

Geschlechtsneutrale Mode Warum Männer kein Unisex mögen
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Als der Sänger Harry Styles für die US-Ausgabe der »Vogue« posierte, trug der für seinen Modemut bekannte Sänger ein Rüschenkleid von Gucci. Aus dem Dekolleté lugten seine Brusthaare. Es war das erste Heft mit einem Solocover eines Mannes in der Geschichte des Magazins – und innerhalb kurzer Zeit vergriffen. »Harry Styles schafft seine eigenen Regeln«, hieß die Überschrift. Gänzlich neu sind diese Regeln aber keineswegs.
Schon in den Sechzigern versuchten Modemacher, die Geschlechterstereotypen zu überwinden. Unter anderem Pierre Cardin, André Courrèges und Paco Rabanne schnitten damals schlichte Formen, die sowohl Männer als auch Frauen tragen konnten. Für ihre Entwürfe verwendeten sie oft neu entwickelte Stoffe, denen noch kein Stempel der Männlich- oder Weiblichkeit anhaftete. Die Pariser Designer brachten damit klassische Rollenbilder ins Wanken. Überwinden konnten sie sie nicht.
Seit ein paar Jahren versuchen Modedesigner nun erneut, die letztlich konstruierten Normen aufzulösen: Männer tragen auf den Laufstegen Kleider, Frauen zeigen haarige Achseln – den Anzug haben sie sich schon längst angeeignet. Wird genderneutrale Mode nun also endlich massentauglich? Wohl eher nicht. So manche Reaktionen in den sozialen Medien zeigen, welche Herausforderung »eigene Regeln« für viele immer noch darstellen: Nachdem Adidas die Schwedin Arvida Byström 2017 auf Werbefotos mit behaarten Beinen gezeigt hatte, schrieb das Model hinterher, sie habe Drohungen erhalten.
»Europas Mainstream ist für Unisexmode noch nicht bereit«, sagt der Schweizer Modedesigner Julian Zigerli. Besonders Männer hätten oft Berührungsängste, findet er. Frauen seien da offener. Zigerli eröffnete vor drei Jahren einen Laden in der Altstadt von Zürich. Ursprünglich war sein Laden für Männermode gedacht, inzwischen verkauft er ausschließlich Unisexkleidung. Doch der Großteil seiner Kundschaft sei weiblich, sagt Zigerli.
Entwurf von Julian Zigerli
Für den Unternehmer ist das »ein Kompliment«. Aber im Prinzip ist ihm egal, wer die Teile trägt. Am Ende geht es ihm ums Design. Zigerlis Schnitte orientieren sich bis heute an den Standards der Herrenkonfektion: Knöpfe sind rechts aufgenäht, die Ärmel sind für Frauen manchmal zu lang, die Schultern zu breit. Dafür sind die Teile kaum tailliert und haben wenige Rundungen.
»Was die Figur nicht betont, ist leichter genderneutral zu verkaufen«, sagt auch der Berliner Modedesigner Thoas Lindner. In seiner Kollektion »MenWomenHuman« von 2016 zum Beispiel drapierte er Stoffbahnen um die Körper seiner Models, umformte Taillen und Schultern wie Skulpturen. Doch seine damaligen Entwürfe waren eher Kunstwerke als Kleidungsstücke. Inzwischen konzentriert er sich mit dem Label »The Tribe« auf bedruckte Basics wie T-Shirts, eines der unverfänglichsten Unisexkleidungsstücke überhaupt: Hervorgegangen aus den Trikotleibchen der Matrosen und dank James Dean und Marlon Brando einmal sehr männlich konnotiert, spätestens seit der Hippiezeit aber »ein modisches Freizeitoberteil beider Geschlechter«, wie es in »Reclams Mode- und Kostümlexikon« heißt.
Unisex, aber unverfänglich
Die Hamburger Modedesignerin Kathrin Diedrich sieht die Nachfrage für genderneutrale Mode bislang ebenfalls eher im Bereich Streetwear und Sportswear. Für das Label Ethel Vaughn designt Diedrich seit rund zehn Jahren Baggy Pants und Sportpullis. »Die Jogginghose ist immer noch der unisexte Look«, sagt sie. Ihre Sachen sind für Männer und Frauen gedacht, aber doch nicht passend für jeden. »Für Kunden mit schmalem Kreuz bin ich nicht die richtige Adresse«, sagt Diedrich. Viele suchten aber eben genau nach Standardschnitten.
Die meisten Modeketten unterteilen ihr Angebot deshalb immer noch in Herren- und Damenkonfektion, mit unterschiedlichen Größen und Stilen sowie unterschiedlichen Farbfamilien. Selbst bei in diesen Dingen eigentlich sehr fortschrittlichen Marken wie Gucci sind in den aktuellen Kollektionen noch deutliche Unterschiede zu erkennen: Gesetzte, ruhigere Farben gibt es eher bei den Herren, die Damenmode dagegen kommt farbenfroher daher in Pastelltönen und mit floralen Motiven. Kleider oder Handtaschen gibt es nur im Damensortiment.
Manche Modeketten wie H&M bieten zusätzlich Unisex-Kollektionen an. 2019 startete das Unternehmen eine Kooperation mit den Designern der schwedischen Marke Eytys. In ihren Filialen verkauften sie genderneutrale Sneaker und Baumwollsweatshirts, also eher »risikoarme« Teile. Inzwischen werden Kollektionsstücke wie eine Kurzjacke aus glänzendem Lederimitat nur noch als Restposten online verkauft. Einsortiert sind die Teile unter »Herren«.
Unisexmode aus Schweden: Teile der Kooperation zwischen den Marken H&M und Eytys
Auf Nachfrage verweist H&M auf das aktuelle Angebot: Trotz der Unterteilung in Damen- und Herrenabteilung »ermutigen wir alle unsere Kund*innen, unser gesamtes Sortiment zu erkunden, um ihren eigenen persönlichen Stil zu finden«, schreibt eine Sprecherin.
Der Berliner Designer Thoas Lindner sieht das als Zeichen, dass genderneutrale Mode noch nicht im Mainstream angekommen ist. »Modeketten wollen möglichst viel verkaufen«, sagt er, »und weil nicht alle Kunden offen sind für genderneutrale Mode, schrecken sie meistens davor zurück.«
Wie es anders geht, zeigen Marken aus der LGBT-Community: In Modemetropolen wie New York werben Stores und Labels wie zum Beispiel Phluid oder Telfar mit nonbinary fashion, nichtbinärer Mode also. Mode, Schmuck und Make-up sind hier nur nach Zweck und Körperregionen sortiert: Ober- und Unterteile, Gesicht und Füße. Alles andere ist egal. Diese Firmen bedienen aber eher einen kleinen Markt oder machen das große Geschäft mit Accessoires.
Wieso Unisexmode kein Verkaufsschlager ist
Dass Unisexmode im Jahr 2021 immer noch kein Verkaufsschlager ist, liegt also zum einen an den unterschiedlichen Körpertypen, die nun mal unterschiedlich gebaut sind, unabhängig davon, als was sich jemand fühlt. One size fits all? In vielen Fällen nicht. Es liegt aber auch an den großen Unternehmen im Massenmarkt, die das Risiko scheuen – oder es gewagt haben und damit baden gegangen sind. Und natürlich auch an den Kundinnen und Kunden, die eben an gewissen Konventionen festhalten möchten. Aus welchen Gründen auch immer.