GELD Anrüchige Verträge
Von kleinmütigen Charakteren hält Reinhard Wagner nichts. »Ein visionäres Ziel«, sagt der Vorstandsvorsitzende der BHW-Holding, »ist wichtig für die Bewußtseinsbildung.«
Als der Manager im Sommer 1993 an die Spitze des Bausparunternehmens aufrückte, gab er den rund 5000 BHW-Beschäftigten konsequenterweise eine klare Richtung vor: »Bis zum Jahr 2000 sind wir die Nummer eins.«
Das Ziel ist ehrgeizig - möglicherweise zu ehrgeizig. Doch Wagner scheint wild entschlossen, es zu erreichen. In der Wahl seiner Mittel ist er ebenfalls nicht zimperlich. Demnächst will der forsche BHW-Chef die unternehmerische Führung bei der Allgemeinen Hypothekenbank AG in Frankfurt übernehmen, im Gespräch ist auch eine Zehn-Prozent-Beteiligung an der Postbank.
Das nötige Geld für den Ausbau des Konzerns will er sich im Frühjahr an der Börse holen, auch das liegt im Trend. Die Beteiligungsgesellschaften der Gewerkschaften (BGAG) und des Deutschen Beamtenbundes reduzieren dabei ihre Holdinganteile im Rahmen einer Kapitalerhöhung von 98 auf rund 70 Prozent.
Aber offenbar reichten Visionen und moderne Managementtechniken nicht aus: Um seine hochgesteckten Pläne zu verwirklichen, ließ sich das BHW mit windigen Kreditvermittlern ein.
Die versprechen in Not geratenen Menschen Kredite - und drehen ihnen als vermeintliche Sicherheit Versicherungen und Bausparverträge an. Die Verträge werden geschlossen, aber Kredite gibt es fast nie. Gegen mindestens einen BHW-Partner ermittelt nun die Staatsanwaltschaft.
Doch auch das BHW selbst arbeitete zwei Jahre lang mit diesem dubiosen Verfahren. Ihre Vertriebstochter DSF Deutsche System Finanzplan AG verkaufte so Zehntausende von Bausparverträgen. Die meisten der anrüchigen Abschlüsse sind bis heute im Bestand des Unternehmens.
Um neue Kunden zu ködern, hatten die BHW-Strategen Ende 1991 die DSF als zweite Vertriebsschiene gegründet - vorbei am angestammten Außendienst. Das Unternehmen sollte nach außen nichts mit dem BHW zu tun haben und im Stile eines Strukturvertriebs auch Produkte verschiedener Versicherungen verkaufen. »Der Neutralitätsanspruch« der DSF, heißt es in einem internen Papier, solle zusammen mit dem Angebotsmix »zusätzliche Ertragspotentiale« schaffen.
Doch statt vieler neuer Verträge brachte die trickreiche Konstruktion Verluste in Millionenhöhe. In einem Schreiben an seinen Chef Wagner wies ein DSF-Verantwortlicher auf die »äußerst angespannte Liquiditätslage« hin. Ohne zusätzliche Kredite sei die Gesellschaft »Ende August 1993 zahlungsunfähig«.
Die BHW-Gesellschafter, allen voran der damalige Aufsichtsrat und BGAG-Chef Hans Matthöfer, wollten offenbar kein Geld mehr in die defizitäre DSF pumpen. Um seinen Vertrieb zu retten, mußte Wagner ein erfolgversprechendes, vor allem billiges Konzept vorlegen.
Statt sich mit dem langweiligen Aufbau einer neuen DSF-Struktur herumzuschlagen, holte er sich kurzerhand, was ihm fehlte: eine ausgebuffte Vertriebstruppe. Mit Änderungsverträgen wurde der gesamte, rund 130 Mann starke, Innen- und Außendienst der Media Consult GmbH, Kern der hannoverschen Fuhrmann-Gruppe, von der BHW-Tochter übernommen, ebenso deren Vertriebsbüros.
Im Gegenzug wurde Media-Consult-Chef Wolfgang Fuhrmann zum Vorstand der DSF bestellt. »Sie sind der richtige Mann, um unsere Sache nach vorn zu bringen«, erklärte ihm Wagner beim freundschaftlichen Handschlag.
Geld für die Übernahme der Firma konnte Wagner bei den BHW-Aufsehern allerdings nicht loseisen. Statt eines Kaufpreises sollte Fuhrmann bis zu acht Millionen Mark unter anderem für seine Kundendatei und die Lieferung weiterer Adressen bekommen. Wie Fuhrmann seine Daten beschaffte, darüber will das BHW-Management nichts gewußt haben.
Dabei hatte er sich mit seinem halben Dutzend GmbH ("Fuhrmann-Gruppe") in der Versicherungs- und Klinkenputzerbranche schon damals einen beachtlichen Ruf erarbeitet. Der stern würdigte die Akquisitionsmethoden des DSF-Hoffnungsträgers im Jahr 1992 unter dem Titel: »Die Kredit-Haie«. Von alledem, so der BHW-Finanzchef Karl-Heinz Klose, habe in der riesigen Unternehmenszentrale am Stadtrand von Hameln niemand »Kenntnis gehabt«.
Das scheint zumindest zweifelhaft. In einem Papier der Abteilung Konzernrechnungslegung wird im September 1993 angemerkt, eine »Zuführung von Adreßmaterial über die Kreditvermittlung« der »Fuhrmann-Gruppe« sei möglich. In einem Dossier des damaligen DSF-Vorstands ist sogar von »heißen Adressen« die Rede. Um sie zu bekommen, würde die Media Consult monatlich »für circa 210 000 Mark Anzeigen« schalten.
