Volkswagen AKTION »KLASSENTREFFEN«
An Aufsehen war ihr nicht gelegen, sie wollte nicht erkannt werden. Die Dame reiste inkognito nach Wolfsburg, sie ging kein Risiko ein. Im Hotel Primas meldete sich Dorothea Holland, am Mittwoch vergangener Woche, unter falschem Namen an.
Dorothea Holland ist Staatsanwältin, und sie hatte gute Gründe, ihr Erscheinen zu verheimlichen: Sie bereitete die Durchsuchung im Volkswagenkonzern vor, die Belege für den Verdacht der Industriespionage gegen VW-Manager Jose Ignacio Lopez de Arriortua erbringen soll.
Am Donnerstag morgen gegen acht Uhr versammelte die Staatsanwältin aus Darmstadt 40 Kriminalbeamte um sich. Gut eine Stunde lang erläuterte sie ihren Einsatzplan für Wolfsburg und Braunschweig. Wichtig seien, so die hessische Fahnderin, vor allem Disketten und Unterlagen, die das Firmenzeichen von Opel und General Motors trügen. Aber auch Kontoauszüge, Notizbücher, Kalender und Schriftwechsel sollten beschlagnahmt werden.
Kurz nach neun Uhr zogen die Durchsuchungsteams zu ihren 14 Einsatzorten, die meisten auf dem Werksgelände von VW. Holland und ihre Beamten hatten vor allem ein Ziel: das Büro des Einkaufschefs Lopez im 13. Stock der Konzernzentrale.
Dort und in den Büros der engsten Lopez-Mitarbeiter durchstöberten die Fahnder einige Stunden lang Schränke, Tresore und Schreibtische. Gleichzeitig wurden die Privatwohnungen der Manager durchsucht.
Fast wäre noch alles schiefgelaufen. Zwei Männer aus dem Rotlichtmilieu hatten über einen Frankfurter Polizisten von der geplanten Aktion erfahren und wollten die Information für 500 000 Mark an VW verkaufen. Bei einem fingierten Treffen wurden sie festgenommen.
Die Razzia unter dem Codewort »Klassentreffen« lief wie geplant. Staatsanwältin Holland ließ Berge von Papieren, Disketten und Computern beschlagnahmen.
Ob die Aktion, Monate nach Bekanntwerden der Vorwürfe, noch Erfolg bringt, muß sich erst noch zeigen. Die Ermittler jedenfalls sind optimistisch. »Irgendwas finden wir immer«, sagt ein Staatsanwalt.
Mit der spektakulären Polizeiaktion schlägt die Affäre Lopez in eine neue Qualität um. Das ohnehin lädierte Ansehen des Hauptbeschuldigten, der im Verdacht steht, bei seinem Wechsel von General Motors zu VW geheime Unterlagen mitgenommen zu haben, kann kaum noch weiteren Schaden nehmen. Doch nun geht es offensichtlich nicht mehr allein um Lopez.
Sein Schicksal ist nun eng mit dem des Unternehmens selbst verbunden. In der Tat wird der Kriminalfall für VW zu einer immer größeren Belastung. Das biedere Wolfsburg und sein größter Arbeitgeber als Tatort für einen bösen Industrieskandal - das hinterläßt Schäden, die noch Jahre nachwirken.
Das VW-Emblem wird künftig nicht mehr nur das Symbol für solide und fortschrittliche Automobiltechnik sein. Es steht seit kurzem auch für zwielichtiges Geschäftsgebaren und skrupellose Managementmethoden.
Die Affäre überschattet viel von den Erfolgen, die das VW-Image bis heute prägten. Der Käfer, der die ganze Welt eroberte, begründete eine Legende. Mit dem Golf, der für Dutzende von Konkurrenten zum Maßstab seiner Klasse wurde, haben die Wolfsburger die Tradition fortgeschrieben.
Konzernchef Ferdinand Piech und sein Einkaufsmanager Lopez haben der Firmenchronik ein düsteres Kapitel hinzugefügt. So schnell und so nachhaltig hat noch kein Spitzenteam in Deutschland einen Konzern ramponiert.
Nach nur knapp sechs Monaten scheint der Baske die längste Zeit bei VW hinter sich zu haben. Die Trennung von Piechs wichtigstem Mann und der Rausschmiß seiner Getreuen ist überfällig. Doch längst ist auch Piech selbst unter Druck.
Der Volkswagenchef hat durch sein arrogant-schroffes Taktieren die Affäre erst richtig angeheizt. Er nannte die Auseinandersetzung mit Opel einen »Krieg« und unterstellte dem Konkurrenten, er habe Beweismittel gefälscht.
