FISCHEREI Absoluter Wahnsinn
Sie hätten längst vor Grönland, Kanada oder Norwegen sein müssen, um Kabeljau, Seelachs oder Rotbarsch zu fangen. Statt dessen hockten die deutschen Hochseefischer in den Kneipen von Cuxhaven, Bremerhaven und Hamburg und schimpften über die Europäische Gemeinschaft.
»Ein Schietladen« sei das in Brüssel, maulte vergangene Woche ein stämmiger Gast der »Wülfeler Bierstuben« in Bremerhaven. Die EG-Politiker, pflichtete ihm ein anderer bei, »sollte man alle zum Teufel jagen, und die in Bonn dazu, weil die sich dauernd von denen erpressen lassen«.
Der Groll der Fischer ist verständlich: Weil sich die Brüsseler Fisch-Experten seit Monaten nicht über Fangquoten einigen können, liegt die deutsche Hochseeflotte fest, und die Matrosen bangen um ihren Verdienst.
»Wegen denen in Brüssel«, klagte einer, müsse seine Familie jetzt mit knapp 1400 Mark im Monat auskommen -- mit der Liegeheuer nämlich, die ihm seine Reederei fürs Nichtstun bezahlt. Ohne die fest eingeplante Fangprämie, rund 1000 Mark monatlich, komme er nicht zurecht: »Den Urlaub in diesem Jahr kann ich vergessen.«
Die Verbitterung der Fahrensmänner, die sich seit Wochen auf Abruf bereit halten, ist bis in die Vorstandsetagen der Reedereien gedrungen. »Die Stimmung«, weiß Dieter Koch, Chef der Hanseatischen Hochseefischerei AG, »ist mehr als gereizt.«
Koch mußte zu Jahresanfang, mitten in der besten Saison, bereits einige Millionen Mark Verlust hinnehmen. Der Großteil seiner Schiffe fischt nicht im Atlantik, sondern liegt an deutschen Kais vertäut.
Von den 20 Fangfabrikschiffen der deutschen Hochseefischer liegen derzeit 13 fest und bringen ihren Besitzern --Nordsee, Hanseatische, Nordstern und Pickenpack -- Tag für Tag über 300 000 Mark Verlust.
Unbeeindruckt von derlei Nöten, verhandeln die Eurokraten zäh über Fangquoten und Aufteilung der Fanggründe unter die EG-Partner.
Großbritannien und Frankreich raufen sich seit November über den Zugang zu Küstengewässern. Die Dänen sind mit den geplanten Fangquoten nicht zufrieden, und die Deutschen fühlen sich mit der sogenannten Drittland-Regelung überfahren.
So hatte die Bundesrepublik längst ein Abkommen mit dem Drittland Kanada getroffen: Als Ausgleich für Fischerei-Rechte vor Labrador und Neufundland sollten die Kanadier Kabeljau-Filets in die Bundesrepublik liefern dürfen. Den Kanada-Kontrakt aber blockiert Brüssel. »Absoluter Wahnsinn«, findet Reeder Koch, stellvertretender Vorsitzender des Verbands der deutschen Hochseefischereien, die EG-Querelen.
Wenn Bonn sich nicht endlich in Brüssel durchsetze, kündigte die Branche vergangene Woche an, werden die Fischer mit ihren Schiffen die Häfen von Hamburg und Bremen blockieren. Kurzarbeit oder gar Entlassung von vorerst 1200 Mann wären unvermeidlich.
Am Mittwoch vergangener Woche konnte der deutsche Chef-Unterhändler, Bundesernährungsminister Josef Ertl, die aufgebrachte Branche zunächst mit einem kleinen Teilerfolg beruhigen: Die Dänen erlaubten den Deutschen, vor Ostgrönland 3000 Tonnen Kabeljau aus dem Meer zu heben -- aber nur bis zum 10. Februar. Das Gerangel um Fangquoten und vor allem um das Abkommen mit Kanada geht weiter.
Die deutschen Hochseefischer fühlen sich von dem Brüsseler Streit am härtesten getroffen. Während alle anderen EG-Fischereien -- so argumentieren die Deutschen -- mit dem gegenwärtigen Zustand durchaus leben könnten, S.69 seien sie selbst vor allem auf Fanggründe vor Drittländern angewiesen.
Das Dilemma begann 1977, als sich die Staaten weltweit die 200-Meilen-Zone vor ihren Küsten als Reservat für ihre nationalen Fischer sicherten. Von ihren traditionellen Fanggründen abgeschnitten, schrumpfte die deutsche Fischerei-Flotte von Jahr zu Jahr.
Noch 1973 fuhren 84 Fischerei-Schiffe unter deutscher Flagge, darunter 36 Fabrikschiffe, die Tausende von Seemeilen entfernt vom Heimathafen ihre Netze auswerfen und die Fänge an Bord verarbeiten. Die übrigen waren Frischfischfänger, die mit ihrer Beute gleich zurückdampfen müssen. Ende 1981 wird die deutsche »Kernflotte« (Koch) nur noch aus 16 Fabrik- und elf Fangschiffen bestehen.
Allerdings haben die Deutschen, nicht zuletzt dank vieler Millionen-Subventionen, die modernste Hochseefischerei. Sie haben sich stärker als andere EG-Staaten auf die sogenannte Fernfischerei spezialisiert, auf den Fang von Kabeljau und Schellfisch, Seelachs, Rotbarsch, Heilbutt und Wittling vor weit entfernten fremden Küsten.
Die Quotenverträge mit Drittländern, auf die deutsche Hochseefischer dringend angewiesen sind, müssen von der EG sanktioniert werden. Inzwischen aber haben die Brüsseler Bürokraten, so fürchten die deutschen Fischer, allzu lange gestritten: Von Ende Februar an vertreibt Packeis die Schiffe aus den Gewässern vor Labrador und Neufundland; spätestens im März ist dort die Saison zu Ende.
Derzeit dümpeln zwar ein paar deutsche Fang- und Verarbeitungsschiffe im Atlantik. Aber davon kann die Branche nicht leben; die Beute vor Grönland (Rotbarsch) und in westbritischen Gewässern (Makrelen) ist zu dürftig.
So fürchten die deutschen Hochseefischer und ihr Verband bereits das Schlimmste. Wenn sich die Agrar-Minister in Brüssel nicht bald darüber einigten, wer wo wieviel fangen darf, müßten die Deutschen wohl abwracken. Verbandsvize Koch: »Die Flotte ist in Gefahr.«