Solche Anzeigen finden sich häufig, etwa in TV-Blättern und Zeitungen: Windige Kreditvermittler mit klingenden Namen bieten Bargeld an. Alles werde »diskret« und »sofort« abgewickelt, »ohne Schufa-Auskunft« und »Sicherheiten«, selbst wenn die Bank des Geldsuchenden abgelehnt habe.
Wer sich per Coupon oder Anruf bei den angeblichen Kreditvermittlern meldet, hat schon verloren. Der freundliche Vertreter verlangt zumeist Gebühren oder stellt eine Computer-Wirtschaftsberatung in Rechnung. Im Falle Media Consult/DSF waren für eine »Haushaltsanalyse« nach dem »Moneytrak«-Verfahren (Lizenzprodukt des Fuhrmann-Unternehmens Stratos GmbH) 395 Mark fällig.
Der Kredit, wird dann regelmäßig verkündet, sei kein Problem, selbst nicht bei Rentnern, Arbeitslosen oder Sozialhilfeempfängern. Um das angeblich willige Institut allerdings von der Solvenz des Kunden zu überzeugen, so gaukeln die Vertreter den Leuten vor, müßten sie noch schnell eine Lebensversicherung und einen Bausparvertrag abschließen. Einige Wochen später, nach Ablauf der Rücktrittsfrist, kommt in der Regel die freundliche Absage des Kredits, Provisionen und Abschlußgebühren sind da längst abgebucht.
Solche sogenannten Kopplungsgeschäfte sind zwar verboten, im Einzelfall aber schwer nachweisbar. Die bundesdeutschen Staatsanwaltschaften müssen entsprechende Verfahren meist einstellen, ein Betrugsvorsatz läßt sich kaum belegen.
Auf Hilfe von der BHW-Spitze können die Geprellten nicht hoffen, die stellte sich taub - obwohl Hunderte von Kunden ihre Verträge wütend kündigten und den DSF-Vertriebsleuten Urkundenfälschung und Betrug vorwerfen.
Die hohe Stornoquote wird in einem vom damaligen BHW-Vorstand Dieter Rudzewski unterzeichneten Protokoll vom April 1995 lapidar mit der »kritischen Zielgruppe von Kunden« erklärt, »die in erster Linie ein persönliches Darlehen erlangen wollen«. »Die Kopplung des Kreditwunsches mit einem als ,Sicherheit' abzuschließenden Bausparvertrag«, heißt es unverblümt weiter, sei allerdings nicht hinnehmbar, wenn diesen Kundengruppen darüber hinaus »ein zu hoher Bausparvertrag verkauft« werde.
Zwischenzeitlich hatte auch das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen wegen der merkwürdigen Geschäfte der DSF und deren Verbindungen zur Fuhrmann-Gruppe beim BHW angefragt. Doch die Berliner Behörde wurde mit fadenscheinigen Erklärungen abgespeist, die tatsächlichen Verquickungen zu Fuhrmanns Unternehmen verschleiert.
Erst als die Stornoquote schließlich bei über 50 Prozent angelangt war und sich die DSF immer noch nicht stabilisiert hatte, schickte die BHW-Spitze unabhängige Wirtschaftsprüfer in das Tochterunternehmen. »Dabei wurden leider eine Reihe von Mißständen aufgedeckt«, sagt BHW-Manager Klose. »Als wir das erkannten, haben wir rigoros dazwischengeschlagen.«
Der überraschte Fuhrmann bekam die Kündigung, alle ausstehenden Zahlungen wurden eingefroren. Seinen Job hat der BHW-Manager Klose selbst übernommen. Seinem Vorgänger reichte er gleich eine Schadensersatzklage in Höhe von zwei Millionen Mark nach. In der Begründung der BHW-Anwälte ist nun von zehntausendfacher »Täuschung« und »Betrug« an DSF-Kunden die Rede.
Fuhrmann bestreitet die Vorwürfe. Der Finanzmakler, der seinerseits gegen die DSF auf Vertragserfüllung klagt, behauptet: »Die Herren vom BHW waren immer über alles im Bilde.«
Die Verfahren sind nun beim Landgericht Hannover anhängig. Zu klären ist für die Richter insbesondere, ob die Konzernspitze inklusive Wagner von den unsauberen Akquisitionspraktiken tatsächlich so überrascht war.
Dabei könnten die aktuellen Geschäftsbeziehungen der Bausparkasse zu einschlägig bekannten Kreditvermittlern zusätzlich an der Glaubwürdigkeit der BHW-Oberen rütteln. Unter den Vertriebspartnern sind neben der Hamburger Asse Fina GmbH und verbundenen Unternehmen etwa die Dr. Geißler GmbH aus Dinslaken, die Real Finanz aus Hannover und die Firmengruppe des Finanzmaklerpaares Heinz und Bärbel Volandt. Gegen deren Dekap Kreditvermittlung GmbH, Domas Assekuranz und Delta Credit Vermittlungsgesellschaft mbH, allesamt in Speyer, ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankenthal wegen Betrugs.
Sie alle ködern ihre Kunden über Kreditanzeigen. Zur Kooperation mit diesen und weiteren Firmen will sich der BHW-Vorstand nicht äußern - laut schriftlichem Kommentar »aus datenschutzrechtlichen Gründen«.