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BANKEN An der Katastrophe

Die Elite der internationalen Geldkaufleute ist ratlos: Auf dem Währungs-Treffen in Washington wußte niemand, wie der weltweiten Schuldenkrise abzuhelfen ist. *
aus DER SPIEGEL 40/1983

Das Bankengeschäft hatte S. C. Gwynne nie gelernt, er konnte nur ein Diplom in Englisch vorweisen. Doch das reichte der Bank aus dem amerikanischen Ohio, den Vierundzwanzigjährigen als Kreditspezialisten zu engagieren.

Da Gwynne auch noch fließend Französisch spricht, beförderten ihn seine Vorgesetzten nur elf Monate nach dem Eintritt in das Bankhaus zum internationalen Kreditmanager. Fortan bereiste der Jung-Banker mit dem Kredit-Formularblock im Samsonite-Köfferchen die Welt, in sechs Monaten 28 Länder.

Seine dritte große Tournee führte den jungen Mann auch auf die Philippinen. Es ging um einen Zehn-Millionen-Dollar-Kredit für eine philippinische Bankgesellschaft.

S. C. Gwynne konnte sich über den Kunden nicht beklagen. Auf dem Flughafen erwarteten ihn ein Jaguar nebst Fahrer und einem Mädchen. Der Jaguar und auch sie selbst, ließ die junge Dame den Gast aus den USA gleich wissen, stünden stets zu seinen Diensten.

Die Verhandlungen mit den Herren der Bankgesellschaft liefen gleichfalls bestens, nach wenigen Tagen konnte der Banker aus Ohio wieder das Flugzeug besteigen.

Unterwegs, auf dem Flug nach Kuala Lumpur, saß Gwynne dann zufällig neben einem Kollegen von der Chase Manhattan, der auch als Kreditverkäufer um die Welt gondelte. Nach einigen Whiskeys erzählte Gwynne dem Kollegen von der neu angebahnten Geschäftsbeziehung zu der philippinischen Bankgesellschaft. Die Chefs dieser Firma lägen mit Marcos, dem Alleinherrscher der Philippinen, im Bett, amüsierte sich der Mann von der Chase. Das spreche sicher dafür, den Leuten Geld zu leihen. »Aber«, fügte der Kollege dann noch trocken hinzu, »sie sind bis über die Ohren verschuldet.«

Wieder daheim in Ohio zögerte der junge Manager dann doch, ob er dem Kreditausschuß der Bank, der das Geschäft noch genehmigen mußte, den Deal mit den Philippinen empfehlen sollte. Seine Vorgesetzten allerdings ermutigten ihn zu einer positiven Beurteilung. Das Geschäft mit den Philippinen war schließlich von einem wichtigen einheimischen Kunden angebahnt worden, der den Asiaten Baumaschinen liefern wollte. Mit dem Kredit sollten die Maschinen bezahlt werden.

Die Philippinen bekamen ihre zehn Millionen Dollar. Eineinhalb Jahre später blieben erstmals Zins- und Tilgungszahlungen aus, bis heute hat die Bank aus Ohio nur einen ganz geringen Teil ihres philippinischen Kredits zurückerhalten.

S. C. Gwynne, inzwischen aus dem Bankgeschäft ausgestiegen, erzählte dem amerikanischen Magazin »Harper's Bazaar« seine Erlebnisse im internationalen Kreditgeschäft. Die Geschichte erschien gerade rechtzeitig zum Jahrestreffen des Internationalen Währungsfonds, zu dem all jene nach Washington gereist waren, die als Geldgeber oder -nehmer Hauptdarsteller in jenem globalen Schuldendrama sind, an dem der junge Amerikaner ein ganz klein wenig mitgearbeitet hatte.

Daß sie es so wie S. C. Gwynne und seine Bank aus Ohio gemacht haben, weisen die Geldgewaltigen natürlich entschieden zurück. Sie hätten, so beteuern sie, stets geprüft, was zu prüfen war, hätten immer höchst verantwortungsbewußt gehandelt.

