Anti-Raucher-Kampagne US-Tabakfarmer kämpfen ums Überleben
Scott Hedgecock stößt seinen Schuh in die Erde, bis es staubt. "Die Gewitterwolken sind letzte Nacht wieder vorbeigezogen", sagt er. Die Luft ist warm und feucht, doch das mit dem Regen will in diesem Jahr nicht so recht. Hedgecock ist Tabakfarmer im kleinen Örtchen Kernersville, im Norden des US-Bundesstaates North Carolina. Auf knapp 37 Hektar sandigem Boden baut er Tabak an, aus dem später vielleicht Zigaretten der Marke "Camel" oder "Pall Mall" werden. Doch so genau wisse er das gar nicht, er kümmere sich nur um den Anbau.
15 Kilometer entfernt, in der Stadt Winston-Salem, beschäftigt das zweitgrößte Tabakunternehmen des Landes, R.J. Reynolds, 4800 Leute. Reynolds nimmt Hedgecocks gesamte Ernte ab. Ob sich mit Tabak noch richtig gutes Geld verdienen lässt? "Nicht wirklich", brummt er.
North Carolina ist das größte Tabakanbaugebiet der USA. Knapp die Hälfte der 350.000 Tonnen, die im Land jährlich produziert werden, wachsen im subtropischen Klima zwischen Appalachen und Atlantikküste. Neben R.J. Reynolds beschäftigt auch die Nummer drei am Markt, Lorillard Tobacco, an die 2500 Leute in dem Bundesstaat.
Doch in den vergangenen 15 Jahren blieb kein Stein auf dem anderen. Die Zahl der Tabakfarmen schrumpfte zwischen 1997 und 2007 um fast 80 Prozent auf rund 2600 Betriebe. Seit den Milliardenklagen gegen die großen Zigarettenhersteller in den neunziger Jahren importieren die Konzerne inzwischen günstigeren Tabak, unter anderem aus Brasilien. Die kleinen Farmer in den USA sind dagegen auf sich allein gestellt.
Bauern, die wie Hedgecock Abnahmeverträge mit heimischen Zigarettenherstellern besitzen, sind in der Minderheit, berichtet John Connaughton, Wirtschaftsprofessor an der University of North Carolina at Charlotte (UNCC). Das richtig satte Wachstum im Zigarettengeschäft hat sich nach Asien verlegt, wo die meisten Raucher zu Hause sind. China und Indien produzieren längst mehr Tabak als die USA - und vor allem kostengünstiger.
Welche Auswirkungen der schrumpfende Markt für North Carolina hat, wurde deutlich, als Marktführer Philip Morris die Schließung eines Zigarettenwerks mit 2500 Mitarbeitern bekanntgab. Ende Juli rollte in der Fabrik, die auf einem 800 Hektar großen Gelände nahe der Stadt Charlotte untergebracht ist, die letzte Marlboro vom Band. Zwei Monate zuvor hatte North Carolina eine Bestimmung verabschiedet, die das Rauchen in Bars und Restaurants verbietet. "Das war der letzte Beweis, wie wenig Tabak hier noch bedeutet", sagt Ökonom Connaughton. Vor zehn Jahren wäre eine ähnliche Vorschrift unvorstellbar gewesen.
Immerhin: Über die Besteuerung der Zigaretten versucht North Carolina, seine Landwirte zu schonen. Anfang August erhöhte die neue demokratische Gouverneurin Bev Perdue die Abgaben zwar um zehn Cent auf 35 Cent pro Schachtel. Doch im Vergleich zu anderen Bundesstaaten ist dies immer noch extrem wenig: New York oder New Jersey nehmen weit mehr als zwei Dollar pro Packung ein. David Howard, Sprecher von Reynolds American, des Mutterkonzerns von R.J. Reynolds, schimpft dennoch: "An einer Schachtel Zigaretten verdient North Carolina bereits elf Prozent mehr als wir", rechnet er vor.
Farmer Hedgecock baut jetzt zusätzlich zum Tabak 48 Hektar Sojabohnen an, dazu Erdbeeren und Weizen. In erster Linie, weil Tabak nicht jedes Jahr an derselben Stelle gepflanzt werden soll, außerdem will sich Hedgecock breiter aufstellen. "Aber das Geld kommt vom Tabak", stellt er klar.
Hart verdientes Geld ist es allemal. Die Blüten und obersten Triebe müssen in der schwülen Hitze abgeschnitten werden, nur die gelben Blätter können geerntet werden, nach und nach, beginnend im Juli bis in den Oktober hinein. Sechs Leute arbeiten für Hedgecock. In der Dürre der vergangenen beiden Sommer habe er schon einmal daran gedacht, das Tabakanbauen sein zu lassen, erzählt er. Doch keine andere Feldfrucht ist so lukrativ. "So viele Erdbeeren kann ich gar nicht anbauen."
