US-VERMÖGEN Am liebsten Aktien
Einer der Vorzüge großen Reichtums ist«, so urteilt das US-Wirtschaftsmagazin »Business Week«, »daß er sein eigenes Beharrungsvermögen besitzt und an zuverlässigen. Stellen zu bleiben pflegt« -- etwa bei den Rockefellers, den Fords, den Mellons und den Du Ponts, die auch in der dritten oder gar vierten Generation immer noch beträchtliche Anteile ihrer Stammfirmen Standard Oil (N. J), Ford, Alcoa und E. I. du Pont de Nemours besitzen.
Amerikas Reiche und Super-Reiche fürchten nun allerdings, daß diese Art von Familientradition schon bald beendet sein könnte. Denn entschiedener als jemals ein US-Präsidentschaftskandidat zuvor lehnt George McGovern -- demokratischer Herausforderer des republikanischen Big-Business-Sympathisanten Richard Nixon -- die Einkommens- und Vermögens-Verteilung in den USA als ungerecht ab. McGovern fordert daher, durch rigorose Kapitalertrag- und Erbschaftsteuern Dividenden und Vermögen der Reichen zu kappen und auf ärmere Bevölkerungsschichten umzuleiten.
Wie ungleich jedoch gegenwärtig privater Wohlstand auf Amerikas Bürger tatsächlich verteilt ist, wissen Statistiker und Ökonomen nur anhand meist veralteter und oft unvollständiger Vermögensteuer-Daten zu schätzen. Immerhin reichen die vorhandenen wissenschaftlichen Studien aus, den Demokraten für eines seiner Lieblingsthemen im Wahlkampf genügend zu munitionieren.
So schätzte Ökonom James D. Smith von der Pennsylvania State University in Philadelphia, daß die Reichen -- nach Smiths Definition die Spitzengruppe von einem Prozent aller amerikanischen Vermögensbesitzer -- ungefähr 25 Prozent oder mehr des gesamten privaten Vermögens halten. In absoluten Zahlen ausgedrückt, besitzen die 1,5 Millionen reichsten Amerikaner Aktien, Grundstücke und andere Vermögensteile im Werte von einer Billion (1 000 000 000 000) Dollar.
Diese extreme Vermögenskonzentration auf eine hauchdünne Bevölkerungsschicht ist für hochentwickelte kapitalistische Volkswirtschaften durchaus nicht ungewöhnlich. In einem Gutachten über die Vermögensverteilung in der Bundesrepublik beispielsweise kam Professor Jürgen Siebke zu dem Ergebnis, daß 1966 nur 1,7 Prozent der Bevölkerung über 31 Prozent des gesamten privaten Vermögens verfügten. Unterhalb des steilen Gipfels der Wohlstandspyramide läßt die Konzentration der Vermögen zwar stark nach, ist aber immer noch sehr groß. Nach Schätzungen des Wirtschaftsforschers Lewis Mandell besitzen fünf Prozent der US-Familien 40 Prozent allen Reichtums. Das wohlhabendste Fünftel der Bevölkerung weist ein dreimal so großes Vermögen aus wie die restlichen 80 Prozent der Amerikaner.
Mit der Konzentration der Vermögen eng verkettet ist die ebenfalls unausgewogene Einkommensverteilung in den Vereinigten Staaten. Denn ein hohes Einkommen führt zu Ersparnissen, und so entsteht Vermögen, das wiederum hohe Einkommen schafft.
Freilich ganz so extrem wie die Zusammenballung der Vermögen ist die der Einkommen nicht. Dies geht aus einem Vergleich der sogenannten Lorenzkurven hervor -- jener Kurven, die der US-Ökonom M. O. Lorenz zu Beginn des Jahrhunderts zur graphischen Darstellung der Verteilung von Einkommen entwickelt hatte. In einem Diagramm hatte Lorenz eingetragen, welche Anteile des gesamten privaten Einkommens auf die jeweils einkommensschwächsten Prozente der privaten Haushalte fielen. Später wurden Lorenzkurven auch zur Darstellung der VermögenskonzentratiOn benutzt.
So ist auf der Lorenzkurve für die Verteilung der US-Einkommen im Jahre 1969 abzulesen, daß die unteren 50 Prozent der Einkommensbezieher 23 Prozent aller Einkommen empfingen. Die untere Hälfte der Vermögensbesitzer hingegen verfügte 1970 gar nur über drei Prozent des privaten Reichtums, wie die stärker gekrümmte (und damit einen höheren Konzentrationsgrad anzeigende) Kurve für die Vermögensverteilung angibt (siehe Graphik).
Über die absolute Höhe der Vermögen reicher Amerikaner gibt eine vom Federal Reserve Board veröffentlichte Studie einige -- wenn auch beschränkte -- Auskünfte: Ein Vermögen von über 500 000 Dollar haben weniger als ein Prozent aller US-Haushalte, und zwei Prozent rangieren in der Vermögensklasse von 100 000 bis 500 000 Dollar. Der größte Teil der Vermögenden -- 23 Prozent -- fällt dagegen nur in die 10 000- bis 25 000-Dollar-Klasse.
Daß die Super-Reichen ihr Kapital am liebsten in Form von Aktien halten, fand Vermögens-Analytiker James Smith in einer Untersuchung von 1962 heraus. Nach den Angaben Smiths bestand das Vermögen der reichsten Amerikaner zu 43,2 Prozent aus Aktien, zu 25 Prozent aus Grundbesitz und Gebäuden, zu 9,4 Prozent aus Bankguthaben und nur zu 6,4 Prozent aus festverzinslichen Wertpapieren.
Die Wissenschaftlerinnen Letitia Upton und Nancy Lyons stellten denn auch eine extreme Konzentration des Aktienbesitzes fest: Im Jahre 1962 gehörten einem Prozent der Amerikaner 62 Prozent aller US-Aktien. Die reichsten fünf Prozent hielten 86 Prozent, und die reichsten 20 Prozent besaßen 97 Prozent aller Aktien.
Schockierend muß daher auf Vermögenspolitiker das Ergebnis einer Berechnung James Smiths für die Börsenhausse des Jahres 1958 wirken: In jenem Jahr, in dem die Aktienkurse um durchschnittlich 34 Prozent emporschnellten, konnte die dünne Schicht potenter US-Aktionäre Kursgewinne in Höhe von 57 Milliarden Dollar verbuchen.
Die akute Unzufriedenheit in den USA über die starke Vermögenskonzentration, aus der McGovern politisches Kapital zu schlagen hofft, sieht Ökonom Robert J. Lampman von der University of Wisconsin allerdings nur als eine besondere Form des Generationskonflikts an. Da die Vermögensakkumulation meist 45- bis 65jährigen Menschen am raschesten gelingt, »reagieren junge Leute, so beobachtete Lampman, »besonders empfindlich auf den Kontrast zwischen ihrem Mangel an Besitz und der Konzentration der Vermögenswerte bei den älteren«.
Lampmans Trost für junge Einkommensempfänger: »Ein junger Mann, der gerade aus dem College kommt und 10 000 Dollar im Jahr verdient, kann, auch wenn er über keinerlei materiellen Besitz verfügt, aufgrund seines geistigen Kapitals und seines Vermögenspotentials in Wirklichkeit viel reicher sein als ein 90jähriger Millionär.«