Ob verantwortlich oder unverantwortlich - Kredite von mindestens 600 Milliarden Dollar sind inzwischen weltweit fragwürdig geworden. Und keiner weiß, wie sie je wieder reingeholt werden sollen.

Vorbei ist es seither mit jener penetranten Selbstzufriedenheit, mit der die Banker-Gilde in früheren Jahren ihre Auftritte bei den Jahrestreffen des Internationalen Weltwährungsfonds (IWF) genoß.

Seit vielen Jahren kommen die Banker zu Tausenden, wenn der Fonds Ende September, im prächtigen amerikanischen Spätsommer, seinen Konvent abhält. Eigentlich haben die auf privaten Gewinn ausgerichteten Geldmanager da gar nichts zu suchen. Denn der IWF,

jene globale Währungsbehörde, ist eine Einrichtung von Regierungen und Notenbanken.

In den besten Washingtoner Hotels funktionieren die Geldhändler ganze Flure zu Bankenbüros um und machen aus dem IWF-Treffen eine Art Hannover-Messe der Bankenwelt: Wer immer Geld zu vergeben hat, wer immer Geld braucht, reist zum Fonds-Meeting. Niemals sonst im Jahr haben die Fluggesellschaften ihre teuren Erste-Klasse-Kabinen so gut ausgebucht wie in jenen späten September-Tagen.

Erster Klasse fliegen sie noch immer. Aber Geschäfte machen die Bankiers nun kaum noch in Washington. »Hier geht es darum, wie wir unsere Mücken wieder reinkriegen«, berichtete vorige Woche Vinzenz Grothgar, Vorstandsmitglied der Westdeutschen Landesbank, in Washington. Genauso Christoph von der Decken, für Asien zuständiges Vorstandsmitglied der Dresdner Bank: »Ich bin nur hierher gekommen, um meine Asiaten abzukassieren.«

Die Commerzbank hat ihre Büros in einem Seitenflügel des riesigen Sheraton-Hotels, in dem auch die Jahrestagung des Fonds abläuft, untergebracht. Zwei Teams arbeiten da - eins, das sich um das Neugeschäft kümmert, und eins, das sich mit der zahlungsunfähigen Kundschaft rumschlägt.

Das Zauberwort dieser Beschäftigung heißt »Umschuldung«. So beschreiben Banker euphemistisch jenen Vorgang, bei dem sie sich notgedrungen damit abfinden, daß sie von ihrem Geld fürs erste oder für immer nichts mehr wiedersehen.

Ein Zehn-Millionen-Dollar-Darlehen an ein nigerianisches Unternehmen beispielsweise, das laut Vertrag nach einem Jahr zurückgezahlt werden sollte, wird auf eine neue Laufzeit von sechs Jahren umgepolt. Vier Jahre bleiben erst mal tilgungsfrei.

»Wir müssen Zeit kaufen«, sagte Hans Friderichs, Chef der Dresdner Bank. Die Kollegen nickten beifällig.

Wilfried Guth von der Deutschen Bank machte sich gleichfalls Mut: »Wir haben die Technik der Umschuldung gut gelernt.« Beim Fall Mexiko habe es noch einige Monate gedauert, bis alles rund war. Bei Argentinien, Nigeria und Marokko, die zuletzt dran waren, sei dann alles schon »sehr schnell« gelaufen. Übung macht auch bei Bankern die Meister.

Über das, was nach diesen fünf, sechs Jahren fällig ist, zerbrechen sie sich lieber nicht den Kopf. Ein Bankier, der nicht so gern benannt werden möchte, macht die schlichte Rechnung auf: Die meisten Länder könnten noch nicht mal die Devisen für die Zinsen aufbringen, die auch für die umgeschuldeten Kredite fällig sind. Die nichtgezahlten Zinsen werden der Schuldsumme zugeschlagen, für diese neuen Schulden müssen also in den folgenden Jahren auch Zinsen gezahlt werden. Bei Dollarzins-Sätzen, die gegenwärtig über zehn Prozent liegen, hat sich dann die Schuld in fünf bis sechs Jahren verdoppelt. »Im Grunde wissen doch alle«, schlußfolgert der Mann, »daß sie ihr Geld nicht wiederbekommen.«

