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Berliner Restaurant: Lecker, eine Lauchzwiebel!

Foto: Caroline Prange

Berliner Regionalrestaurant "Dem Kohlrabi fehlt die Wertschätzung"

Keine Zitrone, nicht mal Olivenöl: Die Betreiber des Nobelhart & Schmutzig kochen das ganze Jahr über nur mit regionalen Zutaten. Manche Gäste reagieren verschreckt, andere jubilieren.
Von Peter Lau

Es ist leicht, das Restaurant Nobelhart & Schmutzig  im unglamourösen Teil der Friedrichstraße hinter dem Checkpoint Charlie zu übersehen: Vor den Fenstern hängen Vorhänge, und die Tür ist verschlossen - wer hier essen will, muss klingeln. Diese Einlasshürde erinnert an gehobene Bars, in denen nicht jeder gern gesehen ist, weil neben den Getränken und dem Interieur eben auch die Gästemischung stimmen muss. Und von dort kommt die Idee, denn der Betreiber Billy Wagner ist weder Koch noch Gastwirt, sondern ein Mann für den gehobenen Trinkgenuss: ein Sommelier.

Weinexperten haben noch nicht ganz die Prominenz von Rockstars erreicht, doch der 34-Jährige ist auf dem besten Weg dorthin: Er wurde zum Sommelier des Jahres gewählt und gilt als Garant eines guten Abends. Auf die Teller des Restaurants, das er gemeinsam mit dem Koch Micha Schäfer führt, kommen nur erstklassige lokale Produkte. Das gilt sogar für Gewürze - nicht einmal Pfeffer, Zitrone oder Olivenöl kommen zum Einsatz. Es wird nur ein einziges Menü angeboten, das von der Jahreszeit und lokalen Angeboten abhängt. Wasser mit und ohne Kohlensäure ist im Preis inbegriffen - aber nur gefiltertes Leitungswasser. Ein Gespräch mit Wagner und Schäfer über das Einfache, das alles andere als simpel ist.

SPIEGEL ONLINE: Herr Wagner, Sie haben in der berühmten Weinbar Rutz gearbeitet. Doch im Februar haben Sie Ihr eigenes Restaurant eröffnet. Warum tun Sie sich den Stress an?

Wagner: Ich habe schon immer viel gearbeitet. Ich bin da wie ein Künstler: Die arbeiten auch immer. Und würdest du ihnen die Kunst wegnehmen, würden sie zusammenbrechen. Ich wollte komplett selbst bestimmen, was ich tue. Ich wollte einen Ort, an dem es gutes Essen gibt - auch für mich!

SPIEGEL ONLINE: In Berlin werden ständig Restaurants eröffnet. Doch vor der Eröffnung des Nobelhart & Schmutzig ging ein Raunen durch die Szene - warum?

Wagner: Wir arbeiten nur mit regionalen Produkten, wir wollen unsere Produzenten kennen, wir beschränken uns, um unsere Ideen zu verwirklichen. Ich glaube, die Leute haben das Gefühl, uns geht es wirklich um Inhalte - und das fanden sie von Anfang an gut.

SPIEGEL ONLINE: Waren die regionalen Produkte der Ausgangspunkt für das Restaurant?

Wagner: Am Anfang stand nicht die Regionalität, sondern der Tresen: Bei uns sitzt man nicht an Tischen, sondern an einer Theke rund um die Küche. Ich habe mal einen sensationellen Abend an der Theke des Dos Palillos verbracht, einem Restaurant in Barcelona. Ich habe den ganzen Abend die Köche beobachtet und den Küchenchef gefragt, ob er noch ein wenig Knochenmark für mich hat. Er hat mir zwei Scheiben hingestellt, die er übrig hatte. Das war cool! Der Koch sieht, dass du Interesse hast - das ist für ihn schön. Und du bekommst, was du willst. Es gibt so viele Menschen, die im Restaurant sitzen und sich nichts zu sagen haben. Aber so passiert die ganze Zeit etwas, direkt vor ihnen. Sie können zuschauen - und sie können sich darüber unterhalten.

SPIEGEL ONLINE: Und was dachten Sie, Micha Schäfer, als Sie hörten, dass Sie in Zukunft zwischen den Gästen arbeiten sollen?

Schäfer: Ich fand das sehr gut. Als Koch kennt man normalerweise nicht mal die Stammgäste. Hier bekommt man alles mit, Lob wie Kritik. Das muss man natürlich abkönnen. Ich sehe, wie die Gäste essen, wie ihre Haltung ist oder ihre Gestik, und kann reagieren.

SPIEGEL ONLINE: Ändert sich durch den ständigen Kontakt die Küche?

Schäfer: Wenn man es zulässt. Wir haben im Moment dicke Bohnen auf der Karte und festgestellt, dass einige Gäste die pulen, obwohl sie eigentlich fertig sind. Da haben wir uns gefragt, ob wir die Bohnen so servieren sollten, wie es die Gäste gewohnt sind. Wir haben uns dann aber entschieden, ihnen ausdrücklich zu sagen, dass sie die Bohnen so essen sollen, wie sie da liegen.