Manche Aufsichtsräte sind inzwischen davon überzeugt, daß der Porsche-Erbe mit der Führung des größten europäischen Automobilkonzerns überfordert ist. Piechs Versuch, im Management zu beweisen, daß der Erfolg alle Mittel heiligt, ist bereits jetzt gescheitert.
VW-Aufsichtsratschef Klaus Liesen befaßt sich seit kurzem intensiv mit der Zeit nach Lopez. Bei der Suche nach geeigneten Nachfolgern scheint er auch schon Ausschau nach einem Mann für den Wolfsburger Spitzenjob zu halten: »Jeder Manager ist ersetzbar«, verkündete er vergangene Woche in einem Zeit-Interview.
Piech, der den Konzern sanieren sollte, ist für Volkswagen inzwischen zu einem Risiko geworden. Je mehr Licht auf die düstere Geschichte um seinen hochgelobten Einkaufschef fällt, desto offensichtlicher werden die Verwicklungen des VW-Chefs.
Am 23. März, eine Woche nachdem Lopez seinen Dienst in Wolfsburg aufgenommen hatte, schrieb Harry Pearce, der Chefjurist von General Motors, einen alarmierenden Brief an Ferdinand Piech. Es bestehe der Verdacht, so teilte Pearce mit, daß Lopez und seine Mitarbeiter Unterlagen ihres früheren Arbeitgebers mit nach Wolfsburg genommen hätten.
Pearce bat den VW-Chef, dafür zu sorgen, daß Volkswagen-Beschäftigte, die GM- oder Opel-Unterlagen besäßen, »(1) detailliert alle Dokumente und Informationen auflisten, die sie empfangen haben, und (2) diese und alle angefertigten Kopien umgehend zurückgeben«.
Piech schien die Mahnung des Amerikaners nicht ernst zu nehmen - er antwortete nicht. In der gleichen Woche aber, in der er von dem schweren Verdacht _(* Am Donnerstag vergangener Woche vor ) _(dem VW-Werk Wolfsburg. ) gegen seinen Mitstreiter Lopez erfuhr, geschahen im VW-Gästehaus Rothehof höchst seltsame Dinge.
Für mehrere Zimmer tauschten Mitarbeiter die Türschlösser aus. Fortan konnten die Putzfrauen, die sonst Zugang zu allen Räumen haben, diese Zimmer nicht mehr betreten.
In den Räumen lagerten Kisten, deren Inhalt offenbar derart wichtig war, daß niemand außer Lopez sowie seinen Mitarbeitern Jorge Alvarez-Aguirre und Rosario Piazza ihn zu Gesicht bekommen sollte. Die Putzfrauen hätten wohl wenig damit anfangen können, aber das VW-Management wußte, wie gefährlich das Material werden könnte.
Die Kisten hatten einen weiten Weg hinter sich. Anfang des Jahres, Lopez verhandelte damals schon intensiv über seinen Wechsel zu VW, ließ der Manager in Rüsselsheim die Kartons voll mit GM- und Opel-Unterlagen packen und verschicken. Adressat aber war nicht das Lopez-Büro in der General-Motors-Zentrale in Detroit, sondern sein Schwager Cirilo Uribe in Spanien. Dort wurden die Kisten zwischengelagert, bis Lopez am 9. März seinen Vertrag bei VW unterzeichnet hatte.
Kurz darauf beauftragte der Baske, der »noch nie im Leben auch nur einen Apfel gestohlen« haben will, seinen neuen Arbeitgeber, die Kisten aus Spanien abzuholen. Im VW-Gästehaus Rothehof sichteten später seine beiden Getreuen Alvarez und Piazza den Inhalt der Kartons. Lopez beauftragte sie, wie er inzwischen eingestand, einen Teil der Unterlagen im Reißwolf zu vernichten.
Warum hat Konzernchef Ferdinand Piech nicht, wie von Harry Pearce gefordert, die Unterlagen an GM zurückgeben lassen? Hat der Vorstandsvorsitzende von der seltsamen Reise der Kisten und ihrer Lagerung in seinem Gästehaus nichts gewußt? Darf bei VW jeder seinen Reißwolf parken, wo er will, und ihn füttern, wie es ihm paßt?
Daß Piech völlig ahnungslos war, ist wenig wahrscheinlich. Dagegen sprechen auch die Vorgänge um den geplanten Opel-Kleinwagen mit dem internen Kürzel O-Car.
