Kohlekraftwerke auf dem Balkan Chinas Geld ist Bosniens Gift
„Kohle ist unglaublich wichtig für diese Region. Ein Ausstieg ohne Alternativen würde die Wirtschaft töten.“
„Sie pumpen das Gift einfach in die Stadt, was absolut keinen Sinn macht.“
„Da hinten, der alleinstehende Schornstein: Das ist Kostolac B3, ein neues Kraftwerk, das durch einen chinesischen Kredit finanziert wird.“
„Es gibt vieles, was uns Sorgen bereiten sollte. Und wir können uns nicht einfach zurücklehnen und sagen: Ja, alles gut. So wurde jahrelang reagiert. Aber jetzt kümmert es mehr Leute.“
Serbien und Bosnien-Herzegowina wollen in die EU. Doch in der Zwischenzeit leihen sie sich Geld aus China – und investieren damit in Kohlekraftwerke. Dies ist die Geschichte einer heiklen Abhängigkeit.
FLUCH DER KOHLE
WIE CHINA SICH AUF DEM BALKAN EINKAUFT
Wir sind unterwegs mit Denis Zisko: Der 55-Jährige arbeitet für eine bosnische NGO und kämpft seit Jahren gegen die Umweltverschmutzung durch Kraftwerke.
Am Rande eines Waldstücks nahe der Stadt Tuzla zeigt er uns die Aschedeponie des 1 Kilometer entfernten Kohlekraftwerks.
Hier werden die Rückstände aus der Kohleverbrennung mit Wasser gemischt und in ein Tal gepumpt. Die Folge: Ein kristallklarer, aber hochalkalischer See, der große Mengen an giftigen Stoffen und Schwermetallen enthält.
+++Denis Zisko, Zentrum für Ökologie und Energie Tuzla+++
„Es ist ein riesiges Gesundheitsrisiko. Wie Sie sehen, existiert hier absolut kein Schutz, keine Auskleidung oder irgendetwas, was verhindert, dass dieses Wasser ins Grundwasser eindringt. Es gibt mehrere Brunnen in dieser Gegend, die durch das Wasser verschmutzt sind, weil es einfach in die Erde sickert und die Natur tötet, wie Sie sehen, und das Wasser verschmutzt – sogar oberirdische Gewässer. Es tötet alles um uns herum.“
Dennis Ziskos Beschwerden bei den örtlichen Behörden waren bislang erfolglos. Während solche offenen Deponien für Kraftwerksabfälle in Deutschland verboten sind, ist diese Methode in Bosnien immer noch Praxis.
Und verseuchtes Grundwasser sei nicht die einzige Gefahr, warnt Zisko. Er hat bereits häufiger dokumentiert, was passiert, wenn die Oberfläche der Aschedeponie austrocknet.
+++Denis Zisko, Zentrum für Ökologie und Energie Tuzla+++
„Dann nimmt der Wind den Staub auf und bläst ihn in die Umgebung. Dieser Staub ist voller Schwermetalle, die nachweislich eine Ursache für verschiedene Krebsarten in der Bevölkerung sind.“
Genau zwischen Aschedeponie und Kraftwerk liegt das Haus von Nadiha Pascanovic. Die 48-Jährige versorgt sich vor allem aus ihrem Obst- und Gemüsegarten. Die Hausfrau ist überzeugt, dass das Kohlekraftwerk die Bevölkerung in Tuzla krank macht.
+++Nadiha Pascanovic, Anwohnerin+++
„In diesem kleinen Haus da hinten lebten zwei Menschen, die an Lungenkrebs gestorben sind. In diesem Haus ist einer an Lungenkrebs gestorben. Der Mann, der hier lebte, starb an Prostatakrebs. Und da, der hatte auch Lungenkrebs. Normalerweise beginnt es mit einer Erkältung, dann entwickelt es sich zu einer Bronchitis und am Ende ist es Lungenkrebs. Es ist ein langsamer Prozess, weil wir ständig der Verschmutzung ausgesetzt sind.“
Dass die Krebsfälle direkt auf das Kraftwerk zurückzuführen sind, ist schwer nachweisbar. Auch Autoverkehr oder die privaten Kohleöfen spielen eine Rolle. Fakt ist aber: Tuzla gehört zu den Städten mit der schlimmsten Luftverschmutzungen Europas. Und dass dreckige Luft wiederum eine wichtige Ursache für Krebs ist – ist von der WHO bestätigt.