"Wie eine Goldmine"
Nach Ansicht von David Goldfield, einem Geschichteprofessor an der UNCC, ist rund um den Tabakanbau "das größte landwirtschaftliche Sozialprogramm aller Zeiten" entstanden. "Ein Tabakfeld war ein bisschen wie eine Goldmine." Anbauen durfte lange Zeit nur, wer eine Zuteilung besaß. Auf diese Weise wurden die Mengen beschränkt, und die Bauern konnten mit hohen Preisen rechnen. 2004 kam das Aus für das System, und die Bauern wurden finanziell entschädigt. Jetzt kommt nur noch gut über die Runden, wer als Agrargroßbetrieb riesige Flächen bestellt oder einen Abnahmevertrag hat.
"In den achtziger Jahren begann sich das Gesicht North Carolinas zu verändern", erzählt Ferrel Guillory, Direktor des Program on Public Life an der Universität in Chapel Hill. Als die Bank of America ihr Hauptquartier nach Charlotte, in die größte Stadt des Bundesstaates verlegte, folgten zahlreiche Finanzdienstleister nach. Rund um die Hauptstadt Raleigh siedelte sich unterdessen eine forschungsintensive Hightech-Industrie an, und Leute aus dem ganzen Land folgten den Jobs in den Tar Heel State. Die Neuankömmlinge bringen neue Werte mit. "Keiner von denen hat eine Verbindung zum Tabak. Sie sind alle mit den Warnungen aufgewachsen und wollen im Restaurant nicht passiv rauchen", sagt Guillory.
Die größte Bedeutung für die Tabakindustrie des Bundesstaates könnte jedoch ein neues Gesetz haben, das Präsident Obama Mitte Juni unterzeichnete. Es legt fest, dass Produktion und Marketing von Tabakprodukten nunmehr der Kontrolle der Gesundheitsbehörde FDA unterstehen. Das Ziel: Jugendliche sollen erst gar nicht in Versuchung kommen zu rauchen. Ab Oktober sind Zigaretten mit Frucht- oder Gewürzgeschmack verboten, außerdem wird die Werbung radikal eingeschränkt - in einem Umkreis von 300 Metern rund um Schulen und Spielplätze ist Plakatwerbung für Tabakprodukte gänzlich untersagt. Darüber hinaus müssen die Hersteller ab Anfang 2010 sämtliche Inhaltsstoffe gegenüber der FDA aufschlüsseln. Und ab dem Sommer müssen sie Bezeichnungen wie "light" oder "mild" aufgeben.
Mentholzigaretten verkaufen sich noch gut
Über mögliche weitere "vernünftige" Schritte, wie Obama bei der Unterzeichnung formulierte, denken FDA-Wissenschaftler in einem eigens geschaffenen "Center for Tobacco Products" bereits nach. "Ich sehe wirklich keine Möglichkeit, das leichtzunehmen", kommentiert Reynolds-Sprecher Howard das neue Gesetz. Für ihn steht außer Zweifel, dass die Werbebeschränkung vor allem dem Konkurrenten Philip Morris helfen: "Wenn keiner Reklame machen kann, ist das ein klarer Vorteil für den Marktführer."
Bei R.J. Reynolds scheint man das Wort "Rauchen" aus dem Vokabular gestrichen zu haben. Immer wieder spricht PR-Mann Howard von "Tabakwaren für informierte Erwachsene" und preist die rauchfreien Produkte des Unternehmens an, darunter "Camel Snus": Tabakstreifchen, die unter der Oberlippe platziert werden. Vom rauchfreien Markt erwarten die Unternehmen noch Wachstum. Immerhin würden die Produkte Leuten dabei helfen, "gesellschaftliche Erwartungen" zu erfüllen, so Howard.
Wachstum ist auch bei Mentholzigaretten zu verzeichnen. Fast jede dritte Zigarette, die in den USA über den Ladentisch geht, ist mit dem Geschmacksstoff versetzt. Dass sich die Lobbyisten von Philip Morris, im Gegensatz Reynolds und Lorillard, für die FDA-Regelung stark gemacht haben, dürfte sich für sie lohnen. Denn das Verbot für Geschmackszusätze nimmt Menthol und damit die einträglichsten Produkte aus - bis auf weiteres zumindest.
Wirtschaftswissenschaftler Connaughton ist überzeugt, dass "Big Tobacco" zu weiteren Zugeständnissen bereit ist: "Solange sie ihre Zigaretten legal verkaufen dürfen, werden sie sich knebeln lassen."