Wenn alles gesagt ist, bückt man sich wieder zum Löwenzahn. So war das früher. Warum machen die Leute heute so was?
Wenn alles gesagt ist, bückt man sich wieder zum Löwenzahn. So war das früher. Warum machen die Leute heute so was?
Foto: U. J. Alexander / Getty Images/iStockphoto

Der Wurm drin – die Gartenkolumne Die Mauer muss weg

Ein Vorgarten ist dazu da, betrachtet zu werden, anderer Leute Blumen sind auch schön. Warum ziehen sich heute so viele Menschen hinter anachronistische Schutzwälle zurück?
Von Barbara Supp

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Kann es etwas Schöneres geben als eine Gabionenmauer? Ja. Eine vorgetäuschte Gabionenmauer. So denkt ein entfernter Nachbar und hat an seinem Zaun eine Fototapete angebracht, die wie eine Gabionenmauer aussieht. Wie Steinen in Käfigen also, wie Felsentrümmer im Knast. Abweisender geht es kaum, ich habe an so einer Mauer noch nie etwas wachsen sehen. Insofern ist die Fototapete auch nicht schlimmer als das, was sie imitiert.

Grün tröstet, Grau macht traurig, mit diesem schlichten Satz im Kopf und dem Mitgärtner an der Seite wollen wir zum Neubaugebiet, um in fremder Leute Vorgärten zu sehen. Ich will sehen, ob da etwas wächst, ob anderer Leute Tulpen schon weiter sind als meine. Wirst du nicht, sagt der Mitgärtner. Die Mauern, Hecken und Zäune seien viel höher als früher. »Die Leute verschanzen sich.« So sieht er das.

Und das tun sie, viele jedenfalls. Graue Zäune, graue Mauern, hohe, dichte Thuja, wobei die immer noch ein bisschen sympathischer ist als das Grau. Wenn ich einen Jägerzaun sehe, freue ich mich, das war früher nie der Fall, als das Wort »Jägerzaun« automatisch mit dem Wort »spießig« einherging. Ich hoffe nur, dass sie die Zäune nicht mehr wie früher regelmäßig mit giftigem Holzanstrich überziehen.

Ein Vorgarten ist dazu da, dass man ins Reden kommt

Der Vorgarten – er ist eigentlich, so kenne ich das von früher, ein halböffentlicher Raum. Er ist dazu da, dass man mit denen ins Reden kommt, die vorbeigehen oder die im Nachbargarten stehen. Man ist zu nichts verpflichtet und doch ansprechbar. Man geht die Ereignisse in der Nachbarschaft durch und die in der Weltpolitik, wenn man mag, und wenn alles gesagt ist, bückt man sich wieder zum Löwenzahn.

Garten, das Wort kommt aus dem Indogermanischen und trägt in sich das Wort Gerte, woraus man früher mal Begrenzungen geflochten hat. Ohne Grenze gäbe es keinen Garten, aber doch nicht so, denke ich beim Gang durchs Neubauviertel, warum machen die das? Zum Schutz vor Neid auf den neuen Weber-Grill? Zum Schutz vor Einbrechern? Das wäre eine schlechte Idee, denn die können gemütlich arbeiten im Schutz der hohen Thuja, durch die sie keiner sieht.

Es hat nichts mit Corona und nichts mit der neuen unsicheren Weltlage zu tun, es geht schon länger, erinnere ich mich jetzt. Vor einigen Jahren habe ich ein Dorf besucht, das wegen des Braunkohleabbaus zum Abriss freigegeben war, und auch das neue Dorf, in dem die Bewohner neu gebaut hatten. Man konnte dort nicht nur viel über den Wahnsinn der Energieversorgung lernen, sondern auch über den Wahnsinn in manchen Gärten. Im verlassenen Dorf war zu sehen, was Pionierpflanzen sind – Birke und Ahorn zum Beispiel, denen ein winziges bisschen Erde genügt, und schon wachsen sie im Schottergarten. Im neuen Dorf sah man, wie hoch die Hecken und Zäune waren, die diesen Heimatvertriebenen wichtig waren. Lasst mich in Ruhe. Ihr habt mich hierher gezwungen, jetzt lasst mich in Ruhe. Das war die Botschaft, die ich verstand.

Meins. Das ist meins. Verschanzt hinter Gabionenmauern, die man aus dem Militär kennt und die angeblich in Mode kamen, weil nach dem ersten Irakkrieg in den Neunzigerjahren so viele davon übrig waren. Denken die Leute so? Ich hoffe nicht.

Gabionen sind ansteckend. Wildblumen auch?

Man kennt das: Einer fängt an, dann breitet es sich aus, Gabionen sind ansteckend, Schottergärten  auch. Eine amerikanische Studie hat es vor ein paar Jahren untersucht: Kulturelle Normen sind wichtig für das, was der Mensch in seinen Garten pflanzt, aber noch wichtiger ist der Nachbar. Was wird er sagen? Wenn der Vorgarten nicht das ist, was man »ordentlich« nennt? Wenn da wuchernde Wildblumen sind statt sauber geschnittenem Grün?

Aber auch das Rettende kann ansteckend sein, wir hoffen es jedenfalls. Im Vorgarten bei uns stehen die Rosen, die wir geerbt oder selbst gepflanzt haben, man sieht sie über die niedrige Mauer. Die Rosen waren immer schon, so sehe ich es jedenfalls, auch für die Vorübergehenden da. Und für den alten Mann im Haus gegenüber, der nicht mehr gut laufen konnte und viel aus dem Fenster sah, sie sind so schön, sagte er oft. Über den Rosen steht ein Zierapfelbaum, und wenn der knallrosa blüht, will ich die Freude daran teilen.

Zwischen den Rosen wurzeln Salbei, Lavendel, Katzenminze, darunter rankt es: Walderdbeeren. Sie kamen von selbst.

Mit dieser Art Bodendecker haben wir uns bisher hier in der Gegend nicht durchgesetzt, aber es scheint doch so, als ob mancherorts mehr wuchert und blüht als früher. Als ob nicht mehr nur die Gabionen auf dem Vormarsch seien, sondern auch die Wildhecken.

Ein paar Dörfer weiter gab es bis vor Kurzem einen kleinen Laden für Betonbedarf, Tröge, Tiere, Gartenzierrat aller Art, der ist jetzt zu. Vielleicht ist es wegen Corona, vielleicht ist es aber auch ein Zeichen, ich wünsche den Betreibern alles Gute für eine neue Geschäftsidee, womöglich mit mehr Grün.

Grün kann trösten. Wir werden es benötigen, jetzt besonders, in nächster Zeit, und vielleicht noch ziemlich lange.

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