Unbestritten ist auch, dass die Abgase des alten Kohlekraftwerks aus den 60er Jahren zur dreckigen Luft in Tuzla maßgeblich beitragen. Doch statt den alten Meiler abzuschalten und den Ausstieg aus der Kohleverstromung vorzubereiten, will die bosnische Regierung das Kraftwerk in Tuzla sogar noch erweitern – mit Hilfe eines Millionenkredits aus China.
Denis Zisko übt scharfe Kritik an dem Deal:
+++Denis Zisko, Zentrum für Ökologie und Energie Tuzla+++
"Die Entscheidungsträger werden wahrscheinlich in den nächsten fünf bis zehn Jahren in den Ruhestand gehen. Und dann profitieren sie definitiv von diesem Deal - finanziell und auch politisch. Sie können dann in Rente gehen und an die Küste in ihre Wochenendhäuschen ziehen. Und genau zu diesem Zeitpunkt müssen wir damit beginnen, den Kredit für das Kraftwerk zurückzubezahlen. Und dann werden das staatliche Energieversorgungsunternehmen Elektroprivreda und das ganze Land ein riesiges Problem haben, das Geld aufzutreiben."
Der chinesische Kredit beläuft sich auf rund 600 Millionen Dollar. Die Investition ist Teil der „Neuen Seidenstraßen Initiative“ des chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Der hat in den vergangenen Jahren nicht nur weltweit Straßen, Schienen und Häfen finanziert, sondern auch Kraftwerke. China geht es vor allem um geopolitischen Einfluss – aber auch darum, die heimische Wirtschaft am Laufen zu halten.
+++Amrita Narlikar, Giga-Institut Hamburg+++
"China hat die schmutzige Kohleindustrie im eigenen Land schrittweise eingestellt. Ein großes Lob an China dafür. Ein großes Lob an China, weil es immer nachhaltiger agiert. Aber natürlich ist es problematisch, wenn man dann stattdessen damit anfängt, einen Teil der schmutzigen Industrie einfach an einen anderen Ort zu verlegen. Und genau das tut China. Und warum macht es das? Nun, es ist ein Land, das sich einen Wettbewerbsvorteil auf dem Gebiet der Kohle erarbeitet hat. In der Kohleindustrie ist China ein Vorreiter. Hinzu kommt, dass es in China viele Arbeiter und Ingenieure gibt, die arbeitslos sind, weil China auf erneuerbare Energien umgestellt hat. Also ist es großartig für China, wenn auf einmal wieder Nachfrage nach diesen Produkten besteht. Und man muss bedenken: Die Nachfrage besteht.“
Die Nachfrage besteht – auch in Serbien. Wir reisen nach Kostolac, 100 Kilometer östlich von Belgrad: Auch hier wird mit Hilfe eines chinesischen Kredits ein Kohlekraftwerk erweitert. Die Bauarbeiten übernimmt die chinesische Firma „China Machinery Engineering Corporation“, mehrere hundert chinesische Arbeiter seien bereits vor Ort, berichtet uns der serbische Umweltaktivist Zvezdan Kalmar. Er beobachtet das Projekt seit Jahren.
+++Zvezdan Kalmar, Center for Ecology and Sustainable Development (CEKOR)+++
"Dieses Gebiet ist mehr als 400 Quadratkilometer groß. Hier sollten eigentlich Windräder stehen."
Die osteuropäische NGO „CEE Bankwatch“, mit der auch Kalmar oft zusammenarbeitet, hat untersucht, wie der Deal zwischen Serbien und China zu Stande kam. Die Nichtregierungsorganisation erhebt in ihrem Bericht schwere Vorwürfe:
Es habe für den Kredit keine transparente Ausschreibung gegeben. Stattdessen sei er in einem Eilverfahren vom serbischen Parlament abgesegnet worden
(A USD 608 million loan contract was signed with China Exim Bank in December 2014. In early 2015 it was ratified by the Serbian parliament in an extraordinary session announced to the public less than 24 hours in advance.)
Zudem erfülle das neue Kraftwerk die EU-Richtlinien zu Schadstoffgrenzwerten nicht – obwohl sich das Land daran halten muss, sobald es in die EU eintritt
(the air emissions limits in the Kostolac B3 environmental assessment are not in line with the new standards (the so-called LCP BREF). As an EU accession country, Serbia needs to make sure that any new plant is in line with these standards or it risks being landed with expensive retrofit costs later on.)
