Aktien-Hausse Börsenboom weckt Hoffnung auf Krisenende
Erstaunliches passiert an der Börse: Unternehmen wie die Deutsche Bank und Daimler legen durchwachsene Zahlen vor - trotzdem steigt der Dax. Experten streiten darüber, was dieser Börsenboom zu bedeuten hat. Doch einen baldigen Kursrückschlag fürchten nur noch wenige.
Hamburg - Es ist, als wären die guten alten Zeiten wieder da: Michael Schumacher will wieder Rennen fahren. Der Dax
erklimmt ein Jahreshoch nach dem anderen. Und die Politik beschäftigt sich mit dem Sommerloch - Dienstwagenaffäre Teil sieben - statt mit dringenderen Problemen.
Fast alles also so wie im Jahr 2005, als die Börsen stetig stiegen, die Finanzkrise undenkbar und Schumacher im Motorport eine feste Größe war. Doch darf man dem Braten trauen?
Zweifel sind angebracht - vor allem, wenn man auf die vergangenen Wochen blickt. Das damalige Börsenwachstum wurde stets als "stimmungsgetrieben" beschrieben, nun sei es an den Unternehmen, die Entwicklung mit guten Zahlen zu unterfüttern. Doch die Zahlen, die Siemens
, Deutsche Bank
und Daimler
diese Woche vorgelegt haben, waren alles andere als berauschend. Trotzdem stiegen die Börsen weiter. Der Dax notierte am Freitagnachmittag über 5360 Punkten - so hoch wie im ganzen Jahr noch nicht.
Das kommt sogar beim traditionell wenig aktienbegeisterten deutschen Anleger an. Im ersten Halbjahr 2009 haben sie 4,9 Milliarden Euro in Aktienfonds gesteckt, vermeldet der Bundesverband Investment und Asset Management (BVI). Vor allem international agierende und eben deutsche Aktienfonds lagen in der Anlegergunst vorn. Doch wenn schon Privatanleger auf Aktien setzen, ist das nicht das Zeichen für einen Rückschlag? Weil die Aktien wieder so "hochgelaufen sind", wie der Börsianer sagt?
"Das war Keynes pur"
Das verneint Hans-Peter Schupp: "Wir finden uns noch mitten in der liquiditätsgetriebenen Hausse", sagt der Fondsmanager des Fidecum Value Euroland Fund. Und das sei Folge der expansiven Geldpolitik. Die Zentralbanken haben Ende 2008 lieber zuviel als zuwenig gemacht", sagt er. "Das war Keynes pur." Daher werde diese liquiditätsgetriebene Hausse "ganz lehrbuchhaft" noch einige Zeit andauern.
Lehrbuchhaft, weil nach jeder Krise der erste Teil des Börsenaufschwungs von Liquidität getrieben wird, dann eine Phase des Stillstands folgt und dann der gewinngetriebene Teil der Hausse, so Schupp. Die Liquidität komme auch den Unternehmen zugute. Denn mit ihr verbessern die Banken ihre Eigenkapitalbasis, reichen Kredite aus und das wiederum eröffnet den Unternehmen die Chance, vermehrt zu investieren und damit ihre Gewinne zu steigern. "Von daher sind die aktuellen Zahlen von der Deutschen Bank und Konsorten nicht wichtig", sagt er.
Grafik: Die Entwicklung des Dax
"Insbesondere die Cash-Flow Entwicklung ist erfreulich. Generell sollte der Trend bei Abwärtsrevisionen der Gewinnschätzungen zum Ende gekommen sein." Und damit sind die Aktien ihren Kurs wert. "Sie sind noch immer günstig, gemessen zum Beispiel an den Kurs-Buchwert-Bewertungen", sagt auch Schupp. Und Muders beteuert: "Aktien sind trotz der bisherigen Kurssteigerungen immer noch als günstig bewertet einzustufen. Bewertungsmaßstäbe wie KGV, EV/EBITDA und EV/Umsatz liegen aktuell am unteren Rand der seit Anfang der 90er Jahre zu beobachtenden Bandbreiten. Auch im relativen Vergleich mit risikoärmeren Anlageklassen sind Aktien niedrig bewertet."
Aber was ist mit den Risiken, dem Rückschlagspotential - wo die Börsen der Realwirtschaft doch normalerweise ungefähr sechs Monate voraneilen? Bei der derzeitigen Börsenlage hieße das doch, dass die Realwirtschaft in sechs Monaten gut dastünde. Wie passt das zu der wirtschaftlichen Schrumpfung im Jahr 2009, die die meisten Institute Deutschland prognostizieren?
Börse nimmt Entwicklung vorweg
"Hast du nichts gelernt aus der Krise von 2002, 2003", fragt sich auch Schupp. "Doch", antwortet er selbst. "2003 hatte die Aufsicht die Versicherer gezwungen, Aktien zu verkaufen, den Fehler werden sie sicherlich nicht noch einmal machen."
Die Börse hat diese Entwicklung typischerweise vorweggenommen - und ihre Vorlauffunktion erneut unter Beweis gestellt: "Die seit dem Markttief im März dieses Jahres erfolgten Kurssteigerungen sind vor dem Hintergrund der Fortschritte bei der Stabilisierung des wirtschaftlichen Umfeldes gerechtfertigt", sagt auch Muders. "Der bis März in allen Wirtschaftsindikatoren zu beobachtende 'freie Fall' ist mittlerweile in eine Phase der Bodenbildung übergegangen."
Doch das scheint die Experten nicht zu erstaunen: "In dieser frühen Phase der wirtschaftlichen Stabilisierung ist es normal, dass die Erwartungen den tatsächlichen Daten deutlich voraus sind." Vor diesem Hintergrund erwartet er "eine Stabilisierung beziehungsweise sequentielle Steigerung der Industrieproduktion. Der Abstand der aktuellen Daten zu den Erwartungen wird sich dadurch verringern."
Ein bisschen Misstrauen aber bleibt: Setzen wir vielleicht auf die falschen Denkmodelle, so wie kurz vor der Krise, als alle Ampeln weiter auf Grün standen? Nein, die "Modelle der Experten erscheinen uns nicht als unangepasst", sagt Muders. Da ist es schon fast beruhigend, wenn Vermögensverwalter Marc Faber - bekannt als Dr. Doom - vor der Hyperinflation warnt und zu Gold
rät.
Von eine "Hoffnungsblase" an den Börsen also keine Spur, so das Verdikt der Experten. Dafür jede Menge Hoffnung.