

Helga Lugert
Nervennahrung Heute gibt es Weihnachtsplätzchen
Das Wochenende des ersten Advents: nur zwei Sorten Weihnachtsgebäck buk unsere böhmische Oma, dafür aber in den rauesten Mengen. Jedes Jahr gab es Riesenlebkuchen und Vanillehörnchen. Ach, Omas Vanillehörnchen! Sie enthielten viel Butter und gingen, wunderbar weich und sehr wenig ihre Form bewahrend, auf dem Blech herrlich ungeniert auseinander.
Im Gegensatz zu den briefmarkenkleinen, ziselierten und hochfeinen Plätzchenkunstwerken unserer Tanten. 30 verschiedene Sorten fertigten sie, sie sahen aus wie die Auslage im Schaufenster eines zauberhaften Juweliergeschäftes. Vor allem die Christkindlschnecken unserer Mathematikertante Sylvia, in denen sich der buttrige und der schokoladige Mürbeteig in einer archimedischen Spirale von innen nach außen wand, war für uns Kinder wie eine Verheißung aus einer fernen Galaxie.
Oder die perfekten Spitzbuben unserer Tante Marianne, die ihren Walnussbaum und ihre Beerensträucher im Garten so liebte: Ihre Spitzbuben waren zwei hauchzarte Scheiben aus mürbem Walnussteig, zusammengehalten vom hellroten Leuchten ihres Beerengelees. Exakt gleich geformt, eine unendliche Wiederholung, Spiegel im Spiegel.
Was jedoch die Oma- und die Tantenplätzchen gemeinsam hatten, war die Tatsache, dass man sie keinesfalls essen durfte. Sie wurden direkt nach dem Backen und Abkühlen in Blechkisten gestapelt und weggesperrt – denn Plätzchen gab es erst an Heiligabend. Denn ab dem ersten Advent herrschte bei uns Fastenzeit, nach alter katholischer Sitte. Und wir vier Kinder durften nicht nur keine Plätzchen essen, sondern überhaupt keine Süßigkeiten, denen man im Advent ja ständig ausgesetzt war.
Während also unsere Kindergartenfreunde ihre Schokoladenadventskalender Türchen für Türchen leerten, zogen wir vier daheim Zettelchen aus unserem Vorsatzkalender, der aus einem langen Band von 24 bunt beklebten und nummerierten Zündholzschachteln bestand, darin für jeden Tag ein guter Vorsatz, der an unsere Küchentüre geklebt wurde: »Heute wollen wir nicht streiten«, hießen die Vorsätze etwa. Oder: »Heute machen wir unseren Eltern viel Freude«. Oder: »Heute putzen wir selbstständig die Zähne«.
Zwar war der Advent entbehrungsreich, doch die Vorfreude aufs Fest wurde durch diesen katholischen Verknappungstrick für uns Kinder ins Unermessliche gesteigert. Wir sehnten Weihnachten herbei, wir träumten von Christkindlschnecken, von Walnuss-Spitzbuben. Und von buttergelben Vanillehörnchen.
»Die Fülle war unwirklich, überirdisch, versiegte nicht, wir aßen und aßen.«
Und dann schließlich, an Heiligabend, nachdem wir in der Kinder-Christmette als Esel, Engel, Hirten oder Herbergswirt unsere Auftritte absolviert hatten, nachdem wir in der Küche gewartet hatten, bis endlich die Glocke das Fest eingeläutet hatte: Da brachen dann tatsächlich die Herrlichkeiten und Wunder wie funkelnde Niagarafälle über uns herein.
Es gab den Baum mit flammenden Kerzen und bunten Kugeln, mit Wunderkerzen, explodierend im Funkenglanz, und es gab Geschenke: leuchtend orange Goldfische, die ihre Runden im neuen Aquarium zogen, blaue und grüne Wellensittiche, Fahrräder, Kaufläden, eine Puppenküche mit funktionierendem Herd, Kinderpost-Stationen, einen Plüschaffen mit Ringelhemd und grüner Latzhose, so groß wie ich selbst.
Und es gab, endlich, die Plätzchen. Die Fülle war unwirklich, überirdisch, versiegte nicht, wir aßen und aßen. Am nächsten Morgen aßen wir weiter, am Nachmittag auch, wie auch am Abend und am nächsten Tag, am übernächsten Tag, bis das neue Jahr schon hereingebrochen war, bis die Heiligen Drei Könige da gewesen waren. Unsere Vorräte waren noch fast randvoll, als der Baum schon nadelte. Dutzende von Plätzchenblechdosen waren noch da, bis zum Rand gefüllt mit Christkindlschnecken, Spitzbuben, Vanillehörnchen und Lebkuchen.
Die aßen wir noch, als wir als Schornsteinfeger, Pirat und Marienkäfer verkleidet zum Kinderfasching loszogen. Die Plätzchen reichten bis tief in den März hinein, da bissen wir, auf der Terrasse sitzend, als schon wieder die Bienen summten, krachend ins Schokoladenbrot.
Und einmal, im Juni, ich erinnere mich noch an die staunenden Augen meiner Kindergartenfreundin, gab es steinharte Lebkuchen zu Erdbeeren mit Sahne, die wir in unseren Kakao zum Aufweichen tunkten.
Doch wir beklagten uns nie. Denn wir Kinder wussten, es würden härtere Zeiten kommen. In wenigen Monaten war ja wieder Advent.
Eigentlich präsentieren wir immer zum Wochenende ein Rezept unserer Köchin. Aber besondere Zeiten, besondere Maßnahmen: Während des Shutdowns versorgt uns Verena Lugert zu Wochenbeginn und -ende mit Ideen. Ihr Credo: Gutes Essen macht nicht nur satt, sondern auch glücklich. Hier finden Sie alle bisher erschienenen Rezepte.