SPIEGEL ONLINE: Aber wie kamen Sie nun auf Ihren Regionalstil?

Wagner: Die Radikalität öffnet neue Türen: Du kannst nicht einfach auf Zitronen zurückgreifen, wenn du Säure brauchst - du musst dir wirklich Gedanken machen.

SPIEGEL ONLINE: Während die höhere Gastronomie in der Regel versucht, den Gast mit einer komplexen Kreation zu beeindrucken, ist der erste Gang in Ihrem aktuellen Menü eine einzelne gegrillte Frühlingszwiebel mit einem Klecks Sauce...

Wagner: Zu Hause schiebe ich zum Beispiel nur Kürbis in den Ofen oder nur Fenchel, und serviere den dann so - ganz klar und schlicht. Ich mag auch sehr gerne die chinesische Küche. Da stehen zwölf Teller auf dem Tisch, und auf jedem Teller ist eine Sache: Hähnchenschenkel, Pak Choi, Gurke...

SPIEGEL ONLINE: Das geht aber nur mit guten Zutaten. Derartig pure Teller sind extrem abhängig von der Produktqualität, oder?

Schäfer: Es war nicht einfach, die richtigen Lieferanten zu finden. Das war meine Arbeit im vergangenen Jahr, und ich bin damit noch nicht fertig. Ich suche immer weiter.

SPIEGEL ONLINE: In der Regel wird alles bei wenigen Lieferanten bestellt. Wie viele haben Sie?

Schäfer: Um die dreißig: zwei für Fisch, einen für jedes Tier, acht für Gemüse, und jeweils einen für Salz, Mehl, Honig und so weiter.

Wagner: Beim Großhändler kaufen alle. Da hast du am Ende das gleiche auf dem Teller. Natürlich wird jeder Controller sagen, dass unser Weg nicht geht, dass wir Bestellungen bündeln müssten. Hinzu kommt, dass man besser Rabatte aushandeln kann, wenn man bei einem viel bestellt. Aber du verlierst dann an Qualität.

Schäfer: Mit mittelmäßigen Produkten kann man nicht so kochen, wie ich es tue.

SPIEGEL ONLINE: Aber man muss sich das leisten können.

Wagner: Das kann man auch anders sehen. Die Markthalle Neun in Kreuzberg, von der wir auch Produkte beziehen, hat einen Lieferservice mit regionalen Produkten für die Gastronomie aufgebaut, von dem viele Köche sagen, er sei zu teuer. Doch das liegt daran, dass bei diesen Köchen das alte Denken herrscht: Das Fleisch ist das Wichtigste. Die hauen ein irres Geld dafür raus - und haben dann nichts mehr übrig für Gemüse. Wenn du Jakobsmuscheln kaufst, einen Eimer, tiefgekühlt, und eine davon auf den Teller legst, heißt es: "Oh, eine Jakobsmuschel, das ist wertiges Essen." Und wenn da Kohlrabi liegt, sagen dieselben Leute: "Ist doch nur ein Kohlrabi." Dem Kohlrabi fehlt Wertschätzung, vielen anderen Zutaten auch. Teltower Rübchen zum Beispiel sind großartig - und die teuersten Rübchen, die man kaufen kann.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben jetzt seit fünf Monaten geöffnet, wie kommt das Konzept bei bei den Gästen an?

Wagner: Der Redundanz-Esser, der gelernt hat, dass Rinderfilet und Steinbutt zur guten Küche gehören, hat Probleme. Genau wie der Status-Esser, der ein Menü als Bestätigung seines Erfolgs betrachtet. Auf der anderen Seite erzählen es die, die es gut finden, weiter.

Schäfer: Das Essen muss gut sein, aber der Rest muss auch stimmen: der Raum, die Gäste, die Musik. Das muss man als Koch erst lernen. Ich habe früher nur an den Teller gedacht

SPIEGEL ONLINE: Im Winter dürfte es doch ziemlich schwierig werden, mit lokalen Angeboten abwechslungsreich zu kochen, oder?

Schäfer: Klar, aber wir bereiten uns jetzt schon darauf vor. Ich weiß, wann was erntereif ist, und habe einen Plan, wann ich was einwecken kann. Gerade gab es zwei Wochen Holunder zum Einwecken. Diese Denkweise habe ich in der Frankfurter Villa Merton gelernt. Als ich nach Berlin kam, habe ich sofort anfangen, mir aufzuschreiben, wann ich welche Zutaten bekomme. Das Klima ist hier etwas anders: Es gibt viele Pflanzen, die Sie in Frankfurt nicht finden, und die überall verbreiteten reifen etwas später.

SPIEGEL ONLINE: Das gehört aber nicht zur normalen Kochausbildung, oder?

Schäfer: Nein, leider nicht. Es wäre aber hilfreich.

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