Der neue Mini zählte in Rüsselsheim zu den geheimsten Projekten. Rund 50 Spezialisten arbeiteten zwei Jahre an dem Modell und an dem Konzept einer hochmodernen Fabrik, in der es hergestellt werden sollte.
Die Opel-Manager waren überrascht und irritiert, als bei VW kurz nach dem Wechsel von Lopez Pläne für ein ähnliches Projekt diskutiert wurden. Aus einer neuen Fabrik im baskischen Amorebieta, der Heimatstadt von Lopez, sollte in der Rekordzeit von zwei Jahren ein neuer VW-Kleinwagen von den Bändern rollen.
Bei VW hatte sich, ehe Lopez kam, noch niemand ernsthaft mit dem Entwurf einer neuen Fabrik befaßt. Für die Planung solcher Projekte sind nicht wenige Wochen, sondern einige Jahre erforderlich. Der erfahrene Techniker Piech mußte dies wissen.
Manager in Wolfsburg hegen den Verdacht, daß die Pläne für den Bau der neuen Fabrik auf den Opel-Unterlagen basierten. Mitte Juni hatte die Polizei in der ehemaligen Wiesbadener Wohnung der Lopez-Gehilfen Alvarez und Piazza geheime Opel-Dokumente über den Kleinwagen sichergestellt.
Inzwischen macht sich in der Industrie zunehmend Unmut über die Vorgänge in Wolfsburg breit. Unter vielen Managern wächst die Sorge, der VW-Skandal könnte das Ansehen aller deutschen Unternehmen im Ausland arg beschädigen.
Die Vorstände von Mercedes-Benz und BMW befürchten, daß sie vor allem in den USA in den Sog der Lopez-Affäre geraten könnten. Beide Konzerne planen dort den Bau einer neuen Automobilfabrik, Daimler-Benz bereitet zudem die Einführung seiner Aktie an der New Yorker Börse vor.
Selbst unter Großkunden von Volkswagen und Zulieferern regt sich Kritik. Der Frankfurter Gebäudereiniger Claus Wisser, in dessen Fuhrpark bislang rund 550 VW-Fahrzeuge angemeldet sind, will wegen des Lopez-Skandals künftig auf andere Modelle umsteigen. Die Aachener Rheinnadel GmbH - ein mittelständisches Unternehmen, das auch für VW fertigte - kündigte die Geschäftsbeziehungen mit Wolfsburg (siehe Kasten).
Piechs Zwischenbilanz nach acht Monaten Amtszeit in Wolfsburg fällt auch keineswegs so strahlend aus, wie er gern behauptet. Im ersten Halbjahr machte VW einen Verlust von 1,6 Milliarden Mark. Die schlechten Zahlen lastet Piech seinem Amtsvorgänger Carl Hahn an. Doch für das ramponierte Ansehen _(* Vor der Wohnung der Lopez-Mitarbeiter ) _(Alvarez und Piazza in Braunschweig. ) des Konzerns, das weitaus schlimmere Folgen haben kann, ist Piech selbst verantwortlich.
Der Vorstandsvorsitzende hat, wie die Frankfurter Allgemeine kommentiert, »für VW die Epoche der Hemdsärmeligkeit eröffnet«. Die Financial Times kommt in einer Analyse über Lopez und Piech zu dem Ergebnis: »Die Glaubwürdigkeit der beiden als Führer eines der größten Industriekonzerne Europas ist zerstört.«
Am Freitag dieser Woche will sich der Aufsichtsrat abermals mit dem Fall Lopez befassen. Wieder einmal wollen die Kontrolleure diskutieren, ob die bisherigen Verdachtsmomente ausreichen, um den Basken zumindest zu beurlauben. Bislang hat sich der Aufsichtsrat immer wieder uneingeschränkt hinter den umstrittenen Manager gestellt.
Die Räte werden nicht umhinkommen, sich auch mit Piech zu befassen, der vergangene Woche einmal mehr seine Hand für Lopez ins Feuer legen wollte. Der Druck aus Industrie und Banken wächst, für den Wolfsburger Chefposten ebenfalls einen Nachfolger zu suchen.
Piech selbst vertraute der FAZ eine Neuigkeit an: »Mein Kredit ist höher als bei Amtsantritt.« Der Realitätsverlust offenbar auch. Y
* Am Donnerstag vergangener Woche vor dem VW-Werk Wolfsburg.* Vor der Wohnung der Lopez-Mitarbeiter Alvarez und Piazza inBraunschweig.