URAN Angst vor Amis
In der Moskauer Smolenskaja-Sennaja 32-34. Sitz der sowjetischen Staatshandelsgesellschaft Techsnabexport, suchen westeuropäische Energie-Kaufleute Befreiung vom Druck eines amerikanischen Monopols.
Seit die sowjetischen Staatshändler vor Monaten anboten, angereichertes Uran für westliche Kernkraftwerke billiger als der bisherige Allein-Exporteur USA zu liefern, pilgern Handelsdelegationen aus Westeuropas Nato-Ländern wie neutralen Staaten zum Atom-Antipoden der Vereinigten Staaten. So verhandelten in den vergangenen 14 Tagen allein über 20 westdeutsche Energie-Experten mit den sowjetischen Staats-Exporteuren über Lieferverträge für den Reaktorbrennstoff.
»Alle kommen jetzt nach Moskau«, schwärmt Jewgenij Petrowitsch Woltschkow, Präsident der Techsnabexport, über den Run der Belgier, Schweizer, Österreicher, Holländer, Italiener und Westdeutschen nach Osten, »weil wir attraktive Partner sind und kein Land diskriminieren.«
Übervorteilt und geknebelt fühlen sich die europäischen Atom-Habenichtse dagegen von ihrem traditionellen Lieferanten, der amerikanischen Atom-Energiekommission. Die Amerikaner diktierten Jahr für Jahr höhere Preise und verlangten saftige Vorauszahlungen bei Vertragsabschluß.
»Wo Monopolisten auftreten«, klagte Geschäftsführer Wiedemann vom Gemeinschaftskernkraftwerk Neckar, »wird Mißbrauch getrieben. Wir freuen uns deshalb über jeden neuen Anbieter« Hubert Tebbert, Geschäftsführer der Gesellschaft für Kernforschung in Karlsruhe, begrüßte ebenfalls die Offerte: »Es wurde höchste Zeit, daß die Amerikaner Konkurrenz bekamen«
Mit Uran-Importen aus der Sowjet-Union im Werte von knapp einer Milliarde Mark wollen denn auch das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk (RWE) in Essen, das Münchner Bayernwerk, das Gemeinschaftskernkraftwerk Neckar und die Gesellschaft für Kernforschung in Karlsruhe das kommerzielle Atom-Monopol der USA sogleich durch eine geballte Ladung knacken. Für zusätzlich 300 Millionen Mark soll der Bund seine Uranreserven aus russischen Quellen füllen.
Obwohl für die geplanten 20-Jahres-Verträge zwischen Westdeutschen und Sowjets als Kauftermin erst das nächste Jahr und als erster Liefertermin das Jahr 1980 vorgesehen sind, drängen die Vertreter der deutschen Energieversorgungs-Unternehmen auf einen Vertragsabschluß innerhalb der nächsten sechs Wochen.
Denn ohne baldige vertragliche Liefer-Garantien der Sowjets sind die deutschen Kernkraft-Manager gezwungen, ihre Ende des Jahres auslaufenden Verträge für US-Lieferungen bis 1980 rechtzeitig durch neue Lieferabkommen mit den teureren Amerikanern zu ergänzen.
»Die Verträge mit den Sowjets«, schimpft daher RWE-Unterhändler Helmut Schmale, »hätten längst abgeschlossen werden müssen. Jetzt stehen wir unter Zeitdruck.« Eine schnellere Unterzeichnung der Verträge verhindert haben nach Ansicht westdeutscher Energie-Experten vor allem Bonns Ministerial-Beamte. RWE- Manager von Moock: »Die deutschen offiziellen Stellen haben eine Angst vor den Amerikanern -- das ist schon nicht mehr schön.«
Da bei dem geplanten Geschäft Natur-Uran zur Anreicherung in die Sowjet-Union exportiert und dann als brisanter Brennstoff wieder eingeführt werden. soU, waren die westdeutschen Ministerialen vorsichtshalber um eine Genehmigung des Uran-Handels bei der Pariser Nato-Embargostelle Cocom eingekommen. Die Nato-Wächter wußten allerdings mit der Anfrage der bündnistreuen Deutschen nichts anzufangen und fragten zurück: »Was sollen die Anträge eigentlich bei uns?«
Dank des langatmigen Schriftverkehrs zwischen den Behörden vergingen Monate. In der Zwischenzeit merkten die Sowjets, wie begehrt ihr angereichertes Uran bei fast allen Westeuropäern ist, und forderten höhere Preise.
