

Athen erwartet in diesem Jahr viereinhalb Millionen Touristen, Rekord. Für die meisten davon ist der Besuch der Akropolis Pflicht. Doch wer die bekannten Touri-Pfade verlässt, wer vom Parthenon in Richtung Nordwesten aufbricht, der landet kurz darauf inmitten von Athens beeindruckender Street-Art-Szene.
Im Gegensatz zur Akropolis bezeugen die öffentlichen Kunstwerke in den Vierteln Gazi, Psyri, Kerameikos und Metaxouregio nicht nur Athens ruhmreiche Vergangenheit. Die Bilder in den gentrifizierten Gegenden der griechischen Hauptstadt sind auch Ausdruck und Spiegel ihres gegenwärtigen Dilemmas.
Es gibt kaum eine Fläche in der Stadt, die nicht von griechischen oder internationalen Street-Art-Künstlern bearbeitet wurde. "Ich war vor einem Jahr in Athen und liebe die Energie und den Vibe", sagt der italienische Wandmaler Jupiterfab. Er ist einer der bekanntesten Künstler, deren Werke im Rahmen einer alternativen Stadtführung unter dem Motto "alternative athens" vorgeführt werden. "Ich habe es sehr genossen, dort zu arbeiten, und werde hoffentlich bald für ein weiteres Wandbild zurückkehren."
Finanzkrise hat die Street-Art explodieren lassen
Bislang wurde Street-Art in Griechenland mit politischen Graffiti gleichgesetzt: rudimentäre, auf Wände gesprühte Textbausteine und Slogans. Die meisten waren künstlerisch unbedeutend und wurden als Schmierereien angesehen.
Das änderte sich erst mit den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs. In dieser Phase schmückten vor allem als Auftragsarbeiten vergebene Graffiti die verschiedenen Stadtviertel. Sie sollten Athens Image verbessern und die Stadt in einem neuen Licht erscheinen lassen. Arbeiten aus dieser Zeit machten die Bewohner der Stadt mit Graffiti als Kunstform bekannt.
Doch erst der Ausbruch der Finanzkrise hat 2010 die Street-Art-Szene explodieren lassen. Unter dem Eindruck der massiven Schuldenlast, von Spar- und Rettungsprogrammen, Massenarbeitslosigkeit und Ausbrüchen öffentlicher Wut verwandelte eine wachsende Zahl von Malern und Sprayern den öffentlichen Raum in eine Leinwand. Ihre Bilder zeigen die Perspektivlosigkeit der jungen Griechen, thematisieren das Misstrauen gegenüber den ausländischen Geldgebern und der politischen Elite des Landes oder sind schlicht Ausdruck der Hoffnungslosigkeit.
Ein Beobachter dieser Entwicklung ist Panos Leventis. Er lehrt Architektur an der Drury Universität im US-Bundesstaat Missouri. Je schlimmer die Krise wurde, desto zahlreicher und größer wurden die Werke. Und keine griechische Stadt wurde so hart von der Krise getroffen wie Athen. Schätzungsweise 2000 Gemälde sind seitdem entstanden. "Die Street-Art konnte erst auf dem verfallenden Stadtkörper so gedeihen", sagt Leventis.
Die Gebäude mögen ihre besten Tage schon hinter sich haben, durch die Motive der verschiedenen Künstler erhält die Stadt ein neues Gesicht. Es ist ein raues und an manchen Stellen wütendes Gesicht, aber es hat definitiv seine schönen Seiten.
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Angela Merkel und Alexis Tsipras mit geschlossenen Augen, den Anflug eines Lächelns auf den Lippen, die sich gleich für einen Kuss berühren werden. Das im Oktober 2015 vom italienischen Wandmaler Jupiterfab geschaffene Werk ist als "Kuss der Zwietracht" oder "Kuss der Krise" bekannt. Es findet sich im Stadtteil Psyri. Der Künstler malte das Bild unter dem Eindruck des dritten Rettungsschirms, der harte Einschnitte von den Griechen verlangte. Vorlage war das auch als "Bruderkuss" bekannte Graffiti "Mein Gott, hilf mir, diese tödliche Liebe zu überleben" von Dmitri Vrubel an der Berliner Mauer.
Giorgos Dimoulas alias "SimpleG" ist ein junger griechischer Künstler. Diese ist wie die meisten seiner Arbeiten in Schwarz-Weiß gehalten und trägt den Namen des Restaurants, dessen Wand es schmückt: "Favela".
