Arbeitskampf im Güterverkehr Bahn verweigert neues Angebot - Lokführer drohen mit mehr Streiks

Streik im Güterverkehr, 300 Züge fielen schon aus - doch die Bahn bleibt hart. Sie kündigt an, den Lokführern kein neues Angebot zu machen. GDL-Chef Schell droht nun schon mit neuen Arbeitsniederlegungen in der kommenden Woche.

Hamburg - Die Bahn will auf den Streik im Güterverkehr nicht mit einem neuen Angebot an die Lokführergewerkschaft GDL reagieren. "Es wird absehbar kein neues Angebot geben", sagte Transportvorstand Norbert Bensel. Die Bahn bemühe sich, die Auswirkungen des Streiks so gering wie möglich zu halten. Züge für die Automobilindustrie, die Mineralölwirtschaft und die Stahlhütten sollten vorrangig fahren.

GDL-Chef Manfred Schell erklärte daraufhin, Streiks auch in der kommenden Woche würden damit wahrscheinlicher. "Es kann sein, dass wir schon morgen darüber entscheiden." Zur den Äußerungen Bensels sagte er: "Mit dieser sturen Haltung wird niemand die GDL und ihre Mitglieder in die Knie zwingen."

Die Streiks im Güterverkehr der Bahn sind nach Darstellung der GDL "gut angelaufen". GDL-Sprecherin Gerda Seibert sagte am Nachmittag, ersten Rückmeldungen zufolge stünden viele Züge still. Am Abend hieß es dann bei der Bahn, dass wegen des Lokführerstreiks bereits in den ersten acht Stunden 300 Güterzüge ausgefallen seien. An dem Ausstand hätten sich zunächst 350 Lokführer beteiligt, sagte eine Bahnsprecherin. Die Lage habe sich seit dem späten Nachmittag - mit Beginn des Hauptgeschäfts im Schienengüterverkehr - verschärft.

Der Schwerpunkt der Streiks lag laut Bahn in Ostdeutschland. Hier sei "der Organisationsgrad der GDL sehr hoch und die Beteiligung am Streik dementsprechend stark". In den neuen Bundesländern könne der Schienengüterverkehr in der Nacht zu Freitag ganz zum Erliegen kommen. Die Bahn ordnete Notdienste an, um "die Zustellung versorgungsrelevanter Güterzüge sicherzustellen". Diese Züge durften demnach nicht bestreikt werden.

GDL-Vize Günther Kinscher sagte, er rechne damit, dass 100 Prozent der zum Streik aufgerufenen GDL-Mitglieder auch in den Ausstand getreten seien. Wie viele der 5400 Lokführer bei der Bahntochter Railion sich insgesamt an dem 42-stündigen Ausstand seit heute Mittag um 12 Uhr beteiligten, konnte die Gewerkschaft nicht sagen. Den Angaben zufolge sind zwischen 2000 und 2200 Lokführer bei der GDL organisiert und streikberechtigt. "Die Streikbereitschaft ist sehr hoch", sagte GDL-Sprecher Maik Brandenburger. Er betonte, die Lokführer würden bei dem heute begonnenen Streik ihre Züge nicht einfach auf dem Gleis stehen lassen, sondern sie in den nächsten Bahnhof fahren.

Kinscher zufolge sei die GDL bereit, den Streik sofort zu beenden, sollte die Bahn ein verhandelbares Angebot vorlegen. Derzeit sei das Unternehmen aber nur bereit, in ihrem großen Haus der GDL ein "Kinderzimmer mit Laufgestell" zuzugestehen. Den Schlüssel zum Kinderzimmer wolle der Bahnvorstand behalten.

Die Bahn teilte dagegen mit, es seien rund zwei Drittel der bundesweit 5400 Lokführer der Bahn-Frachttochter im Dienst. Etwa die Hälfte der Lokführer im Güterverkehr seien Beamte und daher nicht streikberechtigt. Die Bahn werde alles tun, um die wichtigen Terminfrachten zu bedienen, vor allem in den Häfen, sagte ein Sprecher. Dazu gehöre auch die Kooperation mit anderen Bahnunternehmen im In- und Ausland.

Bahnreisende würden von den Streiks im Güterverkehr nichts mitbekommen, sagte eine Sprecherin. "Bislang gibt es noch keinerlei Auswirkungen", sagte sie. Künftige Beeinträchtigungen seien zwar nicht ausgeschlossen, die Bahn erwarte aber im Personenverkehr keine Störungen. Um auf Nummer sicher zu gehen, sollten Reisende aber die Internetseite www.bahn.de/aktuell  im Auge behalten.

Der Streik im Güterverkehr werde erst am Abend und in der Nacht richtig beginnen, hieß es dagegen aus der GDL. Das Gütergeschäft sei bei der Bahn ein Nachtgeschäft.

Die Industrie rechnet nach dem Beginn des Streiks vorerst nicht mit größeren Störungen der Produktion und Auslieferung. Soweit wie möglich seien alternative Transportmöglichkeiten und zusätzliche Lagerkapazitäten gesichert worden, hieß es heute bei den meisten Unternehmen. Sollte der bis Samstagmorgen, 6 Uhr, angesetzte Streik in der kommenden Woche jedoch fortgesetzt werden, drohten allerdings massive Engpässe bei der Versorgung mit Material, Auslieferung von Produkten und damit auch im gesamten Im- und Export.

Nach Angaben von Bahn-Sprecher Uwe Herz rief das Unternehmen die GDL erneut zu einer Spitzenrunde auf. "Unser Angebot vom 15. Oktober entspricht dem Ergebnis der Moderation und widerspricht auch nicht dem jetzigen Text", sagte er mit Bezug auf eine Vermittlung der CDU-Politiker Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf. In dem Text ist unter anderem von einem "eigenständigen Tarifvertrag" die Rede. Damit deutete sich eine Kompromissmöglichkeit in der bislang heftig umstrittenen Frage an. Die Lokführer fordern einen eigenständigen Tarifvertrag, der deutlich bessere Arbeitszeiten und bis zu 31 Prozent mehr Einkommen vorsieht.

Railion ist nach eigenen Angaben die größte europäische Güterbahn. Das Unternehmen transportiert täglich mit 5000 Zügen rund 800.000 Tonnen Fracht durch Deutschland. Der Umsatz betrug im vergangenen Jahr 3,9 Milliarden Euro.

kaz/AP/dpa/Reuters/AFP

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