»Anfang des Jahres«, erinnert sich Schmale, »hätten wir bei den Russen noch um zehn bis zwölf Prozent billiger einkaufen können als bei den Amerikanern.« Jetzt liegen die Sowjets nur noch um fünf bis sieben Prozent unter dem amerikanischen Preisniveau.
Bislang erhielt RWE, Deutschlands größtes Energie-Versorgungsunternehmen, von der Bundesregierung nur eine Importgenehmigung für angereichertes Sowjet-Uran im Werte von 30 Millionen Mark. Dieser russische Brennstoff soll im Atomkraftwerk Mülheim verwendet werden. Für die RWE-Anträge,
* Alfred Hempel, Dieter v. Moock, Helmut Schmale auf dem Roten Platz in Moskau.
den Mülheimer Atommeiler und das Atomkraftwerk Biblis B 20 Jahre lang mit russischem Uran (Wert: rund 600 Millionen Mark) zu füttern, steht eine Erlaubnis vom Bund noch aus.
Mitsprache-Rechte beim Urankauf beansprucht auch die Euratom-Versorgungsagentur in Brüssel, die offiziell in der EG zuständig für die Belieferung der Kernkraftwerke mit Brennstoff ist. Doch die Russen haben die Europa-Behörde de jure noch nicht als Verhandlungspartner anerkannt.
Als Agentur-Generaldirektor Felix Oboussier in der vorletzten Woche gemeinsam mit westdeutschen Energie-Experten in Moskau vorsprach, empfing ihn Woltschkow scherzhaft: »Was wollen Sie eigentlich hier in Moskau? Wenn Sie nichts kaufen, brauchen Sie uns ja auch nicht zu unterhalten.«
Oboussier zum SPIEGEL: »Die Sowjets müssen sich daran gewöhnen, daß sie uns zu akzeptieren haben, wenn sie mit einem Unternehmen in der EG ins Geschäft kommen wollen.«
Franzosen und Italiener indes scherten sich bei ihren Verhandlungen mit den Sowjets weder um Euratom noch um die Embargostelle Cocom. Sie schlossen mit den Sowjets einfach bilaterale Uranverträge ab.
Ärgert sich Schmale: »Wir Deutschen stehen uns manchmal selber im Wege. Franzosen und Italiener haben sich bei mir vorher noch Rat geholt, wie man mit den Russen verhandeln soll. Und jetzt haben sie· mit den Sowjets früher abgeschlossen als wir.«
Ja selbst »die Amerikaner sind vielleicht noch schneller im Geschäft als wir«, spottet der Düsseldorfer Osthändler Alfred Hempel, der die ersten Urankontakte zu den Sowjets schon vor über drei Jahren geknüpft hatte.
Bereits Ende August will nämlich auch der US-Konzern General Electric mit den Sowjets über die Lieferung angereicherten Urans verhandeln. Der Elektroriese, der unter anderem auch Atomkraftwerke baut, möchte mit dem russischen Uran seine Konkurrenzfähigkeit beim Verkauf eines Atommeilers nach Jugoslawien verbessern.
Da mit dem Atomkraftwerk auch der anschließend benötigte Brennstoff geliefert werden muß, will General Electric -- wie die Mülheimer Kraftwerk Union, die Konkurrentin für den Kraftwerk-Auftrag -- Belgrad mit billigem Russen-Uran ködern,
Beneidet Schmale die US-Kollegen: »Die Amerikaner fragen weder Cocom noch sonst jemand. Sie entscheiden ökonomisch und schnell.«