Das neue Nationalstadion in Tokio, ein Gemeinschaftsprojekt der Büros von Kengo, Taisei Corporation und Azusa Sekkei
Das neue Nationalstadion in Tokio, ein Gemeinschaftsprojekt der Büros von Kengo, Taisei Corporation und Azusa Sekkei
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Marco Wolf / imago images

Architektur von Kengo Kuma Sinfonien aus Holz

Das Tokioter Olympiastadion für die Spiele 1964 inspirierte Kengo Kuma einst dazu, Architekt zu werden. Das neue Nationalstadion ist sein Entwurf. Es steht für einen Baustil, der Tradition und Moderne verbindet.

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Als Kengo Kuma Kind war, bestand Tokio vor allem aus ein- und zweistöckigen Holzhäusern. In seiner Heimatstadt stand damals aber seit Kurzem noch ein anderes Gebäude, das alles in der Umgebung überragte: die Nationale Sporthalle Yoyogi, entworfen von Kenzo Tange für die Olympischen Spiele 1964. Eine innovative Konstruktion aus zwei Betontürmen und einem Dachsegel, aufgehängt an Stahlseilen wie bei einer Hängebrücke.

»Ich war zutiefst beeindruckt und beschloss an diesem Tag, Architekt zu werden. Ich wollte wie Kenzo Tange sein. Ich wollte Gebäude entwerfen, die den Himmel berühren«, schreibt Kuma im Vorwort zu einem neuen Bildband über sein Werk von 1988 bis heute. (Lesen Sie hier eine SPIEGEL-Geschichte mit Kenzo Tange aus DER SPIEGEL 12/1970).

Sein Leben, sagt der 1954 geborene Architekt Kuma, erstrecke sich »über zwei sehr unterschiedliche historische Zeiträume«, und wenn er Architektur entworfen habe, »dann immer in dem Bemühen, dem Wesen dieser Zeiten auf den Grund zu gehen«. Er meint das 20. und 21. Jahrhundert, das industrielle und das postindustrielle Zeitalter.

Beide haben ihn geprägt und finden sich wieder in seinen Bauwerken. Er hat eine alte Schiffswerft in einen Theater- und Einkaufskomplex verwandelt, Markthallen entworfen und Museen wie das V&A im schottischen Dundee , Hochschulkomplexe und Forschungszentren, aber auch Cafés, Hotels und Kulturzentren.

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Architektur von Kengo Kuma: Gebäude, die den Menschen berühren

Foto: Takumi Ota / TASCHEN

Durch seine Verbindung von Tradition und Moderne ist er zu einem der bedeutendsten zeitgenössischen Architekten Japans geworden, verwurzelt in der traditionellen japanischen Architektur. Klassische japanische Bauten existieren ohne Beton, Stahl oder Glas. Sie wurden errichtet aus Holz, Papier und Lehm.

Vor allem Holz spielt bei Kengo Kuma eine zentrale Rolle. Für ihn ist es ein warmer, dem Menschen verwandter Werkstoff. Beton verwendet er so wenig wie möglich. Als Vorbild dient ihm die Handwerkskunst seiner Vorfahren. Das traditionelle Holzspielzeug »Chidori« inspiriert ihn genauso wie Baustile aus unterschiedlichen ländlichen Regionen seiner Heimat.

Weitere Anregungen holte er sich bei Reisen und Aufenthalten in Afrika, Asien, Europa und den USA. Auch dort interessierten ihn besonders die bescheideneren Ansätze. Die, wie er fand, natürlicheren Architekturstile. Näher an ihren Bewohnern. Lebende Strukturen, deren Mauern und Fassaden im Fluss sein sollten wie der Rhythmus einer Musik. Kuma ist überzeugt, dass auch Gebäude einen Fluss brauchen: »Ich begreife sie weniger als präzis umrissene Form, sondern als etwas Fließendes, Rhythmisches. Musik ist die Quelle meiner Inspiration.«

Neues Nationalstadion in Tokio: Das Dach ruht auf einer Mischkonstruktion aus Stahl und Lärchenholz, die Dachvorsprünge sind aus Zedernholzbrettern.

Neues Nationalstadion in Tokio: Das Dach ruht auf einer Mischkonstruktion aus Stahl und Lärchenholz, die Dachvorsprünge sind aus Zedernholzbrettern.

Foto: Michael Kappeler / picture alliance / dpa

Kenzo Tanges futuristische Bauten, die ihm einst so imponiert hatten, erschienen dem Architekten dagegen schon während seines Architekturstudiums an der Universität Tokio langweilig und rücksichtslos. Er wollte nicht mehr »den Himmel berühren«, nicht höher bauen, sondern tiefer: Gebäude, die den Menschen anrühren.

Als er den Auftrag erhielt, für die zweiten Olympischen Spiele in Tokio ein Stadion zu entwerfen, entschied er sich denn auch für eine niedrige Silhouette, wesentliche Bauelemente sind klein und aus Holz. »Die Größenverhältnisse sind dem menschlichen Körper angepasst«, schreibt Kuma. Der Entwurf – eine Gemeinschaftsarbeit mit der Taisei Corporation und dem Büro Azusa Sekkei – reflektiere zudem die aktuellen japanischen Verhältnisse: »Das Holz stammt aus verschiedenen Regionen Japans, vor allem aber aus Gebieten, die 2011 durch den Tsunami verwüstet wurden.«

Ein typischer Kuma. Tragisch, dass ihn die Menschen vorerst nicht von Innen werden bestaunen können. Die am Freitag gestarteten Olympischen Spiele müssen weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragen werden, gar nicht im Sinne des Erbauers.

löw
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