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LOHNTARIFE Alles rutscht

Gegen die Umsetzung von Arbeitern auf schlechter bezahlte Arbeitsplätze hat die schwäbische IG Metall einen neuen Tarifvertrags-Typ ersonnen.
aus DER SPIEGEL 8/1978

Im Musterland Schwaben, dort wo Porsche, Bosch und Daimler-Benz technisches Weltniveau schafften, will Gewerkschaftsführer Franz Steinkühler nun auch in der Lohnpolitik neue Standards setzen.

»Das geht nicht«, machte der Stuttgarter IG-Metall-Bezirksleiter die Kollegen scharf, »daß wir schöne Tarif-Verträge abschließen, und darunter kommt alles ins Rutschen.«

Was unter der Oberfläche wegrutscht, sind die Einkünfte solcher Tariflohn-Empfänger. die aus Gründen verbesserter Technologie auf einfachere, mithin schlechter bezahlte Arbeitsplätze hinabgestuft werden.

Für den Akkord-Mann in der Bruchsaler Werkshalle des Elektromultis Siemens etwa sieht die Rechnung nämlich so aus: Während er bis Oktober 1976 als Schlosser 2400 Mark im Monat verdiente. rutschte er nach der Umstellung des Betriebes von mechanischer auf elektronische Produktion um 581 auf 1819 Mark im Monat ab. Der Grund: Das Siemens-Management hatte ihn von der Facharbeiter-Lohngruppe 08 in die Angelerntengruppe 05 herabgestuft, der Stundenlohn sank von 13.90 Mark auf 10,50 Mark.

Mehr als hundert Siemens-Werkern erging es so oder ähnlich und nicht nur ihnen. In einer schwäbischen Uhrenfabrik, in der noch vor zwei Jahren 119 Arbeiter in die lukrative Lohngruppe 7 eingestuft waren, sind es heute nur noch 74. In der Niedrig-Lohngruppe 3 dagegen arbeiten jetzt mehr Leute als früher, statt 530 jetzt 577.

Gegen solchen sozialen Abstieg will Metallarbeiter-Führer Steinkühler nun einen neuen »Tarifvertrag zur Bestandssicherung« aufbieten. Kein Arbeiter und kein Angestellter, so verlangt die IG Metall, darf mehr aus einer höheren in eine tiefere Lohngruppe rutschen -- egal, ob sich seine Arbeit verändert oder nicht.

Zudem, so fordert Steinkühler, dürfe sich die zur Zeit bestehende Lohn- und Gehaltsstruktur in keinem Betrieb verschlechtern. Sollte also ein Unternehmer durch die Kündigung »tut verdienender Facharbeiter Lohnkosten einzusparen suchen. mußte er entweder durch Neueinstellungen oder durch Höhergruppierung der Niedrigverdiener dafür sorgen, daß der betriebliche Durchschnittslohn wieder den alten Stand erreicht.

Gegen so stabile Untergrenzen des Kontos Löhne und Lohnnebenkosten aber wollen die Arbeitgeber verfassungsrechtliche Bedenken geltend machen: Das Steinkühler-Prinzip verstoße gegen die Leistungsgerechtigkeit und gleichzeitig gegen den Tarifgrundsatz »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit«.

Neu eingestellte Hilfsarbeiter etwa, so rechnen die Arbeitgeber vor, wurden für die gleiche Arbeit dann weniger Lohn bekommen als Betriebsveteranen, die früher eine höherwertige Tätigkeit ausübten.

Und auch die Rationalisierung und Humanisierung der Arbeit, so sorgen sich die Metallindustriellen, könnten durch allzu beamtenähnliche Lohnregelungen abgebremst werden. Denn kostspielige Investitionen zur Produktionserleichterung und zum Schutz vor Lärm, Staub oder Dämpfen verlören ihren Reiz, wenn die Unternehmer dennoch die Lohnzuschläge für solche Belastungen weiter zahlen müßten.

Vor allem aber halten die Unternehmer die IG-Metall-Forderungen für einen »arbeitsmarktpolitischen Bumerang«. Wenn nämlich ein schwäbischer Betrieb Arbeitskräfte in den unteren Lohngruppen benötige, müsse er auch Leute in höheren Lohngruppen einstellen oder aber sämtliche Löhne erhöhen, damit der betriebliche Durchschnittslohn nicht absinke. Die Forderung der IG Metall verhindere mithin die Einstellung vieler Arbeitsloser.

Die schwäbischen IG-Metaller aber sehen das anders. Es gehe nicht an, fand etwa der IG-Metall-Unterhändler Ernst Eisenmann, »daß der wirtschaftliche Reichtum wächst und die Arbeitnehmer. die ihn schaffen, die Zeche zahlen müssen«.

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