Währungen Absurde Höhen
Yoshifumi Tsuji hatte die Entwicklung kommen sehen. Der Dollar werde auf 100 und die Mark auf 60 Yen sinken, prophezeite der Nissan-Präsident - aber erst zwischen 1997 und 2000.
Doch schon zwischen Januar und August 1993 schoß der Kurs der japanischen Währung gegenüber dem Dollar um 20 Prozent hoch; der Dollar verbilligte sich von 125 auf 104 Yen.
Für Japans Exportindustrie wird es nun eng. Der starke Yen treibt ihre Fertigungskosten im internationalen Vergleich hoch; die ausländische Konkurrenz gewinnt einen unverhofften Wettbewerbsvorteil.
Japanische Autos in den USA werden teurer, amerikanische in Japan billiger. »Eine so drastische und schnelle Aufwertung überschreitet unsere Anpassungsfähigkeit«, klagt Mazda-Präsident Yoshihiro Wada.
Japanische Exportware wird zu vier Fünftel im Dollar-Raum abgesetzt. Hersteller wie Toyota waren dabei von einem 115-Yen-Dollar ausgegangen. Mit jedem Yen, um den der US-Dollar nun sinkt, hat Jonathan Dobson von der Investment-Firma Jardine Fleming Securities in Tokio ausgerechnet, vermindern sich die Dollar-Einnahmen des Toyota-Konzerns um 120 Millionen. Zum erstenmal seit 60 Jahren drohen Verluste.
Zugelegt hat der Yen auch gegen die europäischen Schlüsselwährungen. Die Europäer, mit sich selbst beschäftigt, taten nichts, um das zu ändern: Zumindest der Autoindustrie, die eine Japan-Invasion erwartet, kommt es gelegen, daß die Japan AG jetzt weniger Yen für ihre Produkte erlöst.
Der Handelskrieg im Dreieck USA-Japan-Europa hat eine neue Phase erreicht. Wieder einmal, wie nach dem sogenannten Plaza-Abkommen vom September 1985, haben die Devisenhändler brav auf ein Herunterreden des Dollar-Kurses, diesmal allein gegen den Yen, reagiert.
Damals, im New Yorker Plaza-Hotel, war es eine vom US-Finanzminister James Baker inszenierte Gemeinschaftsaktion der großen Industrieländer, die den Dollar ins Rutschen brachte. Diesmal taten es die Amerikaner allein.
Spätestens seit George Bushs verunglücktem Japan-Besuch 1992 sind die USA zu härterer Handelspolitik entschlossen. Sie werfen den Japanern vor, den Import von US-Agrarprodukten zu blockieren, während der Handelsbilanzüberschuß Japans gegenüber Amerika in absurde Höhen steige.
Allein im ersten Halbjahr 1993 kletterte er mit 27 Milliarden Dollar noch einmal um 20 Prozent über den Stand von 1992. Auf dem Tokioter Wirtschaftsgipfel versprach Japan, durch Steuerpolitik die Inlandsnachfrage zu Lasten des Exports zu erhöhen. Doch nichts ist geschehen.
Nach wie vor, kritisieren Amerikaner und Europäer, gefalle sich die fernöstliche Nation in direkter und indirekter Exportförderung, die zu Lasten auch der heimischen Konsumenten geht.
Die japanische Reisindustrie etwa arbeitet hinter festungshohen Schutzwällen. Japans Obstbauern werden so abgeschirmt, daß der Kunde für die Kirsche einen Dollar und für den Apfel fünf zahlen muß. Umgekehrt erhielt die Export-Industrie billigstes Geld für ihre Offensiven auf fremden Märkten.
Nun aber ist Japan angeschlagen. Noch im ersten Quartal 1993 war die Wirtschaft des Landes um 2,7 Prozent gewachsen. Im zweiten Quartal schrumpfte das Sozialprodukt um 1,2 Prozent. Zehn Yen, um die der US-Dollar fällt, bedeuten für das exportabhängige Land einen Wachstumsverlust von einem halben Prozent.
Vor zwei Wochen tönte die Zeitung Mainichi Shimbun noch, »die Stärke der Währung spiegelt die internationale Anerkennung der harten Arbeit und des Unternehmergeistes des japanischen Volkes« wider. Nun erfahren die Japaner, daß der starke Yen sie in eine bis vor kurzem noch undenkbare Lage treiben könnte: in steigende Arbeitslosigkeit und Betriebsschließungen.
Ein Polyäthylenwerk der Mitsubishi-Gruppe etwa, das erst vergangenen Oktober in Kashimamachi angefahren wurde, steht diesen September wieder still. Die Sanyo-Zuliefererfirma Sanritsu Denki Kaisha verliert im Oktober sämtliche Aufträge und steht vor dem Aus. Mindestens zehn Großpleiten, erkundete die japanische Unternehmensberatung Teikoku, seien unmittelbar vom starken Yen beeinflußt.
Der Autohersteller Honda verschmolz die drei Fertigungslinien in seiner Hauptfabrik zu zweien. Honda, so der Investment-Experte Dobson, gehöre andererseits zu den Unternehmen, deren Fabriken meist am richtigen Platze stehen - außerhalb Japans.
Das haben inzwischen auch die anderen Exporteure erfaßt. Die Autoindustrie will zur Jahrhundertwende 42 Prozent ihrer Produkte im Ausland herstellen. Der Elektronik-Riese Aiwa Corp. wird demnächst 75 Prozent seiner Ware in Malaysia bauen. Sanyo will seine CD-Spieler-Gehäuse und Kassettenrecorder in China und Singapur produzieren.
Richard C. Koo, Chefvolkswirt der Nomura Securities Bank, fürchtet, die im globalen Geschäft erfahrenen Industrien würden zuhauf aus dem Lande fliehen. Übrig blieben die rückständigen Subventionsempfänger, vor denen die politische Klasse kuscht.
Daß Japans Währung so gefährlich nach oben schoß, hat auch mit mißglückten Auslandsinvestments der Japaner im Spekulationsrausch der achtziger Jahre zu tun. Damals hatten japanische Banken und Immobilienfirmen US-Konzerne und Liegenschaften zu Überpreisen gekauft, vor allem Entertainment-Firmen, Hotelgruppen, Bürobauten und Golfplätze.
Inzwischen sind die modernsten Bauten der City von Los Angeles, das Rockefeller Center in New York und die prominentesten Küstenstreifen von Hawaii japanisch. Aber ihr Dollarwert ist auf die Hälfte gesunken. Wenn die Japaner jetzt verkaufen, sind sie doppelt gekniffen: Für die schon geringeren Dollar-Beträge erhalten sie nur noch einen superteuren Yen.
Japanische Banken sitzen auf über 100 Milliarden Dollar fauler Immobilienkredite. »Nach solchen Verlusten«, so Koo von Nomura, »wird niemand in den Dollar zurückkehren, nur weil er billig zu haben ist.« Die Folge: Weiterhin schlappe Dollar-Nachfrage auf den Devisenmärkten.
Kenneth S. Courtis, Chefvolkswirt der Deutschen Bank in Asien, sieht den Dollar denn auch noch weiter sinken - auf 90 oder gar 85 Yen. Vorher sei Japan zu Zugeständnissen in der Handelspolitik ohnehin nicht bereit.
»Die Bühne ist offen«, so Courtis, »für eine noch härtere Konfrontation Amerikas und Japans.« Y
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__97_ Kursentwicklung der japanischen Währung: Quartalswerte
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