MEXIKO Alles sauteuer
Es ist wie jedes Jahr um diese Zeit in Puebla: Vor dem Werkstor von VW haben ein paar Männer ein Netz gespannt und entspannen sich beim Volleyball, auf der breiten Eingangstreppe spielt eine Gruppe Frauen Karten - Streikposten vor Volkswagen de Mexico.
Seit dem 1. Juli sind 105OO Arbeiter im Ausstand, während Gewerkschaftsvertreter mit der Firmenleitung über neue Löhne verhandeln. Martin Josesphi, VW-Chef in Mexiko, hat sich an dieses Ritual so gewöhnt, daß er es schon in seine Produktionspläne einkalkuliert.
Und doch ist es diesmal etwas anders: Beide Seiten kämpfen verbitterter als sonst. Die Arbeiter sprechen von einem »Arbeitgeberstreik«, weil die Geschäftsleitung den Konflikt ausgelöst habe.
Im Juni hatte die mexikanische Regierung die Mindestlöhne um 23 Prozent erhöht. In der Regel wird dies als Empfehlung für die anstehenden Tarifverhandlungen verstanden.
Doch VW wollte diesmal den Forderungen der Belegschaft zuvorkommen und beantragte beim Arbeitsministerium, die Löhne um 15 Prozent kürzen zu dürfen. Lohnerhöhungen sollten bis Juli 1988 aufgeschoben, das Urlaubs- und Weihnachtsgeld halbiert, 723 Arbeiter ohne Abfindung entlassen werden. Das Unternehmen, so die Begründung,
habe Probleme, die zur »Schließung des Werkes führen könnten«.
Seit die Erdöleinnahmen nicht mehr so reichlich sprudeln, ist das Auto für breite Bevölkerungsschichten Mexikos wieder zum Luxusgut geworden. Nicht mehr 420000 Mexikaner, wie noch vor fünf Jahren, sondern nur noch 161000 konnten sich 1986 einen Neuwagen leisten. Der VW-Absatz sackte im gleichen Zeitraum von 140000 auf 55000 Pkw.
Der Wettbewerb ist härter geworden. Vor allem die Japaner machen VW - wie auch General Motors, Chrysler und Ford - mit Niedrigstpreisen das Leben schwer. Renault gab im vergangenen Jahr sein Mexiko-Engagement auf. Volkswagen ist nach langer Zeit nicht mehr die Numero uno. Nissan liegt jetzt mit 34 Prozent Marktanteil vorn.
»Unsere Personalkosten«, sagt VW-Mann Josephi, »sind um mindestens 50 Prozent höher als bei der Konkurrenz.« Und bei den zusätzlichen Sozialleistungen liege VW um »300 Prozent über den anderen« .
Ford, General Motors und Nissan haben einfach die günstigeren Produktionsstandorte: Sie arbeiten im Norden des Landes, wo Preise und Löhne deutlich niedriger sind als im Süden, wo VW sich angesiedelt hat.
Während die VW-Führung sich angesichts der verschärften Konkurrenz in diesem Jahr sehr unnachgiebig zeigt, hat sich auch die Position der Gewerkschaft verhärtet. Die Inflation, derzeit mehr als 120 Prozent, frißt Einkommenserhöhungen sofort auf.
»Alles ist sauteuer«, schimpft Patricia Hernandez. Die 28jährige ist verheiratet, hat drei Kinder und verdient am VW-Montageband 6000 Pesos netto am Tag, derzeit etwa acht Mark. Durch den rapiden Wertverfall des Peso dürfte ihr Tageslohn bis Ende des Monats noch 50 bis 60 Pfennig weniger wert sein.
Die Gewerkschaft fordert einen Lohnzuschlag von rund 100 Prozent. VW hat vor der Nationalen Schiedskommission, die in Arbeitskonflikten vermittelt, fünf Prozent mehr für die unteren Lohngruppen angeboten. Als Gegenleistung sollen dem Unternehmen Lohnsenkungen bei den Besserverdienenden und die Entlassung von mehr als 700 Leuten zugestanden werden.
»Die fünf Prozent«, sagt Mario Brito vom Streikkomitee, »sind absolut lächerlich.« Die Schiedskommission urteilt ähnlich: Sie forderte VW auf, »einen ernsthaften Vorschlag zu machen«.
Den wird das Unternehmen auch bald vorlegen müssen, weil es sich diesmal nicht so gut auf die Streikzeit vorbereiten konnte. In den vergangenen Jahren ließ VW mit Blick auf den Streik vorproduzieren. In diesem Jahr war das nicht möglich: Im Februar und Mai wurde die Produktion auf die für Mexiko neuen Modelle Golf und Jetta umgestellt - da konnte so schnell kein Lagerbestand aufgebaut werden.