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Tag der Jogginghose Du bist nicht, was Du trägst!
So. Hochgezogen. Noch stehe ich in der Umkleide. Noch bin ich für mich allein. Aber gleich werde ich den Vorhang beiseiteschieben und mich der Welt präsentieren. Als krasser Typ. Als einer, der alles ein bisschen zu locker sieht.
Ssssst. Vorhang auf.
Ich trage: eine Jogginghose.
Erster Check.
Fühlt sie sich an wie ein krasses Revoluzzer-Statement?
Nö.
Sorgt sie dafür, dass mir Autoritäten plötzlich vollkommen egal sind? Dass ich Autoritäten ins Gesicht lache?
Nö.
Ist sie bequem?
Voll.
Gemächlich umschlackert sie meine Beine, beult sich kompromissbereit an Bauch, Beinen, Po. Oben ein nachgiebiger Gummizug, an den Knöcheln auch. Damit’s nicht reinzieht, klar. Ein Jersey-irgendwas-Gemisch und irgendein anderer, technisch wirkender Plastikstoff, umschmeicheln den Körper.
Gesetzesbrecher auf drei Schulen - und bei Klinsmann
Die Jogginghose, das merke ich schon jetzt, ist der Gegenpol zu allen Kleidungsstücken, die an einem rumklemmen und -quetschen, an einem rumzupfen und -drücken wie eine gestrenge Mutter am Konfirmationsanzug. In eine gute Jogginghose steigt man nicht, man gleitet in sie hinein, wie in eine Badewanne mit sich hoch auftürmenden Schaumbergen über wohl temperiertem Wasser.
Drei Schulen gibt es, auf denen ich jetzt ein Outlaw wäre. Und aus dem Mannschaftsbus von Jürgen Klinsmann würde ich auch achtkantig rausfliegen. Der hat Ende 2019 bei Hertha BSC das Jogginghosen-Verbot auf Reisen ausgesprochen.
Ich bin mit Emmi unterwegs, dem einzigen Menschen, den ich kenne, der bisher immer, wenn wir uns getroffen haben, Jogginghosen trug. Sie macht das mit einer Lässigkeit und einem Selbstverständnis, was mich beeindruckt. Sie ist an diesem Tag meine Jogginghosenweise.

Kompromissbereit an Bauch, Beinen, Po: die Jogginghose
Foto: Christian Vierig/ Getty ImagesEine Jogginghose zur Beerdigung
"Okay", sage ich, als wir uns treffen, "wir brauchen eine Jogginghose für mich. Eine, die ich in der Stadt tragen kann, bei der Arbeit und … bei … äh … einer Hochzeit. Einer Beerdigung?"
"Das muss jeder für sich entscheiden", sagt Emmi. Erst bin ich ein bisschen enttäuscht. Irgendwie hatte ich ein Revoluzzer-Statement erwartet. Oder eine Jogginghosen-Fan-Weisheit, dann denke ich: "Sie hat vollkommen recht."
"Wo gehen wir hin?", frage ich und erwarte irgendwie, dass sie einen exklusiven Ausstatter für super lässige Joggingsachen kennt, der zufällig in der Innenstadt ist.
"Ich würde sagen, erst mal zu Snipes, dann zu Karstadt Sport."
"Mit Marken kenne ich mich nicht aus"
In dem Turnschuhladen Snipes frage ich, ob es bestimmte Marken, Farben, Schnitte sein müssen. Wie groß das Logo am besten ist.
"Das musst du wissen. Mit Marken kenne ich mich nicht aus. Ich gehe nur danach, ob sie mir gefällt und gemütlich ist."
Bis vor etwa einem Jahr hatte ich einen kleinen Markenfetisch. Ich hatte ein unergründliches Faible für absurd teure Barbour-Pullover, Schuhe von Nike fand ich poetisch. Dann habe ich aufgehört, Sachen zu kaufen, die nicht mindestens fair, am besten auch nachhaltig produziert sind (mit Ausnahme von drei Hemden, die einfach zu gut passten). Eine echte Verbesserung meines Lebens.