Rezept für Tante Mariannes Walnuss-Spitzbuben
125 g Butter
180 g Zucker
360 g Mehl
1 Prise Salz
80 g geriebene Walnüsse
50 g geriebene Mandeln
Tütchen Vanillezucker
3 EL Johannisbeergelee
Butter mit der Küchenmaschine oder dem Handrührgerät weißschaumig aufschlagen, das kann gut acht Minuten dauern. Dann den Zucker dazu geben, die Prise Salz, ein paar Minuten weiterrühren.
Jetzt das Mehl hinzugeben. Wer hat, wechselt jetzt von Quirlen zu Knethaken. Kurz kneten, dann die geriebenen Walnüsse und Mandeln hinzufügen. Teig jetzt noch mit der Hand durchkneten (wirklich nur ganz kurz, sonst wird der Teig durch das sich durch längeres Kneten lösende Gluten zu geschmeidig. Und das wollen wir nicht, wir wollen mürbe Plätzchen), zu einer runden Platte formen, in Frischhaltefolie wickeln, mindestens zwei Stunden im Kühlschrank ruhen lassen. ANMERKUNG: Der Teig ist nicht einfach zu machen, man braucht ein wenig Geduld. Viel erledigt sich durch das lange Ruhenlassen des Teiges – und wer möchte, kann ein Eigelb hinzufügen, dann wird alles geschmeidiger.
Ofen auf 180 Grad Umluft vorheizen, ein Blech mit Backpapier auslegen.
Die Hälfte des Teiges kurz weich kneten, auf einer bemehlten Fläche sehr dünn ausrollen, je dünner, desto besser. Mit einem Ausstecher geriffelte Kreise ausstechen. Aus der Hälfte der Kreise mittig noch einmal einen kleinen Kreis oder ein Herz ausstechen, Plätzchen aufs Blech und in den Ofen geben. Mit der zweiten Teighälfte später ebenso verfahren.
Spitzbuben im Ofen beobachten, je dünner sie sind, desto schneller sind sie fertig, das kann in fünf Minuten sein!
Johannisbeergelee in einem kleinen Topf erhitzen, verrühren.
Sobald die Spitzbuben hellgolden sind, aus dem Ofen und vom Blech nehmen. Die Hälfte der Plätzchen (die ohne Aussparung) mit Gelee bestreichen. Die Plätzchen mit der Aussparung oder dem Herzchen als Deckel aufsetzen.
Vanillezucker in eine kleine Schüssel geben. Spitzbuben in Vanillezucker wälzen.
Rezept für Tante Sylvias Christkindlschnecken
125 g Butter
1 Ei
100 g Zucker
1 Päckchen Vanillezucker
1 Prise Salz
250 g Mehl
½ TL Backpulver
2–3 EL Kakao-Pulver
Butter mit den Quirlen der Küchenmaschine oder des Handrührgerätes weißschaumig aufschlagen, das kann gut acht Min dauern. Dann den Zucker dazugeben, den Vanillezucker, dann das Ei, die Prise Salz, ein paar Minuten weiterrühren.
Jetzt Mehl und Backpulver hinzugeben. Wer hat, wechselt jetzt zu Knethaken – oder knetet mit der Hand, nur kurz.
Teig halbieren, in eine Hälfte den Kakao gut unterkneten. Jede Teighälfte zu einer eckigen Platte formen, einzeln in Frischhaltefolie wickeln, mindestens zwei Stunden im Kühlschrank ruhen lassen.
Nach dem Ruhen aus jeder der Platten auf einer bemehlten Fläche jeweils ein möglichst gleichmäßig dünnes und möglichst gleichmäßig geformtes Rechteck auswalzen. Die dunkle Teigplatte auf die helle setzen, die beiden aufeinanderliegenden Platten nun von der langen Seite her dicht, aber ohne Druck, einrollen. Die so entstandene Teigrolle vorsichtig in Frischhaltefolie wickeln, im Kühlschrank noch einmal ruhen lassen. Mindestens zwei Stunden, gern über Nacht.
Ofen auf 180 Grad Umluft vorheizen, ein Blech mit Backpapier auslegen.
Von der Teigrolle dünne Scheiben abschneiden, jetzt ist das wunderschöne Spiralmuster der Christkindlschnecken zu sehen.
Schnecken auf das Blech und in den Ofen geben. Sobald die Christkindlschnecken gelbgolden sind, aus dem Ofen und vom Blech nehmen.
Rezept für Omas Vanillehörnchen
200 g weiche Butter, in kleine Würfel geschnitten
120 g geriebene Mandeln (geschält)
200 g Puderzucker + 3 EL zum Wälzen
2 Päckchen Vanillezucker + 1 zum Wälzen
2 Eigelb
280 g Mehl
1 Prise Salz
Alle Zutaten miteinander verkneten, zu einer runden Platte formen, in Frischhaltefolie wickeln, mindestens zwei Stunden im Kühlschrank ruhen lassen.
Ofen auf 180 Grad Umluft vorheizen, ein Blech mit Backpapier auslegen.
Ein Viertel des Teiges kurz weichkneten, auf einer bemehlten Fläche zu einem gleichmäßigen Strang rollen. Etwa kleinfingerlange Stücke vom Strang schneiden, kurz rollen, die Enden spitz formen und nach unten biegen. Mit den drei weiteren Teigvierteln später wie oben verfahren.
Vanillehörnchen aufs Blech und in den Ofen geben. Sobald sie gelbgolden sind, aus dem Ofen und vom Blech nehmen.
Puderzucker und Vanillezucker in einer kleinen Schüssel gut mischen. Vanillehörnchen in der Zuckermischung wälzen.
Lassen Sie es sich schmecken!