Abgas-Grenzwerte Autolobby schießt sich auf Brüssel ein
Hamburg/Berlin - Erich Klemm, Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei DaimlerChrysler, sieht riesige Produktionseinstellungen für den Fall voraus, dass die EU-Kommission sich für einen verbindlichen Grenzwert von 120 Gramm Kohlendioxid (CO2) entscheidet: "Wenn das so beschlossen wird, dann müssen wir unsere Fabriken schließen, in denen C-, E- und S-Klasse produziert werden", sagte Klemm der "Bild am Sonntag". Betroffen seien 65.000 Mitarbeiter.
Dem Bericht zufolge schrieb auch IG-Metall-Chef Jürgen Peters einen Brief an EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, in dem er bittet, die Entscheidung über den neuen Grenzwert zu verschieben. Die Gewerkschaften müssten an der Meinungsbildung beteiligt werden.
EU-Umweltkommissar Stavros Dimas hat eine gesetzliche Regelung angekündigt, mit der die Autohersteller verpflichtet werden sollen, den CO2-Ausstoß von Neufahrzeugen bis 2012 auf drei Viertel des heutigen Werts zu vermindern. Dimas plädiert dazu für eine gesetzliche Obergrenze von 120 Gramm CO2 je gefahrenem Kilometer. Die europäischen Automobilhersteller hatten sich freiwillig verpflichtet, den C02-Ausstoß von Neuwagen 2008 bereits auf im Schnitt 140 Gramm je Kilometer zu begrenzen. Dies wird wohl nicht gelingen: Derzeit liegt der Durchschnittsausstoß bei 161 Gramm pro Kilometer.
In der EU-Kommission selbst jedoch ist Dimas' Absicht heftig umstritten: Die urspünglich für vergangene Woche geplante Vorlage einer entsprechenden Richtlinie wurde von Kommissionspräsident Barroso auf diesen Mittwoch vertagt. Insbesondere Industriekommissar Günter Verheugen plädiert für mildere Regeln.
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) warnte in der "Bild am Sonntag" vor dem Verlust zehntausender Arbeitsplätze in der Autoindustrie. Glos sagte, die Pläne von Dimas sowie von Umweltminister Gabriel müssten gestoppt werden.
Gabriel dagegen sagte dem "Tagesspiegel am Sonntag", es sei absolut klar, dass eine gesetzliche Regelung nötig sei, nachdem die Selbstverpflichtung der Autohersteller gescheitert sei. Dabei gehe es nicht darum, dass jedes Auto einen bestimmten Kraftstoffverbrauch haben müsse, sondern um die Fahrzeugflotte insgesamt, betonte Gabriel. Das 120-Gramm-Ziel könne durch eine Kombination von Fahrzeugtechnik und einer anteiligen Anrechnung des Einsatzes von Biokraftstoffen erreicht werden. Dies stehe so auch in der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Union. Ein Sprecher Gabriels sagte am Sonntag an Glos gewandt: "Ein Blick in den Koalitionsvertrag macht das Leben leichter - auch für den Bundeswirtschaftsminister."
Auch Hamburgs Regierungschef Ole von Beust kritisierte die Autohersteller: "Ich bedauere sehr, dass die Autoindustrie in Europa - auch Traditionsmarken wie Mercedes, BMW und VW - ihre Zusagen zur Schadstoffreduzierung nicht eingehalten hat." Der neue Vorsitzende der CDU-Kommission für Klima und Umwelt sagte der "Bild am Sonntag" zudem: "Dass Brüssel jetzt Druck macht, ist richtig. Aber neue Gesetze bedeuten auch mehr Bürokratie." Er plädierte für einen Vertrag der EU-Staaten mit den großen Autoherstellern, in dem klare Vorgaben zur CO2-Verringerung gemacht werden. Verfehlten die Konzerne die vereinbarten Ziele, drohten harte Vertragsstrafen. Sollten sich die Hersteller gegen den Abschluss solcher Verträge sperren, "werden wir in der Tat an einer gesetzlichen Regelung nicht vorbeikommen".
Grünen-Chef Reinhard Bütikofer nannte die Haltung deutscher Automanager inakzeptabel. Die Autoindustrie setze mit einer "kurzfristigen Strategie" ihre eigene Zukunft aufs Spiel, sagte er am Samstag auf dem Landesparteitag der niedersächsischen Grünen in Stade. Die Bundesregierung habe das Recht, die Standards zum CO2-Ausstoß "mit Ordnungsrecht durchzusetzen".
Am Samstag war bekannt geworden, dass Deutschlands Autobosse auf massiven Konfrontationskurs zu Brüssel gegangen sind. In einem Brief an die EU-Kommission warnten die Chefs der fünf großen deutschen Autobauer vor einem drastischen Verlust von Arbeitsplätzen, sollte Brüssel den scharfen Grenzwert für den klimaschädlichen CO2-Ausstoß gesetzlich vorschreiben. Es drohten "schwerste Verwerfungen in der Automobil- und Zulieferindustrie".
cia/dpa/AP/AFP