

Nervennahrung Heute gibt es Wareniki – ukrainische Teigtaschen
Grimmig kalt ist es, und noch eisiger wird es werden diese Woche, bis minus 20 Grad sind vorausgesagt. »Der Frost war noch schneidender als am Morgen; aber dafür war es so still, dass man das Knirschen des Schnees unter den Stiefeln eine halbe Werst weit hören konnte«, heißt es bei Nikolai Gogol, dem großen russischen Schriftsteller ukrainischer Herkunft, in seinem Buch »Abende auf dem Weiler bei Dikanka«, erschienen vor fast zweihundert Jahren.
Es sind Geschichten, in denen sich Schauer und Fantastik in den Bauernalltag mischen, in denen das Absonderliche ganz gewöhnlich wird, ganz ähnlich unserer verschobenen Normalität mitten im Lockdown. »Der Frost nahm zu, und oben in der Höhe wurde es so kalt, dass der Teufel von einem Huf auf den andern hüpfte und sich in die Fäuste blies, um nur einigermaßen seine frierenden Hände zu erwärmen. Selbst die Hexe litt unter der Kälte, daher hob sie die Arme in die Höhe, schob ein Bein vor, gab ihrem Körper die Haltung eines Schlittschuhläufers und sauste, ohne ein Glied zu rühren, durch die Luft, wie wenn's einen steilen Eisberg hinabginge, geradeswegs in den Schornstein hinunter.« Schon sind Aberwitz und Schauder über Dikanka und seine Leute hereingebrochen – und nichts ist mehr, wie es war.
Schon gar nicht mehr die Wareniki, die Teigtaschen mit Kartoffelfüllung, das ukrainische Leib- und Seelenessen schlechthin. Wareniki sind weichwarme Magenschmeichler, nicht nur von den Ukrainern, sondern in ganz Russland mit großer Hingabe geliebt. Natürlich auch von allen Dorfbewohnern in Gogols Weiler Dikanka – aber am meisten wohl vom Kosaken Puzaty Pazjuk, dem »Pazjuk mit dem dicken Bauch«, der mit dem Teufel wohl einen Pakt geschlossen hat: Seine Wareniki sind verhext! Sie springen ihm von ganz allein in den Schlund! Jeder einzelne Warenik »plantschte aus der Schüssel, fiel klatschend in den Rahm, drehte sich auf die andere Seite, hüpfte hoch empor und fiel ihm stracks in den Mund. Pazjuk musste sich nur die Mühe nehmen, zu kauen und ihn zu verschlucken.« Wegen dieser gogolschen Zauber-Wareniki sind die Teigtäschchen in der Ukraine zum Symbol für Faulheit und Völlerei geworden.
Und für mich zum Inbegriff von Wohlfühlessen: Denn unsere Wareniki (die man aber auch süß mit Kirschen oder deftig mit Rindfleisch füllen kann, unzählige Rezepte haben die Ukrainer für ihr Nationalgericht) verdoppeln das Behagen, das Kartoffeln oder Nudeln hervorrufen – durch L-Tryptophan, die Stimmungskanone unter den Aminosäuren, die im Gehirn die Laune hochdrehen. Indem ganz einfach beide Spaßmacher verwendet werden: Nudeln und Kartoffeln. Unsere Wareniki bestehen aus einem buttrigen Kartoffelbrei mit ein paar Pilzen, der von einer seidigen Nudelhaut umhüllt wird: Kohlehydrat im Kohlenhydrat also, essbare Matroschkas . Diese stärkesatten Stimmungsbomben dürfen vor dem Verzehr noch ein kühles Schmandbad nehmen, sich in der Smetana, der sauren Sahne, genüsslich aalen. Und wer dann genau schaut, meint zu sehen, wie durch sie ein Zittern geht, ein Zucken: Sie sind sprungbereit, die dampfend warmen Wareniki, wenn draußen Winterstürme toben und die Kälte klirrt.
Unsere Köchin begleitet Sie durch die Pandemie: Jeden Montag präsentieren wir hier eines von Verena Lugerts Rezepten – nicht aufwendig, aber raffiniert. Ihr Credo: Gutes Essen macht nicht nur satt, sondern auch glücklich. Hier finden Sie alle bisher erschienenen Rezepte.
Rezept für Wareniki
Für 4 – 6 Personen
500 g Mehl
1 Ei
ca. 150 ml Wasser
300 – 350 g Kartoffeln
2 EL Butter (ein EL für das Püree, 1 EL für die Pilze)
1 Zwiebel
200 g Pilze, z. B. braune Champignons
2 Lorbeerblätter
200 – 300 g saure Sahne oder Schmand
Salz
weißer Pfeffer, gemahlen
nach Belieben: Dill oder Schnittlauchröllchen
nach Belieben: weitere 3 EL Butter (für braune Butter), 1 Spritzer Essig
Mehl, Ei, Salz und Wasser mindestens 10 Minuten lang zu einem glatten Teig verkneten (per Hand oder Küchenmaschine), 30 Minuten ruhen lassen.
In der Zwischenzeit die Kartoffeln mit Schale gar kochen (je nach Größe dauert das um die 20 Minuten), ausdampfen lassen. Die Pilze in der Zwischenzeit putzen und klein hacken – oder in einer Küchenmaschine sehr kurz (auf Pulse, ein paar Sekunden) häckseln.
Die Zwiebel schälen und fein würfeln, in 1 EL Butter in einer Pfanne sanft golden anbraten, dann die Pilzstückchen dazugeben, alles ein paar Minuten anrösten. Mit Salz und Pfeffer würzen.
Ausgedampfte Kartoffeln schälen und stampfen oder durch eine Kartoffelpresse drücken. 1 EL Butter unter den Kartoffelschnee ziehen, salzen. Pilzfarce unterheben.
Einen großen Topf Wasser mit den beiden Lorbeerblättern und ca. 1 EL Salz zum Kochen bringen. In der Zwischenzeit Teig auf einer bemehlten Fläche dünn ausrollen, mit einem runden Ausstecher oder einem Wasserglas (ca. 8 cm Durchmesser) Kreise ausstechen, 1 TL Kartoffelfüllung darauf geben, die Ränder der Teigkreise mit Wasser benetzen, die Teigkreise zu Halbmonden zusammenklappen – und sie durch Drücken und Ziehen mit einem Flechtrand versehen. Oder mit einer Gabel (oder mit Daumen und Zeigefinger) die Ränder zusammendrücken.
Im Salzwasser garen, bis die Wareniki an die Oberfläche kommen. Wareniki aus dem Wasser heben, abtropfen lassen. Mit Schmand oder saurer Sahne, in die Dill oder Schnittlauch und etwas Salz gemischt werden können, servieren. Sehr gut passt (zur oder anstatt der sauren Sahne) auch braune Butter: Butter erhitzen, bis sie eine karamell-goldene Farbe angenommen hat und duftet, mit einem kleinen Spritzer Essig und Salz würzen. Braune Butter über die Wareniki gießen. Lassen Sie es sich schmecken!