Arbeitskampf Streik bei Lufthansa bedroht andere Fluglinien
Hamburg - Der Flughafen München am Montag: Einige verlorene Protestler stehen in der fast menschenleeren Wartehalle, an den Check-in-Schaltern werden Touristen teils schneller bedient als sonst. Draußen vor dem Fenster flattern Ver.di-Fahnen schlaff im Wind, und ein Gewerkschaftler redet vom "Anfang". Er sagt, das sei eben so, dass der Streik so wenig sichtbar sei. Er habe ja "gerade erst begonnen".

Streik-Verweigerer in Frankfurt: Reibungsloser Ablauf
Foto: APTrotzdem: Als vergangene Woche bei den Lufthansa-Töchtern CityLine und Eurowings die Piloten streikten, hatte das eine ganz andere Hebelwirkung. Binnen 36 Stunden fielen rund 900 Flüge aus, für Tausende Fluggäste wurden geplante Reisen zum Chaos. Nur: Die Verhandlungen führte damals nicht Ver.di, sondern die unabhängige Pilotengewerkschaft Cockpit.
So öffentlichkeitswirksam war der Streik-Auftakt des Lufthansa Bord- und Bodenpersonals am Montag nicht mal ansatzweise - obwohl geschätzte 5000 Mitarbeiter aus den Bereichen Catering, Check-in und technische Wartung sich an den Ausständen beteiligten. Dennoch verkauften beide Seiten den ersten Streiktag als Erfolg:
- Lufthansa-Sprecher Peter Schneckenleitner sagte SPIEGEL ONLINE: "Zurzeit haben wir 1200 Flüge ohne nennenswerte Verspätung abgewickelt. Es gab keine negativen Auswirkungen auf den Flugbetrieb, was zeigt, dass unsere Notfallpläne greifen." Allerdings könne sich das stündlich ändern.
- Ver.di-Bundesvorstand Harals Reutter sagte SPIEGEL ONLINE: "Wir haben genau das erreicht, was wir wollten. Wir streiken passagierfreundlich, aber wir setzen Lufthansa wirtschaftlich unter Druck." Allerdings werde sich die Lage an den Flughäfen in den nächsten Tagen vermutlich verschärfen - dann könne es auch zu Ausfällen kommen.
Zwei Siegeserklärungen, zweimal "allerdings". Tatsächlich zerrt der unsichtbare Streik hinter den Kulissen weit stärker an den Nerven der Beteiligten, als diese es vermuten lassen. Beide, Ver.di und Lufthansa, stehen unter immensen Druck. Beide haben kaum Handlungsspielraum, was den Arbeitskampf in die Länge zu ziehen droht.
Das aber bedeutet im schlimmsten Fall für Lufthansa Millionenschäden oder für Ver.di den Gesichtsverlust. Und vielen Fluggästen, auch von anderen Airlines, könnten die Streiks doch noch den Urlaub vermiesen.
"Ver.di steht mit dem Rücken zur Wand"
"Effektiv wären die Streiks nur, wenn Ver.di vorher nicht ankündigt, wo sie stattfinden", sagte Hagen Lesch, Tarifexperte des gewerkschaftskritischen Forschungsinstituts IW Köln, SPIEGEL ONLINE. "Doch das ist unmöglich. Dann kämen Tausende Touristen nicht mehr an ihren Urlaubsort oder von dort zurück." Die Stimmung würde dann schnell gegen die Arbeitskämpfer kippen. Das wolle Ver.di verhindern. Deshalb nehme die Gewerkschaft in Kauf, Lufthansa vorzuwarnen.
Viel deute darauf hin, dass es der Gewerkschaft bei ihrem Arbeitskampf eher um Außenwirkung geht. "Die Forderung nach 9,8 Prozent mehr Lohn ist unrealistisch", sagte Lesch. "Sie ist eher ein Signal, dass Ver.di versucht, das Maximum für ihre Mitglieder herauszuholen." Lufthansa könne darauf gar nicht eingehen. "Eine derart hohe Steigerung ist vielleicht in der technischen Wartung noch gerechtfertigt - aber nicht bei einem Mitarbeiter, der Salat wäscht und Brötchen belegt."
Der wahre Grund des Arbeitskampfs sei die Zerfaserung der Gewerkschaft. "Ver.di steht in der Flugbranche mit dem Rücken zur Wand", sagte Lesch. Tatsächlich organisieren sich immer mehr Berufsstände über eigene Gewerkschaften. Piloten handeln ihre Tarife über die Gewerkschaft Cockpit aus, die Verhandlungen vieler Flugbegleiter führt zusehends die unabhängige Flugbegleiter Organisation (Ufo), die ebenfalls zu betonen erpicht ist, ihren eigenen Arbeitskampf zu führen. "Gerade bei den Ufo-Mitgliedern dürfte Ver.di versuchen, sich über den aktuellen Streik wieder stärker zu profilieren", sagte Lesch.