Und zu guter Letzt sei das Projekt wirtschaftlich unrentabel, weil die CO2-Bepreisung der EU nicht berücksichtigt wurde
(economically unfeasible even with a CO2 price of EUR 5.79 per tonne11. The current CO2 price is four times higher.)
+++Zvezdan Kalmar, Center for Ecology and Sustainable Development (CEKOR)+++
"Wenn man sich die Projektstudien anguckt, dann sieht man, dass da ganz offen drinsteht, dass die Kosten für die CO2-Emissionen nicht mit eingerechnet wurden – und das wird eine enorme Last für das Projekt sein. Und wenn man noch genauer hinschaut, dann wird klar: Selbst wenn der Preis pro Tonne sehr gering ist – sobald Serbien als Teil der EU beim Emissionshandel mitmacht, dann wird dieses Projekt große finanzielle Verluste einfahren."
Warum verschuldet sich Serbien für ein Kraftwerk, das sämtliche europäische Standards missachtet? Wir kontaktieren das serbische Energieministerium – unsere Interviewanfrage wird jedoch abgelehnt.
Anfang November in Shanghai: Die serbische Premierministerin ist zu Gast in China. Eigentlich ist die EU mit Abstand größter Geldgeber in der Region – doch bei der Kreditvergabe hat China mittlerweile die Nase vorn. In Brüssel blickt man skeptisch auf dieses Engagement:
+++ Johannes Hahn, EU-Kommissar für Erweiterungsverhandlungen+++
“Wir erwarten von Serbien, als EU-Kandidatenland, dass es seinen Verpflichtungen aus (...) dem „Energy Community Treaty“ nachkommt. Das heißt, es muss Nachhaltigkeit in Bezug auf +++Finanzen sowie die Umwelt gewährleistet werden (…) Es bestehen Sorgen, dass der Ausbau von Kohlekraftwerken aufgrund der rasanten Entwicklung von Technologien zur Erzeugung erneuerbarer Energie nicht mehr wettbewerbsfähig sein wird und außerdem nicht zur Erreichung der Klimaziele (Paris-Abkommen) beitragen wird.”
Xi liefere günstige Kredite ohne Moralpredigten, erklärt Amrita Narlikar.
+++Amrita Narlikar, Giga-Institut+++
"Chinesisches Geld ist einfaches Geld, doch damit einher kommt die Gefahr der Verschuldung. Aber wenn Sie eine Regierung sind, die sich weiterentwickeln will und Investitionen anstrebt, dann machen Sie sich keine Gedanken über eine langfristige oder gar eine mittelfristige Verschuldung. Stattdessen werden sie sagen: „Ich möchte einfach das Geld”. Ich würde sagen: Das Wichtigste für diese Länder, die keine EU-Mitglieder sind, ist: Entwicklung, Entwicklung, Entwicklung.
Zurück im bosnischen Tuzla: Die geplante Erweiterung des Kraftwerks war für Bürgermeister Edin Delic eine gute Nachricht. Er kümmert sich nicht um Feinstaubwerte, er denkt an Arbeitsplätze. Und die Miene, die das neue Kraftwerk versorgen soll, liegt in seinem Wahlkreis.
+++Edin Delic, Bürgermeister Lucavac, Bosnien-Herzgowina+++
"Die Wirtschaftslage ist nicht besonders gut, unser Land ist von Korruption geplagt, die Menschen wandern aus. Ich glaube, es wäre besser, wenn man mehr in die Wirtschaft investieren würde, um den Menschen die Hoffnung zu geben, dass es eine Zukunft für sie gibt. Dann wird es auch einfacher, die Umweltstandards zu heben. Viele Familien, die hier leben, müssen einen Kredit für ihr Haus abbezahlen, sie haben zwei Kinder, die zur Schule gehen. Wenn du den Leuten sagst: „Nächsten Monat gibt es kein Geld für dich“. Dann würden sie töten."
Tatsächlich ist die Arbeitslosigkeit in Bosnien fast sechs Mal so hoch wie in Deutschland. Die kurzfristige Sicherung der Arbeitsplätze hat für Edin Delic deswegen so große Priorität. Klimaschutz ist eher nachrangig.
In einer Zeit, in der die EU hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt ist, füllt China auf dem Balkan eine Lücke. Doch die Kredite aus Peking könnten Länder wie Bosnien und Serbien langfristig gleich doppelt binden – an eine umweltschädliche Energiegewinnung und einen autoritären Einparteienstaat.
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