Früher hat mich das Einkaufen von Kleidung oft gestresst. Ich dachte immer, ich müsse vielleicht doch mal wieder was zum Anziehen besorgen, Kleider, die was über mich erzählen, mich lässiger oder besser aussehen lassen, mir eine Rüstung für den Alltag sind. Eine anstrengende Zeit.
Jetzt kann ich entspannt an den meisten Läden vorbeischlendern, weil ich da ohnehin nichts finde. Ein wenig plagt mich deshalb beim Kauf dieser Hose das schlechte Gewissen, andererseits fühle ich mich wie ein Kind in einem Süßigkeitenladen, die Augen groß, die Taschengeldmünze warm in der Faust.
Zu assig?
Bei Karstadt legen wir dann auch richtig los. Auf meinem Arm türmen sich die weichen Hosen. Es gibt auch ein Modell, das ich noch von früher kenne. Diese Adidas-Sporthosen mit Druckknöpfen an der Seite, die in den Neunzigerjahren alle getragen haben. Wie ein Superheld konnte man die von den Beinen reißen und … ja, was eigentlich? Eine alte Dame in Unterhosen über die Straße begleiten? Egal. Als Jugendlicher konnte ich mir die Superhose sowieso nicht leisten. Heute passt sie nicht.
Am Ende trage ich eine Hose mit einem kleinen AMG-Mercedes-Schild drauf. Sie ist schwarz mit grauen, türkis abgesetzten Streifen an der Seite. "Autsch", denke ich, "dieses Mercedes-Logo ist superprollig." Aber der Rest ist eben brutal bequem.
"Zu assig?", frage ich Emmi.
"Wenn sie gemütlich ist, solltest du sie nehmen."
Jeder soll tragen, womit er sich wohlfühlt
Ich trage die Jogginghose gleich. Erst in der Stadt, dann im Büro, auf dem Nachhauseweg, abends im Kino. Ich fühle mich komisch. Ich weiß, das klingt bescheuert. Aber ich fühle mich anders angeguckt, anders wertgeschätzt. Ich weiß nicht, ob das nur an mir liegt oder an den anderen. Ich bin ja der Gleiche. Nur mit anderer Hose.
Es erinnert mich daran, wie meine Mutter einmal im Urlaub nicht neben mir gehen wollte, weil meine Jeans durchlöchert war. Jetzt bin ich selbst die Mutter, die nicht mit mir gesehen werden möchte. Ich erinnere mich daran, wie es mir schwerfiel, bei der Beerdigung meiner Oma zu trauern, weil der schwarze Anzug, den ich trug, mir so fremd an mir vorkam. Meine Oma kannte mich so nicht. Und ich kenne mich so auch nicht.
Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich plötzlich in der Schule nicht mehr anziehen dürfte, worin ich mich wohlfühle und kann nicht glauben, dass es hilft, wenn Schülerinnen und Schüler in Kleidern lernen, die sie unfreiwillig tragen. Mich jedenfalls schaudert's bei dem Gedanken, dass ich immer den schwarzen Oma-Beerdigungsanzug im Büro tragen müsste.
Du bist nicht, was du trägst
Ich möchte Lehrern nicht erklären, wie sie ihren Job zu machen haben. Allein der Gedanke, jeden Tag vor einer Klasse voller Jugendlicher zu stehen, die - das weiß ich aus eigener Erfahrung - verständlicherweise alle möglichen Dinge im Kopf haben, nur nicht lernen, flößt mir Respekt ein.
Meinen Kindern versuche ich allerdings zu vermitteln, dass es Quatsch ist, andere danach zu beurteilen, ob sie besonders ordentliche oder teure Kleidung tragen. Sondern danach, ob sie freundlich, hilfsbereit und ehrlich sind. Du bist nicht, was du trägst!
Sonst würden Erwachsene ja auch mehr Respekt vor einem Menschen haben, nur weil der sich einen gut sitzenden Anzug für 800 Euro leisten kann und will. Und das wäre doch wirklich albern, oder?