Foto: Redondo Bueno / Seven Swans

Vegane Spitzenküche Die neue Esskultur

Vegane Küche hat sich längst etabliert in der Kochkunst. Sie ist nahrhaft, schmackhaft, nachhaltig und – mit den richtigen Menschen am Herd – nicht von klassischer Gourmetküche zu unterscheiden. Vier Ausgehtipps.
Von Wolfgang Faßbender

Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.

Das Eleven Madison Park, New Yorker Spitzenrestaurant mit drei Sternen, versetzte die Feinschmeckerszene jüngst in Aufregung: Man wolle, verkündete der aus der Schweiz stammende Chef Daniel Humm, künftig ohne Fleisch, Fisch und andere tierische Zutaten kochen. In dem Fine-Dining-Tempel verspeisten US-Millionäre und europäische Feinschmeckerinnen bislang hauptsächlich Kaviar, Foie gras und Hummer. Mit einem Tausender für zwei Personen kommt man hier nur knapp über die Runden.

Von Schnäppchenpreisen sprach Humm denn auch nicht, selbst wenn es in der Madison Avenue nun pflanzlich zugeht, vegan sogar, wenn man die auf Wunsch zum Kaffee gereichte Milch oder den Honig zum Tee nicht mitzählt. 335 Dollar verlangt Humm für sein Menü, ohne Steuern, Trinkgeld und Wein. Auch der freiwillige Verzicht auf Sterne steht keineswegs zur Diskussion: Aus dem Luxusrestaurant soll kein alternativer Imbiss werden. Weiterhin wird elegant gekleidetes Personal Champagner entkorken und Noblesse vermitteln.

Dass die New Yorker auf tierische Zutaten verzichten, ist kein großes Wagnis: Vegane Küche hat sich längst etabliert in der Kochkunst. Auch in Deutschland wird inzwischen immer häufiger ohne Rind, Forelle und Mozzarella gekocht. Zählte die Branchenorganisation ProVeg im Jahr 2013 erst 75 vegan arbeitende Restaurants im Bundesgebiet, waren es 2018 schon 250, mehr als 70 davon allein in Berlin, inklusive der Snackbar des zum rechtsextremen Verschwörungsprediger mutierten veganen Kochbuchautors Attila Hildmann.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Externer Inhalt

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Was die Statistik nicht berücksichtigt, sind allerdings jene Köchinnen und Köche, die bloß teilweise vegan kochen. Ihnen geht es nicht um ein Prinzip, sie sind schlicht neugierig auf das, was mit Pilzen, Roter Bete und Auberginen sonst noch zu machen ist. Sie setzen auf Miso statt Demi Glace, verfeinern mit tomatiger Umami-Würze oder marinieren Tofu. Mal vegan, mal vegetarisch, dann und wann ein Stück Fisch oder Fleisch aus feinster Quelle – so scheint das Rezept für nachhaltige Gastronomie der Zukunft zu lauten. Vier Beispiele.

Lafleur, Frankfurt: Sowohl als auch

Gediegenheit ist das Wort, das einem hier sofort in den Sinn kommt. Viel Abstand zwischen den Tischen gab es schon vor Corona. Banker sitzen hier, Werber, wohlhabende Genießerinnen. Die Damen chic im Kleid, die Herren nicht selten mit Krawatte. Große Bordeaux entkorkt Sommelière Alexandra Himmel, während Küchenchef Andreas Krolik für Verblüffung sorgt. Keiner in Deutschland ist so eifrig bemüht, auch ohne Fleischfond und Sahne Gourmetniveau zu erreichen.

Zwei Sterne verlieh der Guide Michelin für gebratene Taubenbrust mit Gewürzlack und Gänseleberpraline auf Taubenconfit, aber eben auch für Waldpilzravioli und Edelpilze mit falscher Artischockenpasta und Petersilie in Pilzbouillon. Krolik hat es sich zur Gewohnheit gemacht, neben dem »normalen« Menü immer eine vegane Speisenfolge anzubieten. Überzeugte Veganerinnen und Veganer, die Gourmetrestaurants ansonsten boykottieren, hat er dadurch als Kunden gewonnen, aber auch der alles essende Teil des Publikums lässt sich bisweilen verführen.

Fotostrecke

Lafleur, Frankfurt

Foto: Restaurant Lafleur

Der Aufwand, so der neugierig vor sich hintüftelnde Koch, sei beim veganen Menü übrigens höher, weshalb Schnäppchenpreise auch hier nicht zu erwarten sind. Wer die geschmackliche Tiefe eines konventionellen Fonds nicht einfach durch angeröstete Knochen erzielen kann, sondern mit Gemüse und Pilzen erarbeitet, mit Texturen und Techniken, muss Kochen neu denken. So was spricht sich auch in der Branche herum. Bemerkenswert sei, so Krolik, dass sich junge Köche gezielt deshalb bewerben, weil sie von seinem veganen Menü gehört hätten.

Seven Swans, Frankfurt: Regional, vegan, puristisch

Ricky Saward ist ehrgeizig. Das merkt man sofort, wenn man den Küchenchef und Mitinhaber des Restaurants Seven Swans persönlich erlebt. Dass er mal Maßstäbe setzen würde, was vegane Küche angeht, ahnte er über weite Teile seiner Karriere wohl selbst nicht. Jahrelang führte sein Weg durch namhafte Restaurants, in denen Veganes wenig bis keine Rolle spielte.

