Afghanistan Die Jagd auf die Pipeline-Millionen

Nach der Niederlage der Taliban werden Pläne für den Bau einer Erdgas-Pipeline durch Afghanistan wieder aktuell. In Boom-Märkten wie Pakistan und Indien wartet eine gigantische Nachfrage auf den Rohstoff. Experten glauben, dass US-Konzerne schon an neuen Bauprojekten feilen.

Aschgabad/Kabul - Für die Verschwörungstheoretiker ist die Sache klar, seit die ersten US-Bomber über Afghanistan hinwegdonnerten: Der wahre Kriegsgrund ist nicht die Jagd auf Terroristen, sondern auf Rohstoffe.

Im Golfkrieg sei es die Kontrolle strategischer Ölreserven gewesen, auf die es die USA abgesehen hatten - nun gehe es um riesige Erdgas-Felder nördlich der afghanischen Grenze. Energie-Konzerne hätten sich die Bush-Regierung nicht ohne Grund mit Wahlkampfspenden gefügig gemacht.

"Genau durchgerechnet, dass es sich lohnt"

Kriegskritiker wie die indische Autorin Arundathi Roy betonen gern, dass sich in den neunziger Jahren schon einmal ein Konsortium namens CentGas um den kalifornischen Energiekonzern Unocal geschart hatte. Sein Ziel: der Bau einer gigantischen Gasleitung von Turkmenistan an die pakistanische Küste. Das Transit-Land: Afghanistan. Seine Fürsprecher: so hochrangige Figuren wie Ex-Außenminister Henry Kissinger, der als Berater für Unocal arbeitete. Zuvor hatte sich niemand geringeres als Präsident Clinton persönlich bei einem Treffen mit dem turkmenischen Autokraten Saparmurat Niyazov für den Bau der Gasleitung stark gemacht.

Zentralasien-Experten halten es nach der Niederlage der Taliban für wahrscheinlich, dass diese 1998 gestoppten Pipeline-Pläne nun eine Renaissance erleben. Sicherlich, noch vor Beginn der US-Luftschläge sei das Vorhaben "mausetot" gewesen, sagt Jürgen Conrad, Turkmenistan-Experte bei Deutsche Bank Research, im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.

Nachdem die USA am Hindukusch intervenierten und in Bonn eine Übergangsregierung auf den Weg gebracht wurde, könne es sich aber "kein Gas- und Ölunternehmen der Welt mehr leisten, eine solche Option nicht zu verfolgen". Friedemann Müller, Leiter der Forschungsgruppe Globale Fragen bei der Stiftung Wissenschaft und Politik sagt sogar: "Als Aktionär würde ich mich an einem Unternehmen beteiligen", das den Bau einer Pipeline erneut anpacke.

Auch Hilmar Rempel von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe sieht "durchaus wieder Chancen" für die Pipeline-Ideen. Selbst wenn Unocal nicht abermals einsteige, könne sich ein Ersatz-Investor finden. Schließlich habe das CentGas-Konsortium bereits Ende der neunziger Jahre die Route geplant und "durchgerechnet, dass es sich lohnt". Ansonsten wäre das Projekt nie so weit vorangekommen.

150 Millionen Dollar Transit-Gebühr für Afghanistan?

Unocal hatte seine Fühler Mitte der neunziger Jahre ausgestreckt. Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass die Kalifornier damals persönlich mit Osama Bin Laden über den Bau verhandelten. Andere berichten, dass Taliban-Vertreter nach Amerika eingeladen und festlich bewirtet wurden. Bei allen Spekulationen ist zumindest klar, dass die Amerikaner mit mehreren Bürgerkriegsfraktionen verhandelten - eingestandenermaßen auch den Taliban.

1440 Kilometer sollte die Pipeline messen, um die es ging, und die von den kaspischen Gasfeldern Turkmenistans hin zum Arabischen Meer führen sollte. Schätzungen der Kosten bewegten sich zwischen 1,9 und 2,7 Milliarden Dollar - auch heute noch ein realistischer Rahmen. Presseberichten aus der damaligen Zeit zufolge hätte Afghanistan bis zu 150 Millionen Dollar jährlich an Durchleitungsgebühren kassieren können. Geld, das das zerstörte Land heute dringender benötigen würde denn je.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum Bill Clinton das erste Projekt scheitern ließ, welche Vorteile die Pipeline hätte und wer sich heute dafür interessiert.

Zum CentGas-Konsortium, an dem die Amerikaner 46,5 Prozent hielten, gehörten neben der turkmenischem Regierung der russische Gazprom-Konzern, eine pakistanische Baugesellschaft und die Konstruktionstochter des koreanischen Konzerns Hyundai. Zuvor hatte sich auch die argentinische Gesellschaft Bridas für die Pipeline-Konstruktion interessiert. An Interessenten mangelte es also nicht, ebenso wenig wie an Erwartungen für die Lukrativität.

Den Asien-Experten zufolge spricht in der Tat eine Reihe von Vorteilen für die Afghanistan-Connection. Da ist zum einen der Ressourcen-Reichtum der früheren Sowjet-Republik Turkmenistan. Sie verfügt über die fünftgrößten Ergasreserven der Welt. 1990, kurz vor dem Zusammenbruch der UdSSR, berichtet Müller, förderte allein Turkmenistan 90 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Das habe 14 Prozent der sowjetischen Gesamtförderung entsprochen - und würde mehr als reichen, um den Bedarf Deutschlands zu decken.

Die Potenz ist da, die Pipeline nicht

Nach Querelen mit den Russen, die in den neunziger Jahren zeitweilig die einzigen Export-Pipelines zudrehten, fiel die Produktion aber dramatisch ab. Heute liege sie mit 30 Milliarden Kubikmetern immer noch markant unter den Höchstständen. "Die Potenz ist da, aber die Absatzmöglichkeiten fehlen", resümiert Müller.

Auf der anderen Seite Afghanistans aber wohnen mögliche Kunden zuhauf. Allein den vergangenen zehn Jahren ist der Erdgas-Verbrauch in Pakistan um 70 Prozent nach oben geschossen. Ein großer Teil des Bedarfes wird durch Flüssiggas gedeckt. Das kommt per Schiff ins Land, mit unnötigen Kosten. Auch Indien sei als mächtiger Abnehmer-Markt denkbar, sagt Rempel, wenn sich der Staat mit Pakistan über eine Gas-Durchleitung einige. Vor allem wäre die Gasleitung ideale Entwicklungshilfe für das zerstörte Afghanistan. Müller nennt als Faustegel: Jedem Dollar, der in eine Pipeline investiert wird, folgen zwei weitere - für Pumpstationen, Straßen oder Häuser, in denen Arbeiter wohnen.

Feministinnen gegen das Geschäft mit dem Gas

Das erste Projekt starb im Dezember 1998 vor allem aus politischen Gründen. Unocal verabschiedete sich aus dem Konsortium, weil Feministinnen in den USA gegen die Diskriminierung von Frauen durch die Taliban Sturm liefen. Und im August 1998 beschoss Clinton Trainingslager der al-Qaida mit Cruise Missiles. Eine Pipeline von Bin Ladens Gnaden? Schlimmere Negativ-PR konnte es für ein US-Unternehmen nicht geben.

Auf seiner Internet-Seite hat Unocal auch nach der Niederlage der Taliban ein General-Dementi veröffentlicht. Nein, das Unternehmen habe nie mit den Taliban irgendeinen Vertrag unterzeichnet. Die Unocal-Sprecherin Teresa Covington sagte jüngst zu Bloomberg News: "Unsere Interessengebiete liegen heute anderswo."

Warten auf die Energie-Multis

Andere, alte CentGas-Partner aber wittern neue Chancen. Die turkmenische Regierung würde sich an jedem realisierbaren Pipeline-Projekt beteiligen, ließ sie schon im November mitteilen. Und Phil Beck, der Chef des alten CentGas-Partners Delta Oil, sagt: "Wenn Stabilität in Afghanistan herrscht, ist das ein zweckmäßiges Vorhaben." Allerdings bräuchte man die Unterstützung eines Energie-Multis. Dabei mag er gar an Exxon Mobil gedacht haben: Der weltgrößte Mineralölkonzern untersucht in Turkmenistan derzeit zwei Öl- und Gas-Felder. Über welche Route Funde exportiert würden, hat Exxon noch nicht festgelegt.

Die wichtigsten Vorraussetzungen für eine Gasleitung am Hindukusch heißen immer noch: Stabilität, Stabilität, Stabilität. Die zestrittenen Feldherren müssten ihre Territorien an eine Zentralregierung abtreten, so Conrad, die Gefahr von Terror-Anschlägen auf eine Gasleitung müsse gebannt sein. Bis westliche Konzerne ernsthaft neue Weg-Skizzen für eine Pipeline zeichnen, meinen die Experten, werde abgewartet, beobachtet, genau nachgerechnet. Rempel denkt an eine Warte-Periode von zwölf Monanten, Müller an drei Jahre, Conrad gar an fünf.

Pipeline zum Mond

Und natürlich gibt es diejenigen, die das Leitungsprojekt für irrsinnig erklären. Zum Beispiel Christian von Hirschhausen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. "Genausogut könnte man eine Pipeline vom Mond nach Rotterdam bauen", kommentiert er die Diskussion. Afghanistan sei und bleibe Kriegsregion, kein Unternehmer wolle dieses Risiko tragen. Die Erdgas-Gewinnung in anderen Ländern als Turkmenistan sei sowieso profitabler, etwa in Katar: "Da quillt es aus jeder Ecke, man muss nur die Hand aufhalten."

Einen Verdacht indes weisen alle Experten zurück: den, dass die US-Kriegsführung vorrangig von wirtschaftlichen Interessen geleitet sei. Hirschhausens Antwort an die Verschwörungstheoretiker: "Wenn es den Amerikanern um Rohstoffe ginge, hätten sie in Venezuela einmarschieren müssen. Davon hätten sie tausendmal mehr."

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