteiligten zu lieb?
Frenzl: Vielleicht ist unsere kleine Branche zu eng verbandelt. Bizarr ist: Die Designer ordnen in den Medien ihre Entwürfe meist selbst ein, Designkritiker werden nicht gefragt – das gibt es in keiner anderen Disziplin! Design, das sich nicht abbilden lässt – Konzepte, Inhalte, Forschung –, hat es schwer in den Publikumsmedien. Auch auf Spiegel.de findet sich Design unter der Rubrik "Stil" und nicht etwa bei "Kultur", "Wissenschaft" oder "Wirtschaft", wohin es selbstverständlich auch gehört. Deshalb kommt vieles von dem, was wir tun, in der breiten Öffentlichkeit nicht an. Dass wir etwa nicht nur überlegen, wie so ein iPhone aussieht, sondern auch, was es mit uns macht.
SPIEGEL: Aber gerade die Geräte von Apple haben es mittlerweile doch in die Museen geschafft!
Frenzl: Meist werden sie dort aber nur ausgeschaltet gezeigt, tote Produkte. Mit der Digitalisierung und dem Verschwinden des Gegenständlichen spielt die Hardware aber eine immer geringere Rolle. Wichtig ist, wie die Dinge funktionieren und sich vernetzen, welche Bedeutung diese Objekte, künstliche Intelligenz und Software für unser Leben haben.

Schwer im Kommen: Die Rückkehr der Buntmetalle wie Kupfer im Möbeldesign ist für Markus Frenzl "Ausdruck des Bedürfnisses nach Handwerklichem und Authentischem im Zeitalter des Digitalen".
Foto: KatarzynaBialasiewicz/ iStockphoto/ Getty ImagesSPIEGEL: Es gibt immer sogenannte Designforscher, die während Möbelmessen nach dem neuen Trend gefragt werden und dann pflichtbewusst aufsagen, dass jetzt zum Beispiel Kupfer oder helles Holz angesagt sind. Wie entstehen solche Trends eigentlich?
Frenzl: Die Leute fotografieren alles, was gelb ist, und schreiben, der neue Trend sei gelb. Manchmal ist es aber gar nicht uninteressant: Die Rückkehr der Buntmetalle etwa ist sicher Ausdruck des Bedürfnisses nach Handwerklichem und Authentischem im Zeitalter des Digitalen. Als verantwortungsvoller Designer versucht man idealerweise aber, keine Trends zu bedienen und den Konsum zu befeuern, sondern Alternativen zum Massenkonsum zu entwickeln.
SPIEGEL: Es gibt also gar keine Trends mehr?
Frenzl: Es gibt längst alles. Trends sind oft ein Versuch, den Leuten Orientierung zu geben: Als weltgewandter Mensch richtet man sich jetzt so und so ein… Aber natürlich sind Individualität und Unabhängigkeit von Trends längst selbst Trend – und wir alle in unserer Individualität wieder erstaunlich uniform.