Ver.di weist diese Kritik zurück. "Wir haben die Tarifverhandlungen jahrelang mit Augenmaß geführt", sagte ihr Bundesvorstand Reutter. "Jetzt müssen wir in glänzenden Zeiten auch dafür zu sorgen, dass die von uns vertretenen Arbeiter eine angemessene Lohnerhöhung erhalten."
Auch anderen Airlines drohen Flugausfälle
Ver.dis Streik ist weitgehend unsichtbar - er ist aber gerade deshalb für die Lufthansa umso tückischer. Wirtschaftlich trifft er den Konzern schon jetzt. Mittelfristig trifft er auch die Pasagiere. Eine Vollversorgung wird Lufthansa kaum aufrechterhalten können. Und der Luft-Gigant läuft Gefahr, durch die Ausstände zahlreiche Kunden zu verlieren.
"Die Achillesferse des Streiks ist die technische Wartung", sagt Heidi Riedel-Ciesla, Expertin für Flugsicherheit bei Ver.di, SPIEGEL ONLINE. "Überspitzt gesagt muss im Flugzeug nur eine Glühbirne flackern - und schon darf die Maschine nicht starten." Gleichzeitig ist der technische Bereich Ver.dis wahrer Machtpunkt. Schätzungsweise 50 Prozent des Lufthansa-Personals sind in diesem Bereich über die Gewerkschaft organisiert - entsprechend hoch ist die Rate der Arbeitsausfälle.
Externe Hilfe kann sich Lufthansa in diesem Bereich nur schwer dazumieten - der Konzern ist selbst der größte Dienstleister in diesem Bereich. "Bei der Wartung ist der Spielraum begrenzt", räumt Lufthansa-Sprecher Schneckenleitner ein. Und gerade in diesem Bereich gebe es "keinerlei Kompromiss". Bei Lufthansa würden weiter die gewohnt hohen Sicherheitsstandards angelegt. "Kommt es in diesem Bereich zu Engpässen, bleiben die Maschinen stehen, bis sie gewartet und durchgecheckt sind", so Schneckenleitner.
Das könnte am Ende nicht nur die Fluggäste von Lufthansa treffen: In der technischen Wartung übernimmt der Konzern für viele andere Airlines Dienste ( Übersicht der Lufthansa-Kunden ). "Wir können das Ausmaß der Auswirkungen derzeit nicht abschätzen", sagt Lufthansa-Sprecherin Claudia Lange SPIEGEL ONLINE. "Fakt ist: Bei längeren Streiks könnten auch Drittkunden von Lufthansa betroffen sein."
Wartungsarbeiten übernimmt Lufthansa beispielsweise für den Konkurrenten Air Berlin, und zwar in den Städten Bremen, Dresden, Leipzig und Stuttgart. Nach eigenen Angaben hat sich der Billigflieger auf die Streiks vorbereitet: "Damit es zu keinen Verzögerungen kommt, haben wir eigenes Personal zu diesen Flughäfen beordert", sagt Peter Hauptvogel, Kommunikationschef von Air Berlin, SPIEGEL ONLINE. Mit Ausfällen rechne er vorerst nicht.
Lufthansa-Erzrivale soll bereits für Lufthansa catern
Im Bereich Catering sieht es ähnlich aus: Dort sind etwa 30 Prozent der Lufthansa-Mitarbeiter über Ver.di organisiert, und gerade bei Langstreckenflügen ist es undenkbar, dass die Maschinen ohne Essens- und Trinkversorgung starten. Insidern zufolge kämpft Lufthansa in diesem Bereich schon jetzt mit Engpässen und lässt einen Teil des Caterings über den Erzrivalen Gate Gourmet abwickeln. Ein Lufthansa-Sprecher dementierte das allerdings.
Die Langzeitfolgen des Streiks sind für Lufthansa sogar noch unangenehmer: Die Wartehalle am Münchner Flughafen war am Montag aus gutem Grund so leer. "Wir stellen unter den Fluggäste eine gewisse Verunsicherung fest, die sich in den Buchungen negativ niederschlägt", sagte Schneckenleitner. Konkrete Zahlen wollte er nicht nennen.
Dauern die Streiks an, wird sich dieses Problem verschärfen. Nach und nach dürften immer mehr Menschen auf die Bahn oder andere Fluglinien umsatteln, um in den Urlaub zu fliegen. Dabei besteht für Lufthansa die Gefahr, dass die Kunden dauerhaft mit einer anderen Airline fliegen.
Tarifexperte Lesch vom Kölner IW drückt das in konkreten Zahlen aus: "Im Extremfall können für Lufthansa Verluste von täglich bis zu 30 Millionen Euro anfallen." Es sei also im Interesse des Unternehmens, die Verhandlungen mit Ver.di schnell wieder aufzunehmen. "Denn solch Verluste kann sich auch so ein Riesenkonzern wie Lufthansa nicht leisten."