Dennoch tun sie weiterhin so, als bekämen sie es wieder. Den Vorschlag, die 600 Milliarden Dollar als größtes Entwicklungshilfeprogramm aller Zeiten zu deklarieren und abzuschreiben, halten die Geldländer für sittenwidrig. »Wir können unser Geld doch nicht einfach verschenken«, sagt Herbert Wolf von der Commerzbank, »dann denken die, sie kämen immer so billig davon.«

Doch zumindest die deutschen Banken bereiten sich schon längst auf das Unvermeidliche vor. Mehr als sonst nötig nehmen sie seit geraumer Zeit ihrer zahlungsfähigen in- und ausländischen Kundschaft an Zinsen ab, weniger als sonst möglich zahlen sie ihren Geldgebern, den Sparern vor allem, wiederum an Habenzinsen.

Selbst wenn sie wollten, könnten die Banker nicht mit einem Male auf alle weichgewordenen Kredite verzichten. Jede der großen deutschen Banken hat mehr Geld an Lateinamerika ausgeliehen, als sie an Eigenkapital in der Bilanz stehen hat. Nur »peu a peu« (WestLB-Manager Grothgar) können sie von ihren notleidenden Ausleihungen herunterkommen.

Bis das soweit ist, sehen sich ausgerechnet die Banker, die sonst so gern die strikte Trennung von Staatlichem und Privatwirtschaftlichem herauskehren, auf öffentliche Hilfe angewiesen. »Die Zeiten sind nicht normal«, rechtfertigt sich Deutsche-Bank-Sprecher Guth. Dann redet er vom »burden sharing«, von einer Lastenverteilung, bei der die Regierungen, insbesondere der von ihnen unterhaltene Weltwährungsfonds, und die Banken jeweils ihren Teil bei den Umschuldungen zu übernehmen hätten.

Der IWF allerdings hat in den letzten Monaten schon so viel und so oft geholfen, daß den Washingtoner Weltbankern allmählich das Geld ausgeht. Zwar haben die Gremien des Fonds längst beschlossen, das Eigenkapital ihrer Bank zu erhöhen. Doch ausgerechnet der größte IWF-Geldgeber, die USA, verweigert seinen Beitrag von 8,4 Milliarden Dollar. Solange aber Washington nicht zahlt, kommen auch aus den anderen Hauptstädten keine Überweisungen.

Die Kongreß-Abgeordneten verweigerten die IWF-Milliarden mit einem Argument aus dem Lehrbuch des Kapitalismus: Die privaten Banken, so sagen sie, hätten mit ihren Auslandskrediten gute Geschäfte machen wollen. Es ginge nicht an, daß sie nun, da dies schiefgegangen ist, die Regierungen für die Fehlschläge zahlen ließen.

Die deutschen Banker konnten sich vorige Woche in Washington »einfach nicht vorstellen« (Guth), daß die Kongreß-Abgeordneten bei ihrem Nein bleiben. Ohne weitere Mittel für die Internationale Geldbehörde IWF, so fürchten sie, müsse ihr brüchiges weltweites Kreditsystem endgültig einstürzen.

»Wenn der Kongreß nicht zustimmt«, meinte Walter Seipp von der Commerzbank, »sind wir nahe an der Katastrophe.«

Es wäre eine Katastrophe, die nicht nur die Banken träfe, sondern alle Volkswirtschaften aus den Angeln heben könnte.

Anzulasten wäre sie nur vordergründig einem US-Kongreß. Die Hauptverantwortlichen sind jene Geldkaufleute, die allzu sorglos die Einlagen ihrer Kundschaft ausgestreut haben - Männer wie S. C. Gwynne und die vielen, die höher angesiedelt sind als der Jung-Manager aus Ohio.

»Dies ist keine Brasilien- oder Mexiko-Krise«, kommentierte Ernst-Otto Sandvoss, Chef der Deutschen Girozentrale, den Verfall der globalen Geldordnung, »dies ist eine Bankenkrise.«

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