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MITBESTIMMUNG Am praktischen Beispiel

aus DER SPIEGEL 27/1950

Farbmühlen-Chef Karl Korkhaus von der Firma Aloys Anton Hilf in Limburg an der Lahn muß seine Brille fester setzen. Sein entlassener Betriebsrat Fritz Fischer hat viel mit ihm vor: »Wenn ich den bebrillten Onkel im Dunkeln treffe, schlage ich ihm die Knochen kaputt!«, avisierte er freimütig am häuslichen Herd, in der Britz Nr. 8.

Fritz Fischer wollte an seinem Chef das Mitbestimmungsrecht ausprobieren. Und das ging schief.

Im 99. Geschäftsjahr des Unternehmens schickte Korkhaus seinen Farbwerk-Betriebsrat fristlos auf die Straße. »Wegen Gefährdung des Arbeitsfriedens und Aufwiegelung der Belegschaft.« 12 Jahre hatte Fritz Fischer zu dieser Zeit schon geholfen, aus Erde Farbe zu machen.

Solange Vierteljahrhundert-Jubilar Jakob Zingel Betriebsrat war, herrschte im Farbwerk Hilf der alte patriarchalische Friede. Doch die Gewerkschaften mochten Zingel nicht. Weil er angeblich »bei der Geschäftsleitung radfuhr« anstatt auf den Tisch zu hauen.

Als Jakob Zingel im 49er September zum Mühlenbaumeister aufrückte, wählte die Belegschaft Fritz Fischer zum Obmann. Der war selbst organisiert und verkehrte mit der Gewerkschaftsleitung.

Zu dieser Zeit kamen nur schleppend Aufträge herein. Was Betriebsleiter Korkhaus schon mit Zingel verabredet hatte, legte er jetzt auch mit Obmann Fischer fest: Statt 45 Stunden wurde nur 40 Stunden pro Woche gearbeitet. Von Montag bis Freitag in zwei Schichten. Samstag war frei. »Jede Möglichkeit, die Arbeitszeit wieder zu verlängern, wird ausgenutzt«, mußte der Chef versprechen.

Sechs September-Oktober-Wochen hintereinander reichte die Arbeit auch für den Samstag. Jakob Zingel sagte dann am Tage vorher Bescheid, und alle freuten sich ob der zusätzlichen fünf Stundenlöhne.

Am 15. und 22 Oktober mußte die Belegschaft wieder zwangspausieren. Am Donnerstag darauf meldete sich eine Heilbronner Farbengroßhandlung am Telephon: fünf Tageproduktionen Ockerfarben sollten in acht Tagen in Heilbronn sein.

»Das schaffen wir nur, wenn wir Samstag arbeiten«, rechnete Zingel dem Chef aus. Wie immer gab er am Freitagmittag der Frühschicht Bescheid. »Morgen wird gearbeitet!« Dagegen hatte niemand etwas. Nur Fritz Fischer, der erst zur Nachmittagsschicht kam.

Als er von der Samstagsschicht hörte, rief er: »Das kommt nicht in Frage, erst muß Herr Korkhaus mit mir sprechen. Warum sollen wir immer den Schaden tragen und wenn die Firma im Dreck ist, immer einspringen?« Und dann: »Ich will mal sehen, wer von euch schafft. Gnade dem, der schafft!« Und im Waschraum auf den Widerspruch der Kollegen: »Ihr könnt machen, was ihr wollt!«

Die Belegschaft machte nicht, was sie wollte. Als Jakob Zingel am Samstag in den Betrieb kam, stand er allein dort. Und rief gleich den Chef an.

