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Konzerne AM RANDE DES RUINS

Die Sanierung der angeschlagenen Metallgesellschaft gerät zur Zitterpartie: Das Überleben des Konzerns ist noch nicht gesichert. Dem früheren Chef des Unternehmens droht eine Anklage, er soll Bilanzen gefälscht und die Firma ausgenommen haben - für die Deutsche und die Dresdner Bank wird der Fall immer peinlicher.
aus DER SPIEGEL 2/1994

Schonungslos wollte Karl-Josef ("Kajo") Neukirchen, 51, den Gläubigerbanken berichten. Doch wie schlimm die Lage tatsächlich ist, wußte er bis kurz vor der Sitzung selbst noch nicht. »Buchstäblich in letzter Minute« bekam der neue Chef der Metallgesellschaft (MG) »die Horrorzahl« geliefert.

Rund hundert Vertreter von Banken hatten sich am Mittwoch vergangener Woche in der Kantine des Frankfurter Rohstoff- und Anlagenbaukonzerns versammelt. Fassungslos hörten sie sich an, was die von Neukirchen zur Bilanzprüfung angesetzten Konkursanwälte Lüer & Görg herausgefunden hatten.

Die tatsächlichen Verluste der Metallgesellschaft im vergangenen Geschäftsjahr beliefen sich, so die Rechnung der Prüfer, auf 1,8 Milliarden Mark. Das war fünfmal mehr, als der Mitte Dezember gefeuerte Vorstandschef Heinz Schimmelbusch, 49, in seinem vorläufigen Geschäftsbericht ausgewiesen hatte.

Mit Buchgewinnen bei Tochtergesellschaften und Abschreibungstricks hatte der gebürtige Wiener, den seine Freunde Schibu nennen, das Unternehmen schönergerechnet. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft auf Anzeige eines Aktionärs gegen den Mann, den eine Jury des Wirtschaftsmagazins Top Business 1991 zum »Manager des Jahres« kürte, wegen Betrugs und Untreue: Die Karriere des Aufsteigers könnte im Gefängnis enden.

Es steht schlimm um die Metallgesellschaft, und das ist Schibus Werk. Der Nummer 14 unter den deutschen Industriekonzernen droht die Pleite. Mit neun Milliarden Mark ist die Metallgesellschaft hoch verschuldet.

Der Fall Metallgesellschaft wird, so oder so, Wirtschaftsgeschichte machen - als Lehrstück über den Aufstieg eines Blenders und das Versagen von Aufsichtsräten.

Von rund vier Dutzend Geldgebern hängt es nun ab, ob das 112 Jahre alte Traditionsunternehmen (27 Milliarden Mark Umsatz, 57 000 Beschäftigte) überlebt. Die Metallgesellschaft steckt in akuter Finanznot, ohne Hilfe der Banken geht nichts mehr.

Am meisten hatte sich die Metallgesellschaft bei der Deutschen Bank geliehen: 539 Millionen Mark. 381 Millionen Mark waren es bei der Bayerischen Landesbank. Im Vertrauen auf den guten Namen der Firma und den finanzkräftigen Kreis der Großaktionäre (siehe Grafik Seite 70) hatten auch ausländische Banken großzügig Kredit gegeben.

Abgesandte der Auslandsbanken wie etwa des französischen Credit Lyonnais (246 Millionen Mark) und der amerikanischen Chase Manhattan Bank (149 Millionen Mark) stellten in der Kantinen-Runde peinliche Fragen. Sie wollten von Neukirchen wissen, was passieren werde, wenn sie die Kredite sofort zurückverlangten.

Dann sei mit dem »Allerschlimmsten« zu rechnen, warnte Neukirchen. Ein Vergleich wie im vergangenen Mai bei dem Stahlkonzern Klöckner-Werke sei »kaum hinzubiegen«.

Vielmehr müsse, warnte der Sanierer, mit einem Konkurs und seinen »verheerenden Folgen« gerechnet werden. Ein Unternehmen wie die Metallgesellschaft, das weltweit mit Rohstoffen handle und komplette Fabriken verkaufe, würde »sofort kollabieren«.

Schon jetzt spitzt sich die Lage von Tag zu Tag zu. Zulieferer verlangen Vorkasse, manche haben ihre Lieferungen eingestellt. Großkunden kündigten an, ihre Aufträge zu stornieren, wenn ein Konkursverfahren eingeleitet werde.