Irgendwann wusste Saward allerdings, dass es so nicht weitergehen konnte, sagt er. Nach und nach erschloss er sich das Wissen über Gemüse, Früchte, Blüten und Knospen, über Fermentation und das Zusammenspiel, das zu den besten Ergebnissen führt. Nach und nach legte auch das Seven Swans zu, wurde puristischer, verbannte schließlich komplett tierische Zutaten. Als es Anfang 2020 mit verschärftem Konzept den Michelin-Stern halten konnte, wurde es automatisch zum ersten veganen Restaurant Deutschlands mit dieser Auszeichnung. Doch eigentlich sollte der Schwan sterben, das Aus fürs Lokal war beschlossene Sache, die Website erhielt den Namen »Seven Swans must die« – und trägt ihn kurioserweise immer noch. Mitte 2021 ist das Lokal aber quicklebendig und nimmt Online-Reservierungen an.

Fotostrecke

Seven Swans, Frankfurt

Foto: Redondo Bueno / Seven Swans

Gäste müssen sich darauf gefasst machen, überrascht zu werden mit fermentierten oder dehydrierten Früchten und Gemüsen, mit Beeren und Blüten, mit Wurzeln, Miso und Grillaromen. Aufgetischt wird ein einziges Menü, das Zeremoniell ist straff. Dass Saward und sein Team auf vegane Fleischimitate aus Seitan und Co. verzichten, ist nur konsequent; sie haben begriffen, dass sie geschmackliche Komplexität erschaffen können durch Techniken wie Dehydration und die so ermöglichten Texturen. Dazu kommt das Spiel aus Frucht und Säure, aus Bitternis, Umami und Röstaromen. Auch ohne Käse und Knochen entsteht so eine Tiefe, wie sie früher Fleischgerichten vorbehalten war.

Landhaus Scherrer, Hamburg: Einfach fragen

Es soll Menschen geben, die nur der Vierländer Ente wegen in die Villa an der Elbchaussee kommen. Duftend, knusprig, saftig. Heinz Wehmann, Nachfolger des legendären Armin Scherrer, ist seit 1981(!) bekannt für seinen nach allen Regeln der Kunst tranchierten Vogel. Niemand würde es ihm vorwerfen, machte er aus seinem hanseatischen Gourmettempel ein Museum des Bewährten und wiese Veganern die Tür. Doch Wehmann ist ebenso neugierig wie geschäftstüchtig.

Schließlich kämen seine Stammgäste mittlerweile schon in der dritten Generation, erzählt er – und warum soll er den Nachwuchs mit Altväterlichem verschrecken? Wichtig sei Offenheit. Man müsse als Koch die Bereitschaft haben, solche Gerichte anzubieten. »Da wir frisch und individuell kochen, ist eine vegetarische und vegane Küche für uns problemlos umsetzbar.«

Fotostrecke

Landhaus Scherrer, Hamburg

Foto: Landhaus Scherrer

Ein ausgedrucktes veganes Menü existiert zwar nicht im Landhaus, aber Veganer und Veganerinnen brauchen bloß um entsprechende Vorschläge zu bitten. Mit ein paar Finessen (Tempurateig), gutem Gemüse und Pilzen ist vieles möglich. Die Selbstverständlichkeit, mit der hier einer von Deutschlands erfahrensten Gourmetköchen vegane Speisen serviert, ist wegweisend – auch Influencer loben den Hamburger mit der langen Tradition heute.

Kle, Zürich: Quereinsteigerin à la Schweiz

Manche kommen, weil sie wissen, dass hier vegan gekocht wird. Andere, weil sie von Zürichs angesagtester Köchin gehört haben. Und Dritte wollen einfach gut essen in einem modernen, schicken Bistro. Dass es vegan zugeht im Kle, bindet man den Gästen nicht auf den Bauch. Zineb »Zizi« Hattab steht nicht gern im Mittelpunkt, ihr in der Sternegastronomie geschulter Restaurantleiter Bernd Vogel ist präsenter. Hattab aber scheint zufrieden, wenn die Gäste zufrieden sind – und der Laden brummt.

Fotostrecke

Kle, Zürich

Foto: Erna Drion

In ihrem früheren Job als Softwareingenieurin muss das anders gewesen sein. Langweilig. Weshalb Zizi die Branche wechselte und sich fortbildete. Unter anderem beim Dreisternekoch Andreas Caminada in Fürstenau (sie wohnte nicht weit von ihm entfernt in Liechtenstein) und den Roca-Brüdern in Girona (sie wurde in Katalonien geboren und wuchs dort auf, nachdem ihre Familie aus Marokko ausgewandert war). Später verfeinerte sie ihr Handwerk in New York im Laden des mexikanischen Meisterkochs Enrique Olvera.

Die Erfahrungen aus so vielen Küchen und Kulturen helfen ihr, die Speisekarte so aufregend zu gestalten, wie es die wenigsten Restaurants hinbekommen – vegane oder konventionelle. Spanische Traditionen, mexikanisch anmutende Soßen, italienische Würze oder nordafrikanische Schärfe machen ihre Gerichte zu einem Erlebnis. Pasta mit sizilianischem Pistazienpesto könnte es geben, Pastrami von Randen und Sellerie mit Wurzelgemüse-Creme oder Vanilleflan mit Sauerampfer-Granité und Erdbeeren. Spätestens bei einem Glas Champagner aus nachhaltigem Anbau, einem Sour Ale oder der großartigen hausgemachten Zitronen-Basilikum-Limonade vergisst man schnell, in einem veganen Restaurant zu sitzen. Dem derzeit besten in der Schweiz, um genau zu sein.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren