Steuervorschläge der EU-Kommission Wie Brüssel die Multis zähmen will

EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager: Ganzer Strauß neuer Regeln
Foto: YVES HERMAN / POOL / EPADieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Es war eine schwere Schlappe, die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager vergangenen Mittwoch einstecken musste. Eine Steuernachzahlung in Höhe von 250 Millionen Euro hatte sie dem US-Internetriesen Amazon abverlangen wollen – zu Unrecht, wie ihr das Gericht der Europäischen Union in Luxemburg bescheinigte. Zum wiederholten Mal hatten mächtige Multis, die in Europa kaum Steuern zahlen, den EU-Behörden den Stinkefinger gezeigt.
Nun will es Brüssel auf anderem Weg versuchen. An diesem Dienstag hat Vestagers Kollege Paolo Gentiloni einen ganzen Strauß neuer EU-Regeln angekündigt, mit denen Brüssel nicht nur den Druck auf die säumigen Konzerne erhöhen will. Sondern auch auf EU-Niedrigsteuerländer wie Irland, Luxemburg oder die Niederlande, die mit günstigen Bedingungen Firmenzentralen ins Land locken.
Bis zu 70 Milliarden Euro mehr an Steuereinnahmen?
Geht es nach Gentiloni, soll das bald schwieriger werden. Der frühere italienische Ministerpräsident will künftig öffentlich machen, in welchen Ländern die Unternehmen wie viel beziehungsweise wie wenig Steuern zahlen. Er plant, Briefkastenfirmen schärfer zu regulieren sowie die nationalen Schlupflöcher und Ausnahmeregeln bei der Unternehmensteuer zu beseitigen. Bis zu 70 Milliarden Euro könnte die Staatengemeinschaft dadurch zusätzlich einnehmen, hofft Gentiloni. Und so dafür sorgen, dass die Steuerlast »zwischen Unternehmen und Staaten fairer verteilt wird«.
Der EU-Kommissar will auch den Kampf gegen Mehrwertsteuer-Betrug verstärken, eine europaweite Digitalsteuer einführen und die Abgaben auf Fremd- und Eigenkapital vereinheitlichen. Wenn eine Firma Kredite aufnimmt, kann sie die Zinskosten von der Steuer absetzen. Schießt der Eigentümer selbst Geld zu, greift der Fiskus auf den Gesamtbetrag zu. Diesen Anreiz, die Unternehmensfinanzen zu sehr auf Schulden zu gründen, will die Brüsseler Behörde abbauen.
Die Pläne seien »durchaus ambitioniert«, lobt der grüne Europapolitiker Sven Giegold. Die Frage ist nur: Wie will die Kommission sie durchsetzen? Wenn die Behörde in Steuerangelegenheiten etwas erreichen will, müssen die Mitgliedstaaten zustimmen. Und zwar alle. In der EU gibt es jedoch mindestens fünf Länder, die aus dem Niedrigsteuer-Prinzip ein Geschäftsmodell gemacht haben. Hinzu kommen Staaten wie Ungarn, die der Brüsseler Zentrale grundsätzlich keine zusätzlichen Befugnisse zugestehen wollen.
Zwar könnte die EU eine Ausnahmeregel nutzen, nach der die Kommission bei schweren Wettbewerbsverzerrungen Vorschläge auch mit Mehrheit durchsetzen kann. Doch davon hat Gentiloni keinen Gebrauch gemacht – sehr zum Ärger Giegolds. »Wegen der Blockadehaltung der meisten Steueroasen-Länder sind Fortschritte nun so gut wie ausgeschlossen«, klagt der grüne Finanzexperte.
Brüssel hofft auf eine andere Staatenunion
Sein CSU-Kollege Markus Ferber hält es ebenfalls für wenig wahrscheinlich, dass der jüngste EU-Vorstoß die Tricksereien der Konzerne und ihrer willigen Helfer in den Finanzministerien beenden kann. »Ein einheitlicher Rahmen für die Unternehmensbesteuerung wäre ein echter Mehrwert für den Binnenmarkt«, sagt der EU-Parlamentarier. Doch habe sich die Kommission mit »ähnlichen Vorschlägen bereits mehrfach eine blutige Nase geholt«. Seit Jahren wird in Brüssel beispielsweise über gemeinsame Bemessungsgrößen bei der Konzernbesteuerung verhandelt. Doch bislang scheiterten alle Vorschläge am Widerstand einzelner EU-Mitglieder.
Stattdessen müssen Europas Finanzpolitiker nun auf eine noch größere Staatengemeinschaft hoffen, auf die Industrieländerorganisation OECD. Dort wird schon lange über gemeinsame Maßnahmen gegen die Steuerflucht der Multis geredet. Und seit der neue US-Präsident Joe Biden Vorschläge für eine globale Mindeststeuer vorgelegt hat, gelten die Verhandlungen als chancenreich.
Bis zum Juli, so hofft man etwa im Bundesfinanzministerium, könnte eine Vereinbarung stehen. Kommt es dazu, könnte das den Finanzämtern in aller Welt ein Einnahmeplus in hoher zweistelliger Milliardenhöhe einbringen, schätzen Experten. Auch Amazon, Google und Co. müssten dann mehr Steuern zahlen, nicht nur in Irland oder den USA. Sondern auch in vielen anderen Ländern, in denen sie Geschäfte machen.
Und so findet sich der aussichtsreichste Vorschlag des neuen EU-Steuerplans denn auch unter dem Punkt »Internationales«: Komme es zu einer Steuer-Einigung im Rahmen der OECD, heißt es da, werde die EU sie umgehend »in allen Mitgliedstaaten in Kraft setzen«.