

Patagonia
Stil-Highlights der Woche Über hässliche Jacken und ihre schönen Seiten
Retro-Fleecejacken – für Menschen, die das Als-ob-Prinzip schätzen

Die Retro-Fleecejacken sind gern aus Teddyfleece, mit Bügel-Patches verziert und in Neunzigerjahre-Farben gehalten
Foto: PatagoniaIn der Mode hat selbst das schönste Kleid seine hässliche Seite. Wer in einer der Fußgängerzonen-Filialen shoppt oder in einem der billigen Onlineshops bestellt, unterstützt damit in der Regel nun einmal ausbeuterische Arbeitsbedingungen und Ressourcenverschwendung. Der Verdacht liegt also nahe, dass ohne die menschliche Fähigkeit zur kognitiven Dissonanz nie auch nur irgendeine Kollektion entworfen worden wäre.
Vermutlich erklärt dieser unschöne Umstand die Euphorie, mit der gerade die Nachricht aufgenommen wurde, dass Yvon Chouinard – Gründer der kalifornischen Outdoormarke Patagonia – das Unternehmen an Stiftungen verschenkt hat, die sich der Rettung der Erde verschrieben haben. Unter echten Outdoorsportlern ist die Marke Patagonia seit jeher geschätzt und beliebt. Aber auch Menschen, die an Mode eher das Als-ob-Prinzip schätzen, wurden zuletzt auffallend häufig in Patagonia gesehen, und zwar in Retro-Fleecejacken, in denen sie so aussehen, als ob sie gleich zu einer mehrtägigen Wanderung in einen Nationalpark aufbrechen, abends am Lagerfeuer Stockbrot machen und sich am nächsten Morgen das Gesicht mit dem eiskalten Wasser irgendeines Bergflusses waschen. Selbst wenn sie in Wahrheit nur eben zum nächsten Biosupermarkt schluppen. Die Retro-Fleecejacken sind gern aus Teddy-Fleece. Gern mit Bügel-Patches verziert. Und gern in Neunzigerjahre-Farben gehalten. Wie alles in der Mode sind auch diese Jacken Geschmacksache. Aber auch wer sie nicht mag, wird künftig anerkennen müssen, dass in diesem Fall manch vermeintlich hässliche Jacke ihre schöne Seite hat. Maren Keller
Das Lob kommt, wenn der Kuchen gelingt

Erfüllung in der Küche: Tradwives wollen sich lieber im Haushalt verwirklichen als im Beruf
Foto: Andrii Starunskyi / iStockphoto / Getty ImagesSie tragen Blumenkleider, Schürzen und roten Lippenstift. Sie posten Fotos von fein gedeckten Tischen, selbst gebackenen Kuchen, Blumenarrangements und – ganz aktuell – Oberarme mit schwarzen, selbst gestrickten Trauerbinden und Fotos von der Queen.
Sie nennen sich Tradwives – traditionelle Ehefrauen. Traditionell, weil sie sich dafür entschieden haben, als Hausfrauen zu leben. Freiwillig. Manche von ihnen sehnen sich gar nach den Fünfzigerjahren zurück, als die Ehefrau ihrem Mann den Mantel abnahm und ihm dann das Abendessen vor die Nase stellte.
Seit einigen Jahren schon gibt es diese Bewegung, in Großbritannien heißt die wohl bekannteste Vertreterin Alena Kate Pettitt und ihr Account thedarlingacademy . Früher hat sie in London in der Beauty-Industrie gearbeitet, nun führt sie ein ruhiges Leben auf dem Land. Gleichgesinnte nennen sich Teapotandtablecloths (Teekanne und Tischtücher), bluebells_and_a_basket (Hasenglöckchen und ein Korb) oder Mrs. Midwest .
Die Tradwives-Bewegung ist inzwischen auch in Deutschland angekommen: Hier bezeichnen sie sich als Vollzeitmamas und rechtfertigen sich auf Social-Media-Kanälen, warum sie nicht mehr arbeiten gehen wollen.
Es gibt viele Gründe, sie zu verstehen: Corona hat offengelegt, wie viele Mütter in den Burn-out rauschten , weil sie sich zwischen Kindern, Haushalt und Job zerrieben. Die Sehnsucht danach, der Überforderung zu entkommen, ist verständlich. Und: Das Lob kommt sofort, wenn der Kuchen gelingt. Wissenschaftler aus Braunschweig fanden sogar heraus, dass die Post-Millennials Hausfrauen ein höheres Ansehen zugestehen als die Generationen vor ihnen.
Doch: Niemand bezahlt die Hausfrauen fürs Kuchen backen oder Saubermachen. Niemand schenkt ihnen Geld, wenn die Rente später nicht reicht. Niemand schützt sie vor der Instrumentalisierung ultrarechter, konservativer und christlicher Gruppen, die für traditionelle Familien werben und sich in der Zeit zurückbewegen.
Und: Haben sich die Tradwives schon mal gefragt, was sie machen, wenn die Kinder ausgezogen sind und der Mann sie verlassen hat? Essen sie ihren Kuchen dann allein? Kristin Haug
Reise-Selfie, das Auslaufmodell

Das Reise-Selfie: Seht her, das bin ich, an einem wirklich schönen Ort
Foto: Mauro Grigollo / Westend61 / Getty ImagesInstagram will mehr wie TikTok sein, war kürzlich zu lesen. Dafür brauchen sie mehr Videos als statische Bilder, mehr Live-Content. Damit wandert das Kuratieren des eigenen Lebens in die flüchtigen Stories, wo alles nach einem Tag wieder verschwindet.
Zum Auslaufmodell wird damit auch das klassische Selfie, ein omnipräsentes Gegenwartsphänomen des ersten Social-Media-Booms, das man besonders gern aus dem Urlaub, von (vermeintlich) aufregenden Reisen teilte. Das Selfie wurde von Anfang an belächelt und verspottet, von den meisten aber einfach unbefangen in die Welt gestellt: Seht her, das bin ich, an einem wirklich schönen Ort. Manche erkannten darin ein Spiel mit der eigenen Identität, andere eitles Selbstdarstellertum. Der große Roger Willemsen fragte kulturpessimistisch, ob die »autoerotische Vervielfältigung« in Form des Selfies wohl die Zukunft des Ichs sei.
Ich glaube das nicht, weil dieses Phänomen, wie gesagt, fast schon wieder antiquiert ist. Die Profi-Influencerinnen und Influencer machen ohnehin keine Selfies mehr, die haben ihre Profi-Fotografen. Und der gewöhnliche Nutzer lässt sich mittlerweile lieber von coolen Freunden fotografieren, die ihn – ganz zufällig! – in dem einen Augenblick zeigen, in dem das Leben im perfekten Licht erscheint. Sofern er überhaupt noch Bilder ins Netz lädt, die dort auch bleiben sollen. Häufig wird ja irgendwann der gesamte Feed gelöscht, der Zähler genullt. Das Ich startet neu.
Vielleicht schauen wir bald so nostalgisch auf Reise-Selfies aus der alten Facebook-Welt zurück wie frühere Urlauber auf ihre Reise-Dias, weil sie eine unverrückbare Vergangenheit zeigen, die wir angenehm verklären können. Statt permanente Gegenwärtigkeit zu produzieren, wie sie TikTok und Insta-Stories von uns einfordern. Philipp Laage