Foto: HGEsch/ HGEsch Photography/ Tecta

Trends von der Möbelmesse Die neue Bequemlichkeit

Die Zeiten sind unruhig, da darf es zu Hause gern behaglich zugehen. Und nachhaltig natürlich. Ein Besuch bei der Möbelmesse imm cologne.
Von Uta Abendroth

Mit Wohntrends ist das so eine Sache. Sieht man die eine Tendenz hier bestätigt, wird sie dort widerlegt. Den einen Stil gibt es, wie in der Mode, nicht mehr. Genau das spiegelt die Möbelmesse in Köln wider, wo in dieser Woche die ganze Vielfalt des Einrichtens präsentiert wird. Natürlich kommt gerade auch die Möbelbranche auf der imm cologne nicht an dem Thema Nachhaltigkeit vorbei. Interessant ist, wie unterschiedlich argumentiert wird. 

Es tun sich, ganz grob, zwei Lager auf. Im Kern geht es um eine Frage der Definition: Während Hersteller wie Kartell oder Emeco auf die Verwendung von Recyclingmaterialien für ihre Stühle setzen, propagieren Firmen wie Artek oder Knoll International langlebige Produkte, die im besten Fall vererbbar sind, damit Ressourcen schonen und einen bleibenden Wert darstellen. Allerdings bringt weniger Konsum Probleme für Produzenten, den Handel und Arbeitsplätze mit sich. 

Was Nachhaltigkeit wirklich für die Branche bedeutet, darüber wird in nächster Zeit sicher verstärkt diskutiert. Einen originellen Ansatz verfolgt jedenfalls das Designbüro The New Raw aus Rotterdam: Im 3D-Druckverfahren kreieren sie aus Kunststoff-Hausmüll Straßenmöbel. Das kann sogar vor Ort geschehen und macht lange Transportwege überflüssig. Derartige Konzepte gelten als zukunftsfähig, da sich die Technologie rasant entwickelt und 3D-Drucker günstiger werden. 

Trotz aller technischen Aspekte, im Interior Design dreht sich immer mehr um Wohnlichkeit. Das gilt für die private Umgebung ebenso wie für die Gestaltung von Büros, Hotels und Restaurants. Dazu passen unter anderem die bequemeren Stühle. Ob bei Thonet, Horgenglarus oder Tecta, man sitzt weniger formell und gleichzeitig mit einer großzügigen Rückenlehne, die den Sitzenden geradezu umfängt. Da braucht man nach dem Essen nicht aufs Sofa zu wechseln, sondern kann komfortabel gepolstert sitzen bleiben. Stoffe sind haptischer, Samt gibt es noch, aber vor allem Bouclé und fast schon teddyartige Stoffe erleben ein Comeback. Die Farben von Sofas, Sesseln, Wandschränkchen oder Konsolen changieren zwischen Altrosa, Nude, Make-up-Tönen und warmem Rot.

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Trends von der Möbelmesse

Die Farbexpertin Dr. Hildegard Kalthegener erklärt die Neigung zu diesen Nuancen: "Die Sehnsucht nach Gemütlichkeit, Sicherheit und Ehrlichkeit ist weit verbreitet, was durch Farben im Wohnraum ausgedrückt werden kann. So sieht aktuell das Rosé nicht nach Barbie und Glitzerwelt aus, sondern etwas erdiger, wie ein Terrakotta, das in Richtung Pastell tendiert. Diese Farbe hat sich traditionell bewährt und wurde schon von dem Architekten Le Corbusier verwendet; sie entspricht aber ebenfalls perfekt dem Zeitgeist unseres neuen Jahrzehnts." 

Trautes Heim

Dass das eigene Zuhause sich für immer mehr Menschen zum sozialen Lebensmittelpunkt wandeln, führte schon vor einiger Zeit zur Schöpfung des Begriffs Homing. Diese Lebensart bedeutet, dass man seine Freizeit vorzugsweise zu Hause verbringt, dort mit Freunden kocht oder zusammen eine Serie schaut. Klar, dass Möbel dann bestimmte Funktionen erfüllen oder eine spezielle Rolle spielen müssen. So bringen immer mehr Polsterhersteller wie etwa Rolf Benz und Cor Sofas auf den Markt, die frei kombinierbar und flexibel sind. Die Systeme lassen sich mit Ablagen ergänzen, mit Tischen und Auflagen aus Holz, Metall oder sogar Marmor. Da steht der Laptop ebenso gut wie ein Tablett, ein Glas oder eine Vase. Denn auch das gehört zur Atmosphäre: schöne dekorative Objekte, die ein Zuhause personalisieren. 

Im Zuge von "mehr Gastlichkeit" erleben Barschränke und Servier- oder Barwagen ein erstaunliches Revival. Galt dieser Typus vor ein paar Jahren noch als der Inbegriff der Spießigkeit, handelt es sich jetzt um die Möbel der Stunde. Die Label More, Northern und Draenert haben stilistisch sehr unterschiedliche Versionen in ihren Kollektionen, aber sie alle stehen dafür, dass der geschmackvoll servierte Drink in den eigenen vier Wänden wieder seinen Stellenwert hat. 

Die eigene Bar

Die Retrowelle ist noch an anderer Stelle zu beobachten. Entwürfe aus dem vergangenen Jahrhundert werden neu aufgelegt, erstmals produziert oder um Varianten ergänzt. Engelbrechts relauncht beispielsweise den Klappstuhl "Zdown", den Erik Magnussen 1968 designte, und der perfekt in die immer kleineren städtischen Wohnungen passt. Ein weiteres dänisches Label, Gubi, zeigt die Neuinterpretation des Siebzigerjahre-Entwurfs "Wonder Sofa". Walter Knoll greift für seinen Relaxsessel "375" auf eine Serie aus dem Jahr 1957 zurück, Wittmann für seinen Ohrensessel "Contessa" auf ein Möbelstück von 1956. 

Das klingt nicht nach großer Dynamik, untermauert aber, dass viele Entwürfe des 20. Jahrhunderts so gut waren, dass sie - im übertragenen Sinne - einen langen Atem haben. Zusätzlich ist da dieses in unseren digitalen Zeiten oft zu vernehmende Grundrauschen, dass früher alles besser war. 

Last but not least geht die Erweiterung des Wohnraums ins Freie weiter. Von Cassina über Ames bis zu Ligne Roset sind Möbel das Nonplusultra, die genauso gut drinnen stehen könnten, aber dank ihrer speziellen Stoffe und Materialien UV-Strahlen und Regen trotzen. Nanimarquina bündelt gleich mehrere der derzeitigen Strömungen in einem Stück: Der dekorative Outdoor-Teppich "Silhouette" von Jaime Hayon ist aus recycelten PET-Flaschen gefertigt.

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