Der Neue an der Spitze macht Druck, die Zeit drängt. Die Gläubiger sollen nicht nur stillhalten, der Sanierer braucht Geld.

Banken und Großaktionäre sollen die Eigenmittel der Metallgesellschaft um 2,7 Milliarden Mark aufstocken. Die Geldhäuser sollen außerdem ihre Kreditlinien um 500 Millionen Mark ausweiten. Bis zum Mittwoch dieser Woche, fordert Neukirchen, müsse sich jede Bank entscheiden. Machen einige Gläubiger nicht mit, muß die MG-Führung zum Konkursrichter.

Die komplizierte aktienrechtliche Konstruktion von Kapitalerhöhung und der Ausgabe sogenannter Genußscheine hat allerdings ihren Charme. Die Banken müssen nicht ihre eigenen Bilanzen korrigieren. Die Jahresabschlüsse 1993 brauchen nicht um die Verluste aus den Kreditgeschäften mit der Metallgesellschaft berichtigt zu werden.

Doch unter den kleineren Gläubigerbanken herrscht beträchtliche Unruhe: Sie fühlen sich von der Deutschen und der Dresdner Bank getäuscht.

Inzwischen haben die übrigen Kreditgeber gemerkt, daß Deutsche und Dresdner Bank wesentlich besser dastehen als sie selbst. Der Überbrückungskredit von 1,5 Milliarden Mark vom Dezember ist nämlich in voller Höhe abgesichert.

Dazu wurden Aktien, die im Besitz der Metallgesellschaft sind - etwa von Dynamit Nobel -, in eine MG-Management-Gesellschaft übertragen. Auf diese Weise, empört sich ein Banker, wurde die AG möglicherweise ausgehöhlt.

Vor Weihnachten hatten die Deutsche und die Dresdner Bank noch geglaubt, der Frankfurter Firma mit den Überbrückungskrediten von 1,5 Milliarden Mark aus einer kurzfristigen Notlage helfen zu können. Die Metallgesellschaft hatte sich bei Ölgeschäften in den USA verspekuliert.

Doch dann zeigte sich: Die Ölspekulationen waren keine Ausnahme, sie waren typisch für das Management der Metallgesellschaft. Der Konzern wurde unter der Führung des ehrgeizigen Schimmelbusch an den Rand des Ruins gewirtschaftet.

Der Jesuitenschüler, promovierte Volkswirt und zeitweilige Firmenmakler hatte ein heillos verschachteltes Sammelsurium aus 258 Unternehmen gebaut. Zu dem Konglomerat gehören Zinkminen und Metallhütten wie die Norddeutsche Affinerie in Hamburg sowie Firmen aus Bereichen wie Werkzeugmaschinen, Autoteile, Anlagenbau und Umweltschutz.

Die Staatsanwaltschaft geht nun dem Verdacht nach, Schimmelbusch habe bei seinen Aktivitäten die Bilanzen der Metallgesellschaft gefälscht.

Mit seinem aufwendigen Lebensstil, so meinen Frankfurter Banker, habe Schimmelbusch überdies der Firma geschadet. Ähnlich wie der frühere SEL-Chef Helmut Lohr, der wegen Untreue ins Gefängnis mußte, habe auch Schimmelbusch Privates und geschäftliche Aufwendungen vermengt.

Ohne Genehmigung des Aufsichtsrats ließ sich Schimmelbusch ein Haus der Metallgesellschaft zu einer luxuriösen Dienstvilla umbauen. Die vor zwei Jahren begonnene Renovierung ist immer noch nicht beendet, weil dem Ehepaar Schimmelbusch so manches, etwa die Gestaltung der Bäder, nicht fein genug ausfiel.

Dem schlimmsten Vorwurf gehen hausinterne Revisoren der Metallgesellschaft zusammen mit Wirtschaftsprüfern nach. Sie prüfen, ob sich Schimmelbusch persönlich bereichern wollte.

Werden dem Manager kriminelle Machenschaften nachgewiesen, will ihn die Metallgesellschaft womöglich auf Schadensersatz verklagen. Sein Vertrag, der erst am 19. November vergangenen Jahres verlängert wurde, wäre dann nichtig.

Arglos hatten die Aufsichtsräte den begnadeten Selbstdarsteller Schimmelbusch gewähren lassen. Erst im Herbst vergangenen Jahres wurden sie mißtrauisch. Deutsche und Dresdner Bank lehnten im September die Emission einer Anleihe über einige hundert Millionen Mark für die Metallgesellschaft ab, weil Schimmelbusch keine Zahlen auf den Tisch legte - die Banken fürchteten für den Fall, daß die Anleihe nicht zurückgezahlt werden könnte, in Haftung genommen zu werden. Den Vertrag des Vorstandsvorsitzenden verlängerten sie dennoch.

Nachfolger Neukirchen, ein »Mann ohne Kompromisse« (Deutsche-Bank-Vorstand Ronaldo Schmitz), wird von den Geldhäusern stets geholt, wenn Manager und Aufsichtsräte eines Unternehmens versagt haben.

Im Auftrag der Deutschen Bank rettete Neukirchen den maroden Maschinenbau-Konzern Klöckner-Humboldt-Deutz. Für die Dresdner Bank und bayerische Kreditinstitute spielte er zuletzt als Aufsichtsratschef den Ausputzer beim konkursreifen Autozulieferer FAG Kugelfischer in Schweinfurt.

Die beiden größten deutschen Geldhäuser wollen alles daransetzen, daß die Metallgesellschaft die Krise überlebt. Hilmar Kopper, Vorstandschef der Deutschen Bank, befürchtet eine verschärfte politische Diskussion über die Rolle der Banken. Bei einem Konkurs würden einige zehntausend Kleinaktionäre ihr Geld verlieren, das würde den Banken angelastet.

In Neukirchens Sanierungsmodell bleiben die Kleinaktionäre ungeschoren. Sie seien, so der MG-Chef, durch die Kursverluste schon schlimm genug bestraft. Noch im November war die MG-Aktie 472 Mark wert, am Freitag vergangener Woche waren es gerade 218 Mark.

Der Dresdner Bank ist aus Imagegründen an der schnellen Rettung der Metallgesellschaft gelegen. Wolfgang Röller, bis vor sieben Monaten Vorstandschef, hatte bis März 1993 fünf Jahre lang den Aufsichtsrat der Metallgesellschaft geleitet.

Eine Umfrage bei den anderen großen MG-Aktionären weckte Hoffnungen. Die Daimler-Benz AG will sich zwar von ihren zehn Prozent MG-Aktien trennen, die Rettungsaktion aber mittragen. Auch bei den ausländischen Mitinhabern scheint alles klar. Die Kuweiter, die sich bisher aus allem rausgehalten hatten, wollen zahlen. Die Anteile australischer Konzerne wird voraussichtlich die Deutsche Bank übernehmen.

Bekommt das neue Management »das Heft zum Handeln in die Hände zurück« (Neukirchen), will der Krisenmanager aufräumen und den Konzern »auf das Kerngeschäft konzentrieren«.

Neukirchen will verkaufen und dichtmachen. Auf seiner Streichliste stehen rund drei Dutzend Firmen. Verlustbringer wie der Autozulieferer Kolbenschmidt oder Rheinzink sind ebenso darunter wie gutlaufende Unternehmen, die nicht zum Konzern passen. Dazu zählen eine brasilianische Stahlfirma aus dem Reich des Pleitiers Willy Korf oder die Beteiligung an der Methanex.

Den Schaden haben - wie immer, wenn Manager versagen und Aufsichtsräte zu lasch kontrollieren - die Arbeitnehmer. Über 20 000 Mitarbeiter werden gehen müssen, mehr als ein Drittel der Belegschaft. Der Arbeitersohn Neukirchen will 700 Millionen Mark Personalkosten einsparen.

Immerhin wollen die Banken aus dem Fall Metallgesellschaft Lehren ziehen, die ständige Kritik an der Arbeit der von ihnen entsandten Aufsichtsräte hat die Vorstände der Kreditinstitute nachdenklich gemacht. Im Haus der Deutschen Bank wird derzeit überlegt, ob künftig mehr professionelle Kontrolleure eingesetzt werden sollen.

Und ein kreditgebender Banker hat noch etwas gelernt: »Wenn ein Firmenchef zum Manager des Jahres gewählt wird, ist es an der Zeit, die Kreditlinien für die Firma zu kürzen.« Y

[Grafiktext]

__70a Großaktionäre der Metallgesellschaft

[GrafiktextEnde]

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