Die meisten Street-Art-Werke in Athen haben eine politische Aussage. Dieses Bild erinnert die Betrachter im Stadtteil Kerameikos an Griechenlands Errungenschaften aus der Antike (Demokratie, Politik, Sokrates), die angesichts der derzeitigen Situation für viele junge Griechen aber auch eine Bürde sind. Dafür stellte der griechische Künstler Dimitris Taxis 2012 dem Jungen auf dem Bild den anderen Bücherstapel auf den Kopf: Überlebensratgeber, Wirtschaft, keine Zukunft.
Politische und symbolische Metapher für den gesellschaftlichen Verfall: Im September 2015 sprühte der Künster N_grams die Arbeit "Suche nach Gott" auf das Rolltor eines Lagerraums. Der gelernte Grafikdesigner fing 1993 mit dem Malen von Graffiti und dem Besprühen von Zügen an. Er beschreibt seine Arbeit als "inspiriert vom alltäglichen Leben, menschlichen Beziehungen sowie gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umwälzungen".
Stamatis (auch STMTS) ist ein in Athen beheimateter Künstler, der seit 2012 auch Street-Art macht. Sein "Ihr werdet mich nie kriegen" betiteltes Bild stammt aus dem Jahr 2015 und vereint zwei seiner Markenzeichen: Kinder und Tapeziertechnik. Stamatis, der an der Athener Kunsthochschule studiert, möchte mit seiner Arbeit der stimmlosen Generation Gehör verschaffen. Kinder male er, weil sie unschuldig und frei seien, sagte er einmal der Vice.
Diese Außenwand eines Parkplatzes in Kerameikos wurde zur Leinwand für iNO, einen der bekanntesten und meist respektierten griechischen Street-Artists. Die verschmelzenden Gesichter von Albert Einstein und dem griechischen Mathematiker Constantin Carathéodory wurden mit Schablonen auf die Wand gebracht.
Inspiriert von Andy Wahols Arbeit hat der Urheber dieses Werkes einen Hauseingang verziert. In jüngster Zeit werden immer mehr Aufträge dieser Art an Street-Art-Künstler vergeben. Die griechischen Buchstaben π.ο.π. stehen für "Pop", aber sind auch ein Akronym für von der EU geschützte Ursprungsbezeichnungen.
Dürers "Betende Hände" in überdimensionalen Ausmaßen schwebten dem Kunststudenten Pavlos Tsakonas vor, als er vier Maler damit beauftragte, seine Idee auf diese Hauswand in der Peiraiosstraße zu übertragen. "Für uns betend" wurde 2012 im Auftrag der griechischen Regierung erstellt. Anders als beim Original zeigen die Hände nicht zum Himmel, sondern zur Erde, so als ob Gott für die Menschen beten würde.
Diese Gemälde eines gesichtslosen Mannes trägt den Titel "Schneeblind". Der Künstler iNO malte es im Rahmen einer Kampagne, die auf die Gefahren von Hepatitis C aufmerksam machen sollte. Der blaue Klecks in der Mitte ist Teil des in fünf Tagen fertiggestellten Bildes.
Das Gazi-Viertel in Athen ist inzwischen ein beliebtes Ausgeh- und Künstlerviertel, aber auch immer noch das Herz des Rotlichtbezirks. Die vielen Bordelle in der Gegend animierten den Künstler WD (Wild Drawing) zu dieser Arbeit. WD stammt ursprünglich aus Bali, lebt aber seit einiger Zeit in Athen.
Loukanikos war ein Straßenhund, der es zur Ikone der griechischen Protestbewegung geschafft hat. Von 2011 bis zu seinem Tod 2014 bildete er das Schlusslicht der Demonstrationszüge gegen die Sparpolitik. Alex Martinez und N_Grams widmeten ihm dieses Denkmal im Stadtteil Psyri. Es trägt die Inschrift "Gemeinsam haben wir das Tränengas gefressen", eine Abwandlung eines bekannten Zitats des damaligen stellvertretenden Regierungschefs Theodoros Pangalos: "Wir haben alles gemeinsam gegessen."
Schablonen-Arbeit einer Hauswand im Stadtzentrum von Athen.
Dieses Bild stammt von Alexandros Vasmoulakis, der unter dem Künstlernamen VASMOU malt. Er macht Street-Art, weil es in seinen Augen die Kunst für die Massen ist.
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