Fotostrecke

Kleinstadtleben: Alles nur Fake

Foto: Matt Henry/ Kehrer

Smalltown-Fotografie von Matt Henry Ein Traum von Amerika

Plateauschuhe, Miniröcke, Hornbrillen: Der Fotograf Matt Henry erweckt die USA der Sechzigerjahre zum Leben. Alle Szenen sind liebevoll nachgestellt, die meisten Fotos hat er in England aufgenommen.

Matt Henry lebt in der Vergangenheit. In seiner kleinen Wohnung in Brighton an der Ärmelkanalküste lagert der englische Fotograf Sofas, Schränke, Regale, Teppiche, Schreibmaschinen, Fernseher und Telefone, die vor mehr als 50 Jahren hergestellt worden sind. "Es fühlt sich an, als würde ich in einem Museum leben", sagt er.

Der 37-Jährige hat in den vergangenen Jahren mehrere Tausend Pfund ausgegeben, um sich den ganzen Trödel aus den Sechziger- und Siebzigerjahren anzuschaffen. Die Stücke erwarb er bei Auktionen und über die Verkaufsplattformen Ebay und Etsy. Er braucht sie für seine Shootings. Denn für seine Fotos erweckt er das alte Amerika wieder zum Leben.

Zur Person
Foto: Matt Henry

Matt Henry wurde 1978 in England geboren. Er ist in North Wales aufgewachsen und studierte erst Politik und dann Fotografie. Henry lebt und arbeitet in Brighton.

"Short Stories" hat er seinen Bildband genannt. Und in dem Buch findet der Betrachter tatsächlich viele verschiedene Kurzgeschichten: Henry fotografiert Hippies, die gegen den Vietnamkrieg demonstrieren, Menschen, die an Moteltüren klopfen, vor Fast-Food-Kaschemmen rauchen oder sich im Fernsehen Richard-Nixon-Reden anhören. Der Fotograf stellt das Konservative gegen das Liberale, das Dunkle gegen das Helle, wie er sagt.

Warum er sich als Engländer für diese Zeit in den USA interessiert, erklärt Matt Henry  so: Das Land habe geboomt. Die sexuelle Revolution nahm ihren Lauf, die Menschen demonstrierten gegen den Krieg, für die Freiheit und die Bürgerrechte. Der Feminismus befand sich im Aufwind, und die Musiker waren noch stark politisch. Außerdem sei die Zeit auch modisch sehr interessant gewesen. "In den Sechzigerjahren änderten sich die Haarschnitte und Kleidungsstile wahnsinnig schnell", sagt Henry.

Anzeige

Matt Henry:
Short Stories

Englische Ausgabe

KEHRER Heidelberg;
112 Seiten; 39,90 Euro

Buch bei Amazon: "Short Stories" von Matt Henry 

Die Welten, die der Fotograf kreiert, zeigen keine Metropolen wie New York oder San Francisco, sondern die Provinz. Die Szenen könnten sich so überall abspielen. Die Hotels tragen keine Namen, die Restaurants wirken anonym. Rund 80 Prozent der Bilder hat Henry nicht einmal in den USA aufgenommen - sondern in Brighton. "Ich habe mir die Locations einfach selbst geschaffen und mit verschiedenen Dingen ausgestattet", sagt er.

Die restlichen Bilder sind an einem Filmset in Kalifornien entstanden, das er zufällig bei der Internetrecherche gefunden hat, wie er sagt. Als er das Set mit den Motels und Diners im Sechzigerjahre-Stil entdeckte, sei er so aufgeregt gewesen, dass er vier Tage lang nicht richtig habe schlafen können, sagt er. Dieses Set habe vollkommen seinen Vorstellungen von einem alten Amerika entsprochen. "Es ist sehr schwer, Dinge aus den Sechzigerjahren in den USA zu finden", sagt Henry. "Die konzentrieren sich auf das Moderne und bewahren ihre Erbe nicht so, wie es die Europäer tun."

Das, was sich auf Henrys Fotos abspielt, ist im Grunde genommen langweilig. Doch dem Fotografen geht es weniger um das Geschehen, vielmehr geht es ihm darum, das Unechte zu feiern. Bei ihm ist alles nur Fake. "Die reale Welt enttäuscht mich immer ein bisschen", sagt Henry. Vielleicht sei das so wie bei jemandem, der lieber fiktive Romane schreibe. "Jeder ist immer so verrückt nach dem Realen, aber warum bloß?", fragt Henry.

Der Fotograf zieht es vor, bei null anzufangen. "Ich kann viel kreativer arbeiten und habe so die totale Kontrolle über alles. Wenn ich also eine spezielle Tapete in meinen Bildern haben will, dann bestelle ich mir auf Ebay einfach genau die, die ich im Sinn habe." Auch die Menschen, die man auf Henrys Fotos sieht, wurden nur so ausgestattet und geschminkt, wie es sich der Fotograf wünschte. Henry engagierte dafür extra Visagisten und Kostümdesigner, die sich auf diese Zeit spezialisiert haben und den Models etwa vorgefertigte Hochsteckfrisuren auf den Kopf setzen.

Obwohl Matt Henry Serien wie "Twilight Zone" oder Filme wie "Easy Rider" mag, wollte er nie selbst welche drehen. Es sei leichter, die Kontrolle über ein Bild zu behalten als über 24 in der Sekunde. "Ich bleibe lieber bei einer Aufnahme, ich mag das Statische", sagt er.

Henrys Bilder erinnern zugleich an "Fargo" und David Lynch. In ihnen erkennt man die ausweglose Einöde, aus der es die Menschen nicht herausschaffen, obwohl sie davon träumen, einmal nach Los Angeles zu kommen. "Mir gefällt Smalltown-Amerika", sagt Henry indes. Er stehe auf die Gleichförmigkeit, den Zusammenhalt der Gemeinschaft und auf die Natur. Es gebe Städte, die fünf Stunden von der nächsten entfernt seien. Dazwischen befinde sich gar nichts. "Die Leute dort können doch machen, was sie wollen. Die können sich auch die blödesten Klamotten anziehen."

Auch Henry zieht sich blöde Klamotten an, wie er sagt: Wrangler-Trucker-Jeans und karierte Hemden. Er mag die Farben aus den Sechzigern, die hellen und dunklen Blautöne, die tiefen Rottöne. In Brighton gingen die auch, sagt er.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren