Luftfahrt Aggressive Geschwader
Bis Anfang dieses Jahres hatte Richard Wild, Deutschland-Direktor der amerikanischen Fluggesellschaft USAir, einen ziemlich ruhigen Job. Als Repräsentant eines Unternehmens, das nicht nach Deutschland flog, konnte er hierzulande auch nicht allzuviel bewegen.
Neuerdings ist das anders, Wild hat viel zu tun. Er besucht Reisebüros und Touristikmessen, verhandelt mit dem Bonner Verkehrsministerium oder mit Flugschein-Agenturen.
Der Grund für Wilds plötzlichen Eifer: Seit zwei Wochen fliegt USAir täglich zwischen Frankfurt und Pittsburgh hin und her. Von ihrem Drehkreuz im Osten der USA bietet USAir Anschlußflüge in mehr als 60 amerikanische Städte an.
USAir, in Amerika die Nummer sieben, ist bereits die siebente US-Gesellschaft, die nach Deutschland fliegt. Vier Wochen zuvor hatte United den Flugverkehr in die Bundesrepublik aufgenommen.
Die zweitgrößte Fluggesellschaft Amerikas, die eine Flotte von 435 Flugzeugen unterhält, fliegt von Frankfurt aus nonstop nach Chicago und nach Washington. Im nächsten Jahr sollen Verbindungen nach New York und San Francisco folgen.
Der Anflug der beiden US-Gesellschaften auf den Rhein/Main-Flughafen verstärkt einen Trend, der sich seit einigen Jahren abzeichnet. Nirgendwo kämpfen die Fluggesellschaften so aggressiv um Marktanteile wie auf den Strecken über den Nordatlantik. Nirgendwo auch liefern sich die großen Fluggesellschaften einen so ruinösen Wettbewerb wie auf den Luftwegen zwischen dem alten und dem neuen Kontinent.
Ausgelöst wurde der Kampf um Passagiere und Preise von den Amerikanern. Unbeeindruckt von geringer Auslastung, von Dollarkrisen und von wachsender Furcht vor Terroranschlägen, erhöhten sie in den vergangenen drei Jahren die Zahl ihrer Flüge in die Bundesrepublik um ein gutes Drittel.
In Deutschland landen außer den Jets von USAir und United auch die von Northwest Airlines und American Airlines, der derzeit größten Gesellschaft in den USA. American bietet jeden Tag von Chicago aus drei Nonstop-Verbindungen nach Frankfurt, München und Düsseldorf. Frankfurt wird auch von Dallas aus angeflogen.
Fluggesellschaften wie PanAm, TWA oder Delta machen schon seit vielen Jahren in der Bundesrepublik Geschäfte. Aber auch sie stockten die Zahl ihrer Flüge noch gewaltig auf. Delta etwa, die vor elf Jahren mit einer Verbindung Frankfurt-Atlanta begonnen hat, bietet inzwischen pro Woche 46 Flüge in die USA an.
Noch häufiger fliegt PanAm. Bis zu fünf PanAm-Jets starten an einem Tag zu Nonstopflügen von Frankfurt nach New York, Miami oder Washington. In Spitzenzeiten fliegt die traditionsreichste Gesellschaft auf dem Nordatlantik allein auf der Route Frankfurt-New York über 50mal in der Woche.
»Eine regelrechte Invasion«, klagte das Reisemagazin Profitravel über die »aggressiven US-Geschwader«.
Das Opfer dieser Angriffslust ist vor allem die Lufthansa. Noch vor zehn Jahren hatten die Deutschen auf den Nordatlantikrouten einen Marktanteil von gut 60 Prozent. Heute fliegen nur noch 40 Prozent aller Reisenden mit einer Lufthansa-Maschine. Die Mehrheit der jährlich vier Millionen Passagiere sitzt in Maschinen mit amerikanischem Hoheitszeichen.
Das aber ist nicht etwa dem besseren Angebot zuzuschreiben, sondern in erster Linie einer groben Verzerrung des Wettbewerbs zugunsten der Amerikaner.
Die US-Airlines bieten deutlich mehr Nonstop-Verbindungen von Deutschland in die USA an. Die Amerikaner fliegen zur Zeit von 19 US-Städten aus in die Bundesrepublik. Die Lufthansa hingegen darf nur 11 Städte in Nordamerika anfliegen. Orte wie Detroit, Minneapolis oder Seattle sind der bundesdeutschen Linie verschlossen.
Der Luftverkehr zwischen der Bundesrepublik und den USA wird immer noch nach einem Abkommen aus dem Jahr 1955 geregelt. Danach darf jede US-Gesellschaft aus jedem Ort der USA jede Stadt in Deutschland anfliegen, und das so oft, wie es das Management des Unternehmens für sinnvoll hält.
Dazu kommt: Amerikanische Gesellschaften dürfen von Deutschland aus Passagiere in andere europäische Länder befördern. So hat die PanAm ein kontinentales Liniennetz geknüpft, das Städte wie Warschau, Moskau, Athen oder Stockholm einschließt. Allein von Frankfurt aus fliegt PanAm 17 Orte innerhalb und außerhalb Europas an.
Die Lufthansa hingegen darf auf ihren inneramerikanischen Teilstrecken wie Boston-Philadelphia nur Passagiere befördern, die außerhalb der Vereinigten Staaten ein- oder aussteigen.
»Sam, das ist nicht fair«, klagte Lufthansa-Chef Heinz Ruhnau denn auch gegenüber dem US-Transportminister Samuel K. Skinner bei einem gemeinsamen Frühstück in Washington.
Ruhnau hat allerdings zum Teil selbst zu verantworten, daß die Verkehrsrechte zwischen der Bundesrepublik und den USA so ungleich sind. Im Herbst vergangenen Jahres hatte das Verkehrsministerium mit den Amerikanern einen neuen Vertrag über den Luftverkehr ausgehandelt. Der räumte den Deutschen das Recht ein, in den USA fünf zusätzliche Städte anzufliegen. Die Landerechte waren allerdings an Bedingungen geknüpft. Die Amerikaner verlangten außer attraktiven Landezeiten in der Bundesrepublik vor allem den sogenannten Open Sky - das Recht, die Flugtarife nach eigenem Ermessen zu gestalten.
Vor soviel Marktwirtschaft schreckte Ruhnau jedoch zurück. Der Lufthansa-Chef fürchtet, daß seine Hochpreis-Gesellschaft bei einer Freigabe der Tarife im Wettkampf mit den Amerikanern keine Chancen hat. Ruhnau legte bei seinem größten Aktionär, der Bundesregierung, ein Veto ein; seither sind die Verhandlungen zwischen Bonn und Washington blockiert.
Die Lufthansa-Blockade macht wenig Sinn. Denn den Preiskrieg auf dem Nordatlantik konnten die Deutschen nicht aufhalten. Noch muß zwar jeder Flugtarif von Deutschland in die USA vom Bonner Verkehrsministerium genehmigt werden. Doch kaum eine Fluggesellschaft hält sich an diese Vorschriften. Fast alle verkaufen zu Preisen, die weit unter den offiziellen Tarifen liegen.
Vor allem Gesellschaften, die mit dickbäuchigen Jumbos des Typs Boeing 747 über den Atlantik düsen, verschleudern einen Teil der Plätze zu Billigpreisen. TWA etwa verkauft den Reisebüros Rückflugtickets von Frankfurt nach New York für weniger als 700 Mark. Im Winter, so ein Flugschein-Verkäufer, wird der Preis noch tiefer fallen.
Auch die Lufthansa, die sich in offiziellen Stellungnahmen über die Dumpingpreise der Amerikaner beschwert, mischt im Graumarkt mit. Schon vor drei Jahren bot das Deutsche Reisebüros Amerika-Flüge der Lufthansa zu Preisen an, die etwa 200 Mark unter dem vom Bundesverkehrsministerium genehmigten Holiday-Tarif lagen. Als das Discount-Angebot aufflog, unterlief die Lufthansa ihren eigenen Tarif mit einem »Nordamerika-Spezial-Tarif": Frankfurt-New York für 1111 Mark statt für 1333 Mark.
In diesem Frühjahr wagte die Staatslinie sich noch weiter vor. Sie verkauft Flüge von Hamburg nach New York zum Nettopreis von 900 Mark. Die Reisebüros durften selbst entscheiden, zu welchem Preis sie diese Tickets an ihre Kunden weitergaben.
Lufthansa-Verkaufsdirektor Friedel Rödig rechtfertigte den vom Verkehrsminister nicht genehmigten Tarif mit dem Verhalten der Konkurrenz. Rödig: »Warum ist die Liberalisierung immer nur die Freiheit der anderen?«
Zu verdienen ist mit solchen Tarifen nichts mehr. Die Tiefpreise sollen der Lufthansa ihren Anteil am Amerika-Geschäft sichern. Doch je länger sich die Preiskämpfe hinziehen, je härter die Auseinandersetzung ausgetragen wird, um so schlechter sind die Chancen für die Deutschen.
Bei den großen US-Gesellschaften spielt der Nordatlantik-Verkehr in der Regel nur eine Nebenrolle. Die Lufthansa hingegen macht auf diesen Strecken ein Viertel ihres Umsatzes.
Wie schnell sich bei dieser Größenordnung Billigpreise in Millionenverlusten niederschlagen, zeigte das vergangene Jahr: Die Lufthansa flog auf den Nordatlantik-Routen ein Minus von rund 80 Millionen Mark ein. Für dieses Jahr wurden Verluste in Höhe von 215 Millionen Mark vorausberechnet.
Die trüben Aussichten haben bei der Lufthansa hektische Aktivitäten ausgelöst. Ruhnau beauftragte den zuständigen Streckenmanager, ein neues Konzept für den Nordatlantik vorzulegen. Die Strategie, den Angriff der Amerikaner mit dem Ausbau der eigenen Verbindungen abzuwehren, soll überdacht werden.
Statt aus dem überlasteten Drehkreuz Frankfurt neue Verbindungen zu wenig gefragten Zielen einzurichten, sollen lieber mehr Direktverbindungen zwischen Zentren in den USA und anderen deutschen Städten eingerichtet werden. In den USA soll mehr als bisher mit einheimischen Gesellschaften zusammengearbeitet werden.
Mehr als ein Jahr verhandelten Ruhnaus Abgesandte mit American Airlines über ein Kooperationsabkommen. Doch bisher ist nichts dabei herausgekommen. American Airlines ist nicht bereit, der Lufthansa zuliebe auf Marktanteile auf der Nordatlantikroute zu verzichten. Im Gegenteil: Die American-Airlines-Manager beteiligten sich an dem Münchner Unternehmen Nova-Reisen, einem der größten Vermittler für Reisen von Deutschland nach Amerika.
Ein Lufthansa-Manager: »Die Amerikaner wollen das Geschäft doch selber machen.« f