Arbeitslosigkeit Krise wird zur Männer-Rezession

Die Krise treibt die Arbeitslosigkeit in die Höhe, doch das trifft nicht alle gleichermaßen: Die Zahlen der Bundesagentur zeigen, dass bislang vor allem Männer ihre Stelle verlieren. Frauen dagegen finden immer noch Jobs.

Hamburg - Es sind immer die gleichen Bilder, die derzeit um die Welt gehen: Bei Continental in Frankreich demonstrieren die Mitarbeiter, in Rüsselsheim fordern die Autobauer ein Rettungskonzept für Opel, in New York und London räumen die Banker ihre Büros, in denen sie nicht mehr gebraucht werden. Es sind die Bilder einer Krise - und die Gesichter der Menschen haben eines gemeinsam: Sie sind fast ausnahmslos männlich.

Opel-Arbeiter beim Protest: "Frauen haben schlicht die besseren Jobs"

Opel-Arbeiter beim Protest: "Frauen haben schlicht die besseren Jobs"

Foto: AP

Je länger der weltweite Abschwung anhält, je deutlicher sich der Crash der Weltwirtschaft in steigenden Arbeitslosenzahlen bemerkbar macht, desto klarer wird: Die Krise trifft in erster Linie Männer. So sind fast 80 Prozent der 5,1 Millionen Amerikaner, die in den vergangenen Monaten ihren Job verloren haben, männlich. In den USA liegt die Arbeitslosenquote von Männern inzwischen bei 8,8 Prozent, bei Frauen sind es nur sieben Prozent.

"Die Krise trifft die klassischen Industriesektoren"

Das Gleiche gilt für Deutschland: 55 Prozent aller Arbeitslosen sind derzeit männlich - und es werden wohl noch mehr. Männliche Mitarbeiter seien von der aktuellen Wirtschaftskrise stärker betroffen als weibliche, sagte Heinrich Alt von der Bundesagentur für Arbeit am Donnerstag bei der Vorstellung der aktuellen Zahlen. Und die sind eindeutig: Während die Arbeitslosenquote bei Männern im April im Vergleich zum Vorjahr um 12,4 Prozent stieg, ist sie bei Frauen um 2,8 Prozent zurückgegangen. In absoluten Zahlen heißt das: Während 217.848 Männer ihren Job verloren haben, haben 46.939 Frauen sogar eine neue Stelle gefunden.

"Das ist nicht weiter verwunderlich, denn diese Konjunkturkrise konzentriert sich auf die klassischen Industriesektoren", sagt Christian Dreger, Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Vor allem in der Automobilbranche, bei den Zulieferern und den Maschinenbauern gingen Arbeitsplätze verloren. "Und das sind Bereiche, in denen immer noch mehr Männer arbeiten", sagt Dreger. Frauen arbeiteten dagegen häufiger in den Dienstleistungsberufen. "Und dort schlägt die Krise noch nicht oder nur moderat durch."

Weibliche Branchen sind weniger krisenanfällig

Eine Begründung, die man auch beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) teilt: "Der Abbau von Arbeitsplätzen trifft momentan vor allem männliche Fachkräfte, weil Industriebranchen wie Auto oder Maschinenbau nach wie vor Männerdomänen sind", sagt DGB-Sprecherin Claudia Falk. Bislang wede zwar viel durch den Einsatz von Kurzarbeit aufgefangen. "Aber vor allem bei kleineren Betrieben verlieren die Mitarbeiter schon jetzt ihre Jobs."

Dazu kommt: Insgesamt arbeiten deutlich mehr Männer als Frauen. Laut der Bundesagentur für Arbeit liegt die Erwerbsquote von Männern bei 81,6 Prozent - während Frauen nur auf 69,2 Prozent kommen. Wer häufiger arbeitet, läuft aber auch eher Gefahr, seinen Job zu verlieren.

Außerdem werden derzeit vor allem Vollzeitstellen abgebaut - aber viele Frauen haben keine 40-Stunden-Woche: Ziemlich genau ein Drittel der werktätigen Frauen sind teilzeitbeschäftigt. Bei Männern liegt dieser Anteil gerade mal bei 5,5 Prozent.

So überrascht es auch nicht, dass der Anteil von Frauen im Niedriglohnbereich deutlich höher ist: Laut Bundesagentur sind 67,4 Prozent aller geringfügig Entlohnten weiblich - sie arbeiten als Altenpflegerinnen, Tagesmütter, jobben als Aushilfskraft in Supermärkten oder gehen putzen. Diese Jobs sind zwar nicht gut bezahlt, aber sie werden gebraucht.

Gleichzeitig profitieren Frauen in den besser bezahlten Bereichen - denn traditionell weiblich dominierte Branchen wie Bildung und Gesundheit sind weniger krisenanfällig. Industriezweige wie das Baugewerbe, die verarbeitende Industrie oder auch die Finanzwirtschaft dagegen waren schon immer zyklusabhängig und leiden deshalb unter jeder Konjunkturabschwächung.

"Aus einem Stahlarbeiter wird kein Mitarbeiter im Callcenter"

"Frauen sind außerdem flexibler, was Ort und Art des Jobs angeht, sie orientieren sich schneller um", sagt DGB-Sprecherin Falk. "Wenn eine Frau erkennt: 'Hier habe ich keine Chance', dann versucht sie es woanders, das haben wir in den vergangenen Jahren in Ostdeutschland erlebt."

Tatsächlich sind dort die jungen Frauen in die westdeutschen Bundesländer oder gar ins Ausland abgewandert - immer den Arbeitsmöglichkeiten hinterher. "Frauen haben in einer Gesellschaft, in der Dienstleistungen immer wichtiger werden, schlicht die besseren Jobs", sagt Hans Bertram, Soziologe der Berliner Humboldt-Universität.

Dass die Krise vor allem männliche Berufstätige trifft, überrascht den Soziologen deshalb nicht. "Das war historisch gesehen schon immer so, etwa beim Untergang der Stahl- und Kohleindustrie im Ruhrgebiet." Arbeitslosigkeit sei schon immer ein Teil des Lebensschicksals von Industriearbeitern gewesen, gehöre quasi zum Rhythmus der Industriegesellschaft: "So lange jemand jung und kräftig ist, kann er als Bauarbeiter gut verdienen. Aber wenn mit 35 Jahren die Knochen nicht mehr mitmachen, dann gibt es nur wenige Möglichkeiten."

Denn dass etwa ehemalige Opel-Arbeiter reihenweise auf Dienstleistungsberufe umschulen, hält Bertram für unwahrscheinlich. "Aus einem Stahlarbeiter wird kein Mitarbeiter im Callcenter mehr." Dienstleistungsberufe setzten zumeist eine hohe Qualifikation voraus - die man nicht mal eben antrainieren könne. "Der Wandel kommt nur mit den Generationen: Junge Männer entscheiden sich inzwischen vielleicht häufiger, nicht mehr Kfz-Mechaniker oder Bauarbeiter, sondern lieber Krankenpfleger zu werden."

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