Negroni: Na dann: Prost!
Negroni: Na dann: Prost!
Foto: Mart & iacute/ Sans/ Stocksy United

Wermut liegt im Trend Ein Hauch von Bitternis, ein Schuss Lebensart

Ein großväterlich anmutendes Nischengetränk hat seine Ecke verlassen: der Wermut. Inzwischen mischen einige spannende Marken mit - und begeistern zunehmend Barkeeper und Gäste.
Von Wolfgang Faßbender

Vorweg die schlechte Nachricht: Den Spaniern können wir noch lange nicht den Wermut reichen. Denn den Deutschen ist jene Selbstverständlichkeit fremd, mit der sogenannte Vermuterías in Madrid, Valencia und Barcelona hausgemachte oder zugekaufte Würzweine servieren, als bittersüßen Aperitif mit Tapas. Zwischen blanco und rojo, weiß und rot, muss der Kunde hier wählen, darf jungen oder gereiften Wermut bestellen, freut sich im besten Falle über eine Scheibe Orangenschale im Drink und aufmunternde Worte vom Padrón. Ein, zwei Gläschen trinkt der Katalane, Baske oder Galicier, um anschließend die nächste Bar aufzusuchen, Sherry oder Bier zu ordern, schließlich in einem echten Restaurant einzukehren. Ein Gesamtkonzept des Genießens.

Die gute Nachricht ist, dass sich die Deutschen gern eine Scheibe mediterraner Lebensart abschneiden. Im Falle des Wermuts ist sie sogar ziemlich dick, seit die flüssigen Belanglosigkeiten italienischer Konzerne von spannenden Marken ergänzt werden. Das großväterlich anmutende Nischengetränk hat seine Ecke verlassen.

Weil Wermut auf der Basis von Wein entsteht, also vergleichsweise wenig Alkohol aufweist, und mit dem Zusatz von Kräutern punktet, strahlt er Natürlichkeit aus, lässt gleichzeitig ein gehöriges Maß Nostalgie durchschimmern. Konsumenten mit Trendgefühl kaufen also seit zwei, drei Jahren nicht mehr Cinzano oder Martini, sondern lieber Carpano Antica Formula, Mancino oder Del Professore, also Highend-Wermuts aus dem Süden.

Auch deutsche Manufakturen mischen mit

So was freut auch die Barkeeper, die ja ansonsten, der Corona-Pandemie wegen, gerade wenig Grund zum Lachen haben. "Der Wermut spielt eine große Rolle an der Bar", bestätigt Dennis Ilies, lange Souschef von Drei-Sterne-Koch Kevin Fehling und nun Manager der neuen Hamburger Puzzle Bar. "Er ist in vielen Drinks enthalten." In Klassikern wie dem Negroni zum Beispiel, der gerade eine Renaissance feiert, oder in der Puzzle-Bar-eigenen Neuerfindung Puzzletini.

Viele Barkeeper nutzen für ihre Kreationen auch eine jener Spezialitäten, die gerade aus deutschen Manufakturen auf den Markt schießen. Wermut lässt sich ja, auch ein Grund für die Explosion der Vielfalt, sogar in der eigenen Garage oder Küche herstellen, denn destilliert werden muss nichts. Notfalls reichte es schon, Restpartien Wein mit ein paar Blättern Artemisia absinthium (Echter Wermut) respektive Artemisia pontica (Römischer Wermut) zu mischen, anderen Botanicals wie Enzian, Weinraute oder Zitrusschalen, ein paar Tropfen Destillat sowie Zucker. Schickes Label drauf, coole Flasche, am besten noch eine flotte Geschichte drumherum.

40 Euro pro Liter

Bisweilen eine bemerkenswerte Wertschöpfungsaktion, denn einige der aktuell gehypten Wermuts kommen auf Literpreise von über 30, gar mehr als 40 Euro. Was allerdings nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Produzent Händchen, Geschmack und Ehrgefühl hat. Beim Ferdinand’s scheint all das gegeben: Der Wermut wird schließlich mit erstklassigem Riesling von der Saar gefertigt, Topwinzerin Dorothee Zilliken gehört zu den Gründern. Auch andalusische Unternehmen wie Lustau und González Byass haben Wermuts auf dem Markt platziert, die dank der hochwertigen Sherry-Grundweine Eigenständigkeit aufweisen.

Stefan Dorst, erfahrener Flying Winemaker, treibt die dezent bittere Sache gar auf die Spitze. "Mein Merwut unterscheidet sich von anderen dahingehend, dass er komplett schmecken möchte." Der Pfälzer will nicht die gesamte Wermut-Palette von weiß über rosé bis rot herstellen, wie es andere tun, sondern versucht, Einzelstilistiken zu vereinen. "Er soll weder süß noch trocken wirken und ein möglichst breites Aromenspektrum von Bitterkräutern, Trockenfrüchten und diversen Heilpflanzen zeigen."

An den Zutaten wird auch nicht gespart: Dorsts Premiumversion namens Merwut de Luxe wurde gar mit einer Beerenauslese verfeinert, die zweieinhalb Jahre im Barrique lag. Die einst propagierte Heilwirkung des bitteren Wermutkrauts, das seit Jahrhunderten gegen Motten, Hexen und Verdauungsbeschwerden eingesetzt wurde, gerät da endgültig in den Hintergrund.

Auch die Gäste begreifen langsam, dass Bitternis nicht mit Arznei assoziiert werden muss, sondern für zusätzlichen Genuss im sonst meist auf Süße, Säure und Salzigkeit limitierten Geschmacksspektrum. Die Hinwendung zum Wermut geht Hand in Hand mit einem Interesse an alten Gemüsesorten, denen die Bitterstoffe noch nicht weggezüchtet wurden. "Bitter ist ein vergessener Geschmack", sagt Fabio Haebel, Chef der Hamburger XO Seafoodbar, "mit etwas Erklärung finden es die Leute toll".

Köche wie er sind ja qua Ausbildung Wermut-affin, schließlich ist der im südfranzösischen Marseillan in alten Fässern unter freiem Himmel gereifte Noilly Prat in seiner knochentrockenen Version unverzichtbarer Bestandteil klassischer Soßen. Fabio Haebel mischt aber auch selbst, zuletzt mit wildem Strandwermut aus Dänemark. "Ich bin sehr gespannt, wie sich der Ansatz unterscheidet."

Auch Robert Stolz ist Self-Made-Kreateur: 15 Liter habe er gerade wieder angesetzt, sagt der erfahrene Koch und Chef eines Minirestaurants im norddeutschen Plön. Im Thema Kräuter ist er drin, komponiert auch andere Getränke selbst, lässt sich beim Kochen auf die Finger sehen. "Die Gäste kommen, weil sie etwas von Robert Stolz wollen", sagt Stolz stolz. Ganz neben vermittelt er, wie die Gastronomie nach dem Lockdown aussehen kann (und muss), wenn sie langfristig Erfolg haben will. Einzigartig, unverwechselbar. Am besten mit Wermut.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren