Als Engel durch die Hölle schweben
Ganz einfach ist der Mann wirklich nicht zu verstehen. Am Wochenende schimpft Daniel Goeudevert über die Autos, am Montag verlangt er neue Produktionsrekorde.
In Bielefeld, in der Handelskammer, ist der Ökologe dran. Als Gastredner vor rund 170 Managern klagt Goeudevert, an einem Freitagabend, über Rohstoffe, die knapper, und Umweltschäden, die bedrohlicher werden. »Europas Straßen«, verkündet er, »vertragen längst keine zusätzlichen Autos mehr.«
In Köln, im Konferenzraum bei Ford feuert er am Montag drauf seinen Vertriebschef an: »Verkaufen Sie wie ein Bekloppter! Wenn die Produktion nicht nachkommt, gibt es Lieferfristen.«
Der 1,92 Meter große Franzose mit dem flämischen Namen (ausgesprochen: Gödewer) verwirrt die Menschen. Die Vorstände der anderen Automobilhersteller lächelten anfangs, als er 1981 an die Spitze von Ford-Deutschland kam über den Neuen in ihrer Runde, der seinen Berufsweg an der Sorbonne begonnen und es dort bis zum Professor für Literatur gebracht hatte.
Später wich der Spott ("Goeudevert - Null ouvert") dem Ärger. Denn was für die eingeschworene Gemeinde der Autochefs das oberste Gebot - das Auto ist stets das beste Verkehrsmittel -, das zweifelte der merkwürdige Franzose öffentlich an. Und was für die Kollegen des Teufels - ein Tempolimit -, das ist für Gouedevert so schrecklich gar nicht.
»Wir bei Ford«, sagt und meint er, »würden dann keinen Pfennig aus unserem Entwicklungsetat streichen und keinen einzigen Arbeitsplatz verlieren.«
Unverständnis schlägt einem Manager entgegen, der so sichtbar gegen die Normen der PS-Branche verstößt. Der gar sagt: »Wir haben zu lange Inzucht betrieben in der Autoindustrie«; der kritisiert, die Branche trachte stets nur danach, die Wagen »ein PS stärker und eine Sekunde schneller« zu machen.
So einen mußte ein Bonner Minister, der gegenüber seinen EG-Kollegen in Brüssel stets die freie Fahrt auf deutschen Straßen verteidigte, schon ermahnen: »Verkaufen Sie Ihre Autos, ich verkaufe meine Politik.« Und das »Handelsblatt« mußte sich sorgen, da schere einer »aus der Front der deutschen Automobilindustrie aus«.
Leicht verwirrt waren, zumindest anfangs, auch die Beschäftigten bei Ford in Köln-Niehl über den neuen Chef, der alle mit seinem Charme umarmte.
Überrascht sahen sich morgens Angestellte ihrem Generaldirektor im Aufzug gegenüber, weil der nie den Spezialschlüssel benutzte, mit dem Vorstände ohne Halt bis in ihre Chefetage fahren können. Der Koch wunderte sich, daß der Vorsitzende zu ihm in die Küche schaute; der Italiener, der den Rasen vor dem Verwaltungsgebäude mähte, zuckte leicht zusammen, als Goeudevert ihm auf die Schulter klopfte. Inzwischen wissen sie: So ist er halt.
Was bei vielen Managern wie plumpe Anbiederung wirken würde, das bringt er so selbstverständlich, daß jeder spürt, Daniel Goeudevert braucht solche Kontakte, sonst wäre er bewegungsunfähig wie ein Auto ohne Räder.
Wenn der Mann von Ford darüber nachdenkt, was ihn umtreibt, stößt er schnell auf scheinbar Banales, von dem so recht wohl nur Leidensgefährten wissen, wie stark es einen prägen kann - die roten Haare. Immer schon wollte der rothaarige Goeudevert ein Buch über die »Poil de carotte« schreiben, wie man sie in Frankreich nennt, die Karottenköpfe, die »stets als etwas Besonderes betrachtet wurden«.
Im alten Ägypten hat man sie geköpft, im modernen Europa werden die rothaarigen Kinder noch immer gehänselt. Goeudevert erzählt von einer Tragödie, die sich unlängst in Frankreich abspielte: Da hat ein 14jähriger Junge, von Kameraden stets verspottet, weil er so dünn und rot ist, zwei Kinder umgebracht.
Er selbst, sagt Goeudevert, habe nicht so sehr unter seiner Schopffarbe gelitten. Doch er reagierte auf die Sonderrolle, in die man die Roten meist drängt. Er entwickelte einen ganz besonderen Ehrgeiz - erfolgreich zu sein und zugleich von allen geliebt zu werden. Und als biete das nicht genug Stoff für Widersprüche, braucht Goeudevert noch eine dritte Bestätigung: Er will sich nicht anpassen, um beides zu erreichen.
Den beruflichen Erfolg konnte er stets als einer der Jüngsten verbuchen, obwohl er doch immer alles ganz anders machte, als man es von ihm erwartete.
An der Universität wurde ihm die Welt zwischen Campus und Hörsaal schnell zu eng. Mit 24 Jahren war er Professor geworden. Was sollte da noch kommen? Also wechselte er in ein Metier, das Literaturdozenten sonst kaum nahe liegt: Er zog als Autoverkäufer durch den Pariser Vorort Montreuil.
Sein Charme half Goeudevert, viele Kaufverträge zu ergattern; sein Ehrgeiz, bei Citroen aufzurücken. Über die deutsche Renault-Tochter in Brühl zog er schließlich in die Pariser Renault-Zentrale ein. Da fiel er den Ford-Managern in Europa auf.
So einen brauchten sie gerade für Ford in Köln, um den Blechkisten mit der Pflaume auf der Haube endlich ein ordentliches Image zu verschaffen: Goeudevert, damals 38, sollte als jüngster Vorstandschef der Branche Jugendlichkeit und Fortschritt überbringen.
Ein bißchen Anpassung mußte aber auch einer wie Goeudevert betreiben. _(In der Montagehalle Köln-Niehl. )
Als er zum ersten Mal an einem Meeting in der Konzern-Zentrale in den USA teilnahm, sah er, daß alle Manager schwarze Lackschuhe mit Bommeln an den Füßen hatten. Also kaufte er sich auch ein Paar, um, mit einem Anflug von Selbstironie, zu verkünden: »Nun bin ich ein echter Ford-Mann.«
Doch die Veränderungen blieben in Grenzen. »Wenn Grau die Farbe ist, die man von mir erwartet«, meint er, »dann kann ich das nie werden.«
In Köln war der bunte Typ gefragt, der den Lesern von »Bild am Sonntag« erst mal seine Kochkünste vorführt und der denen des Playboy erzählt, daß er die Autos »mit Liebe« verkauft. So verhalf Goeudevert Ford-Deutschland, bis dahin eine profillose Tochter des US-Konzerns, ein wenig zu eigenen Konturen.
Die Ford-Manager am Rhein merkten aber schnell, daß sich der neue Direktor keineswegs auf eine Rolle reduzieren läßt. So freundlich und charmant er als Werbeträger des Unternehmens ist, so fordernd und ungeduldig kann er mit seinen Managern umgehen.
Wenn die Finanzleute vier Verkaufsprogramme als zu teuer ablehnen, bläst er die Luft aus den Backen in einem Schwall, daß die Lippen wabbeln, und schickt der Geste noch ein Wort hinterher: »Bullshit«. Dann fragt er, warum die Hüter der Kasse nur ablehnten. »Keiner wird bezahlt, um nur nein zu sagen. Machen Sie einen Gegenvorschlag!«
Und wenn er allzulange auf Vorschläge für die Bereinigung der Typenpalette beim Scorpio warten muß, wird nicht drumrumgeredet. »Okay, okay«, fährt er die Manager an, »die Arbeitsgruppe gibt es seit vier Monaten, und passiert ist nichts. Das ist ein Skandal.«
In seinem Ehrgeiz und Engagement brüllt er zuweilen, was ihm dann keine Ruhe läßt, bis er sich, am Tag danach, entschuldigt hat. Erfolgreicher Manager sein und gleichzeitig von allen geliebt: Das ist eben doch oft so, als wolle einer als Engel durch die Hölle schweben, ohne sich die Flügel zu verbrennen.
Selbstverständlich beendet Goeudevert die Karriere eines Managers, der offenbar nicht die erwartete Leistung bringen kann. Den lädt er dann am Wochenende zu sich nach Hause ein, diskutiert stundenlang mit ihm, um einen neuen Posten für ihn zu finden.
Mit »dieser ganzen Menschlichkeit«, kritisiert Hans Pestalozzi, ehemals Topmanager, nun Buchautor ("Nach uns die Zukunft") und Aussteiger, den Nicht-Aussteiger Goeudevert, mache der sich nur selbst etwas vor. Letztlich habe ein Ford-Chef schlicht »dafür zu sorgen, daß das Kapital sich rentiert«.
Das braucht man einem Goeudevert nicht zu sagen, das hat er, »als Spielregel«, stets akzeptiert. Der Franzose in amerikanischen Diensten konnte sich »doch nicht auf den Hintern setzen und sagen, ich bin nicht bereit, Kosten zu senken«, als Ford in Deutschland 1984
und 1985 dreistellige Millionen-Verluste nach Detroit melden mußte. Da mußte Goeudevert Arbeitsplätze streichen.
Er fragt sich dann schon: »Kann ich weiter aktiv sein, ohne mir selbst zu widersprechen?« So stark wie den Erfolg braucht er das Bewußtsein, im Job die Persönlichkeit nicht zu verbiegen, mögen die Widersprüche auch noch so handfest sein.
Da hält er doch, eigentlich ein Unding für einen Autochef, wenig vom Rallye- und Rennsport. In der Vorstandssitzung sagt er aber: »Ich habe gehört, unser Rallye-Team hat am Wochenende gewonnen; warum sehe ich heute keine Werbung in den Zeitungen?«
Während sein Marketing-Manager noch zu Erklärungen ausholt, unterbricht er den schon; »Okay, aber das darf nicht passieren.« Das müsse man eben vorbereiten. Und wenn die Ford-Flitzer das nächste Mal gewinnen, will der Chef »sofort die Anzeige sehen«.
Mit solchen Widersprüchen kann er leben. Es sind die der kleineren Art. Denen mag er entgegen halten, daß er im Konzern durchsetzte, die ABS-Bremsen in den Scorpio einzubauen. Sichere Autos serienmäßig, das ist doch was. Mehr als viele Aussteiger und Autokritiker je erreichen können.
Bewußtseinsspaltung aber scheint nötig, wenn es um Grundsätzliches geht: die anhaltende Aufrüstung der Autos mit mehr PS. Diesen Autowahn kritisiert Goeudevert zwar, sogar öffentlich. Doch aussteigen aus dem Wettstreit um Beschleunigungswerte und Spitzengeschwindigkeiten mag und kann auch ein Daniel Goeudevert nicht. Der Wettbewerb zwingt zum Mitmachen.
Wie auch immer der Mann mit sich und seinem Bewußtsein zurechtkommt:
Den großen Chefs jenseits des Atlantiks ist es gleich, solange das Ergebnis stimmt. Und das stimmt inzwischen. Goeudevert hat die einst so verlustreiche deutsche Ford-Tochter in ein hochprofitables Unternehmen verwandelt. 587 Millionen Mark Gewinn erbrachte das letzte Geschäftsjahr - mehr als Volkswagen mit dem dreifachen Umsatz einfuhr.
Nicht alles gelang dem Franzosen. Der größte Ford, der 1985 vorgestellte Scorpio, sollte zweieinhalb Prozent Marktanteil erobern. Das Ziel ist weit verfehlt worden, es ist nur gut ein Prozent.
In der gehobenen Mittelklasse, in der das Kölner Top-Modell antritt, will jeder Massenhersteller inzwischen Wagen verkaufen, weil die mehr Gewinne bringen. Eine Firma wie Ford, deren Name so wenig High-Society-Glitzer ausstrahlt, hat es da besonders schwer.
Unter die Gewinnmacher ist Goeudevert aufgestiegen, weil er die Ausgaben beschnitt - Kosten-Management nennen das die Unternehmensberater.
Die Produktion wurde durchrationalisiert, über das Werk in Köln-Niehl kam das japanische Kanban-System: Die Motoren werden nur auf Abruf hergestellt und direkt ans Fließband geliefert. Bislang produzierte das Motorenwerk auf Vorrat - die Lagerkosten waren entsprechend hoch.
Was der 103-Kilo-Mann selbst, trotz gelegentlichen Fastens, nur schwer erreicht, hat er mit dem Unternehmen geschafft: »Wir sind sehr viel schlanker geworden.«
Wie hartnäckig Goeudevert beim Erschaffen von Mehrwert vorgehen kann, hat auch die Leute in der Londoner Europa-Zentrale überrascht. Mit dem Franzosen können sie nicht mehr so umspringen wie mit vielen seiner Vorgänger, die wie ein Vertriebsleiter Deutschland behandelt und nach ein, zwei Jahren abgeschoben wurden.
Im Gegenteil: Goeudevert sieht in dem riesigen Ford-Imperium einen perfekt organisierten Termitenbau, in dem man »gelegentlich mal hineinstochern muß, damit die Termiten neue Wege finden«. Und als produktiver Unruhestifter fühlt er sich schon wohl.
Als solcher tritt er auch innerhalb der deutschen Automobilindustrie auf. Er leiht sich zum Wochenende schon mal einen Ferrari Testarossa mit 390 PS aus und ist, wie die Kollegen bei den anderen Herstellern, gegen ein Tempolimit. An die gängige Sprachregelung - deutsche Autos sind so wunderbar, weil sie für die Höchstgeschwindigkeiten auf deutschen Autobahnen ausgelegt sind - hält er sich aber nicht, weil sie offensichtlich schwachsinnig ist.
Goeudevert fragt, wie die Industrie argumentieren will, wenn tatsächlich mal die Geschwindigkeit begrenzt wird. Wie will sie dann noch glaubhaft behaupten, deutsche Modelle seien noch immer besser als die der ausländischen Konkurrenz? Also sagt der Ford-Mann schon heute: »Wir würden dann keine schlechteren Autos bauen.« Die Kollegen aber sind entsetzt, daß da einer nicht in ihre plumpe Panikmache einstimmt.
Dies Herumstochern, in der deutschen Automobilindustrie und bei Ford: Es macht Goeudevert nicht einfach nur Spaß, er braucht es auch. Wenn er im Ford-Händlersystem etwas ändert und ihm ein Vertriebsmann sagt, »Sie bereiten die Revolution vor«, antwortet er mit Freude, »das ist für einen Franzosen ja nichts Ungewöhnliches«.
Für Daniel Goeudevert ist das stets Bestätigung, noch nicht grau geworden zu sein. Andererseits weiß er, so bunt kann er in der Industrie nur bestehen, wenn er Erfolg hat. »Ohne den«, sagt er, »wäre ich eine Seifenblase.« _(Bei der Firma Reintges in Essen. )
In der Montagehalle Köln-Niehl.Bei der Firma Reintges in Essen.