Korkhaus und Mühlenmeister Zingel holten ein paar Mann aus den Betten. »Ich hätte gern gearbeitet«, sagte der Arbeiter Bertram dann im Büro. »Aber ich wollte mir nicht den Vorwurf machen lassen, ich sei den anderen in den Rücken gefallen. Schwerbeschädigter Arbeiter Wolz: »Der Fischer hat's gesagt!«

Am Montag präsentierte Farbwerkchef Korkhaus seinem Betriebsrat Fischer persönlich die Entlassung. »Ich warne Sie, das dürfen Sie ja gar nicht!«, protestierte Fischer. Korkhaus wußte es anders: »Doch, das darf ich. Wenn Sie nicht sofort das Gelände verlassen, zeige ich Sie wegen Hausfriedensbruch an!« Zornig packte Fischer seine Sachen »Ich war noch nie im Gefängnis. Dann gehe ich lieber!«

Stunden später holte Fischer Gewerkschaftssekretär Emil Siewers (Gießen) vom Bahnhof ab. Der trug Gewerbeordnung, BGB und hessisches Betriebsrätegesetz schon in der Tasche. Und erkletterte später siegessicher die Treppen zum Arbeitsgericht, um das praktische Mitbestimmungsbeispiel festzunageln.

Fischer und der Gewerkschafts-Emil beantragten arbeitsgerichtliche Feststellung, daß die fristlose Kündigung rechtsunwirksam sei. Ohne seine Zustimmung, erklärte Fischer, hätte die 40stündige Arbeitszeit nicht geändert werden können. »Die Kündigung ist eine unzulässige Maßregelung des Betriebsrates wegen seiner Tätigkeit.«

Arbeitgeber Korkhaus grub in seinem Bücherschrank nach Paragraphen, beantragte Klageabweisung und klagte zurück, »Fischer zu verurteilen, den durch seine widerrechtliche Veranlassung des Arbeitsausfalles entstandenen Schaden zu ersetzen«. Der Heilbronner Kunde hatte reklamiert und war dann zur Konkurrenz gezogen. Der Auftrag war futsch.

Korkhaus wählte aus dem HGB den Paragraphen 30, Ziffer 3 heraus »Der Betriebsrat hat die Pflicht, den Arbeitsfrieden zu sichern und Streitigkeiten ... durch Verhandlungen beizulegen.« Das aber hat Fischer versäumt, konstatierte Korkhaus.

Rechtlich pochte er auf den § 29 HGB: »Der Arbeitgeber darf ohne Zustimmung des Betriebsrates ein Betriebsratsmitglied weder versetzen, noch ihm kündigen. Die Zustimmung ist nicht erforderlich bei fristloser Kündigung aus einem Grunde, der nach dem Gesetz zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhalt der Kündigungsfrist berechtigt.«

Und nach § 123 C der Gewerbeordnung könnten Gehilfen und Gesellen »vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Aufkündigung entlassen werden, wenn sie die Arbeit unbefugt verlassen haben oder sonst den ihnen nach dem Arbeitsvertrag obliegenden Verpflichtungen nachzukommen beharrlich verweigern«.

Wegen »eigenmächtiger Geschäftsführung« (§ 678 BGB) und nach dem § 823 BGB sei Fischer auch schadenersatzpflichtig.

Zweimal lud Arbeitsrichter Fröhlich in Limburg die Parteien zu sich. Am 12. Dezember 1949 stellte das Gericht die Rechtsunwirksamkeit der Entlassung Fischers fest. Die Widerklage wurde abgelehnt. Die Kosten wären von Korkhaus zu tragen.

Zwar habe Fischer unbefugt die Arbeit verlassen, hieß es im Urteil, doch habe es sich mangels Bewußtseins der Pflichtwidrigkeit um keine »beharrliche Arbeitsverweigerung« gehandelt. Nach § 34 HGB sei Korkhaus verpflichtet gewesen, über die kurzfristig angesetzte Arbeitszeitverlängerung mit dem Betriebsrat zu verhandeln. Ein Beweis für eine Aufwiegelung der Belegschaft sei nicht erbracht.

Fritz Fischer hatte sein Weihnachtsgeschenk in der Tasche. Farben-Karl Korkhaus dagegen alarmierte den Arbeitgeberverband Chemie in Wiesbaden. »Nichts wie Berufung!« meinte dort Verbandsjustitiar Dr. Jürgen Koch.

Der Kläger war auf den Arbeitsgerichten ein alter Bekannter. Er grub neue Paragraphen aus der Reichstarifordnung über die Länge der Arbeitszeit heraus. Und legte die Widerklage auf Schadensersatz erneut dazu.

Vier Monate später fand Arbeitsgerichtsdirektor Kauffmann auf dem Landesarbeitsgericht in Frankfurt manches Haar in Richter Fröhlichs Limburger Suppe. »Die rechtlichen Voraussetzungen, von denen das Arbeitsgericht ausging, sind nicht frei von Widerspruch«, verkündete er in letzter Instanz.

Eine Verletzung der Pflichten des Betriebsrates (§ 34 HGB) allein sei zwar kein Grund zur Kündigung. Fischer irre jedoch auch, wenn er sich auf das Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte in sozialen Fragen berufe. Die Anordnung zur Arbeit am fraglichen Samstag sei keine Maßnahme, die dem Mitbestimmungsrecht unterliege ...

»Würde es sich bei dieser Anordnung um eine grundsätzliche Aenderung der durch Betriebsvereinbarung beschlossenen 40stündigen Arbeitszeit handeln, hätte Fischer recht.«

Um eine solche Regelung handele es sich aber nicht, wenn der Betriebsleiter »aus besonderen betrieblichen Gründen außerhalb dieser regelmäßigen Arbeitszeit« Sonderarbeit im Sinne von Ueberstunden anordnete. »Die Anordnung von Ueberstunden im Einzelfalle unterliegt nicht dem Mitbestimmungsrecht.«

Fischer habe aber, wie die Beweisaufnahme ergebe, nicht nur eine bloße Arbeitsverweigerung begangen, sondern die gesamte Belegschaft veranlaßt, der Anordnung der Betriebsleitung nicht nachzukommen. Zingel und Bertram und Büroangestellter Noll hätten es so ausgesagt.

»Das Verhalten Fischers stellt eine schwere Verletzung seiner Pflichten aus dem Arbeitsvertrag dar«, resümierte Kauffmann. »Er ist tatsächlich dem Direktionsrecht der Betriebsleitung entgegengetreten und hat sich dabei eine Stellung angemaßt, die ihm als Betriebsrat nicht zustand.«

Sowohl das Kontrollratsgesetz Nr. 22 wie das Betriebsrätegesetz vermeiden ganz bewußt eine grundsätzliche Aenderung im Wesen des Direktionsrechtes des Arbeitgebers. Es wird durch das Mitbestimmungsrecht nicht zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber aufgeteilt, sondern bleibt ein unteilbares Ganzes, für dessen Ausübung die zur Geschäftsführung bestellten Personen allein die Verantwortung nach außen tragen, war die Auffassung der Berufungsinstanz.

Mitbestimmungsrecht bedeute also nicht Mit-Direktionsrecht, sondern lediglich eine Einflußnahme auf die Willensentscheidung der zum Direktionsrecht Befugten.

Für Fritz Fischer war es nur ein schlechter Trost, daß das Gericht wenigstens die Gegenklage auf Schadensersatz abwies. »Weil für den der Firma entstandenen Schaden der Arbeitsausfall an dem fraglichen Samstag nicht die bewiesene Ursache war.«

Er kroch bei der Gießerei Scheid in Limburg unter. Als einfacher Arbeiter. »Ehe ich noch einmal Betriebsrat werde, gehe ich lieber spazieren«, schimpft Fischer jetzt.

Grafik:

BUTTER-1 X 1

FÜR DEN PREIS VON 1 KILO BUTTER ERHÄLT MAN AN MARGARINE

MARGARINEBUTTER
DÄNEMARK2,3 Kg1 KILO
NIEDERLANDE4,1 Kg1 KILO
BELGIEN3,6 Kg1 KILO
WESTDEUTSCHL.2,4 Kg1 KILO
FRANKREICH5,8 Kg1 KILO

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