Kehrtwende von Argentiniens Präsident Macri räumt in drei Minuten mit vier Jahren auf

Argentiniens marktliberaler Präsident Macri gerät nach einer historischen Vorwahlschlappe in Panik - und überschüttet das Volk mit Geld. Die Wende dürfte zu spät kommen, die Peronisten greifen nach der Macht.
"Uns allen ans Portemonnaie gegangen": Präsident Mauricio Macri

"Uns allen ans Portemonnaie gegangen": Präsident Mauricio Macri

Foto: MARCOS BRINDICCI/ REUTERS

Als sich Mauricio Macri aus der Schockstarre gelöst hatte, handelte er wieder wie ein Staatschef. Drei Tage nach der verheerenden Niederlage bei den Vorwahlen um das Präsidentenamt entschuldigte sich Macri zunächst bei der eigenen Bevölkerung.

"Ich habe euch gehört", sagte er am Mittwoch in einer Videobotschaft. "Ich habe gehört, was Ihr mir am Sonntag sagen wolltet", betonte der Präsident. Dann kündigte er "Erleichterungen für 17 Millionen Arbeiter und ihre Familien und die kleinen und mittleren Unternehmen" an.

Dann versprach er Steuererleichterungen, gestreckte Unternehmensabgaben, Boni für Beschäftigte im öffentlichen Dienst und einen höheren Mindestlohn. Zudem soll der Benzinpreis für 90 Tage eingefroren werden. Für all diese Versprechen brauchte Macri gerade mal zwei Minuten.

Am Donnerstagabend legte er nach. Dieses Mal dauerte die Videobotschaft lediglich eine gute Minute, der Inhalt war nicht weniger umwälzend. Der Staatschef kündigte an, die Mehrwertsteuer von 21 Prozent auf Grundnahrungsmittel zu streichen. Betroffen wären unter anderem Brot, Milch, Zucker und Nudeln. So will Macri die Auswirkungen der tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise in seinem Land lindern, die ihm die Bevölkerung am Sonntag quittierte.

In der Vorwahl bestätigten die Wähler eigentlich nur, wer beim eigentlich entscheidenden Urnengang am 27. Oktober antreten darf. Vor allem sind sie ein perfektes Stimmungsbarometer für die Abstimmung, bei der sich der konservative Amtsinhaber Macri wiederwählen lassen will. Seine schärfsten Herausforderer sind die linken Peronisten mit Ex-Staatschefin Cristina Fernández de Kirchner als Vizepräsidentschaftskandidatin und ihrem früheren Kabinettschef Alberto Fernández.

Schockstarre und Beschimpfungen

Wäre es am Sonntag wirklich um den Job in der "Casa Rosada" gegangen, hätten Kirchner und Fernández Macri bereits im Präsidentenpalast abgelöst. Das Duo setzte sich bei der Abstimmung mit einem nahezu erdrutschartigen Sieg von 47,7 Prozent zu 32,1 Prozent durch. Keiner der Meinungsforscher hatte das vorhergesagt, diese prognostizierten bestenfalls einen minimalen Vorsprung für die Peronisten.

Umso größer war die Schockstarre, die Macri und seine konservative Regierung übermannte. In einer ersten Reaktion beschimpfte der Präsident sein Volk. "Mir tut es in der Seele weh, dass so viele Argentinier zurück in die Vergangenheit wollen". Keine Spur von Selbstkritik, kein Glückwunsch an die Sieger, kein Versprechen auf Veränderungen bis zum Wahltag am 27. Oktober.

Die Versprechen kamen dann geballt am Mittwoch und Donnerstag. In nur drei Minuten räumte der Staatschef mit fast vier Jahren seiner eigenen Wirtschaftspolitik auf. Im Moment der Panik griff Macri ausgerechnet zu jener Art von Politik, die er immer für die tiefe Wirtschafts- und Finanzkrise in seinem Land verantwortlich gemacht hat. Man merkte, wie viel Überwindung es den Marktliberalen Macri gekostet haben muss, auf diese ihm verhassten dirigistischen Maßnahmen zurückzugreifen. Cristina Fernández wird gelacht haben.

Die dramatische Volte in der Wirtschaftspolitik kommt auch vor dem Hintergrund einer Horrorwoche an den Finanzmärkten. Einen Tag nach der Vorwahl fiel das Börsenbarometer Merval der drittgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas um 37 Prozent. Das ist der zweithöchste Tagesverlust weltweit seit 1950. Der Peso büßte zeitweise um 30 Prozent ein, bis die Zentralbank intervenierte und die Zinsen auf 74 Prozent erhöhte. Dennoch verlor die Währung am Montag 15 Prozent.

Zum Wochenausklang stabilisierten sich die Märkte ein wenig, aber die Nervosität bleibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die marktfeindlichen Peronisten im Dezember wieder an die Macht kommen, ist trotz Macris Kehrtwende in dieser Woche hoch. Der Politologe und Meinungsforscher Sergio Berensztein geht davon aus, dass ein solch großer Vorsprung kaum aufzuholen ist. "So wie die Dinge liegen und die gegenwärtigen Tendenzen sind, ist es wenig wahrscheinlich, dass sich das Ergebnis noch umdrehen lässt."

Zentrale Versprechen gebrochen

Macri übernahm 2015 ein Land, das abgewirtschaftet war. Ein Argentinien, in dem Preise künstlich niedrig gehalten wurden, ein Land, das über seine Verhältnisse lebte, das unter niedrigen Weltmarktpreisen für seine Rohstoffe litt und in dem die Korruption blühte. Die Argentinier hatten nach zwölf Jahren der Regentschaft des Ehepaares Néstor Kirchner (2003 bis 2007) und seiner Frau Cristina (2007 bis 2015) die Nase von den Peronisten voll.

Aber sie kamen vom Regen in die Traufe. Macri trat sein Amt mit zwei zentralen Versprechen an: die Kontrolle der Inflation und die Reduzierung der Armut. Keines von beiden hat er einlösen können. Die Preisspirale drehte sich unter ihm sogar schneller. Vierzig Prozent Inflation waren es 2016, fast 25 Prozent 2017, knapp 48 Prozent 2018, und dieses Jahr schon 22 Prozent im ersten Halbjahr. Die Armutsquote, die unter den Kirchners bei knapp 30 Prozent lag, steht heute nach Angaben des staatlichen Statistikinstituts Indec bei 32 Prozent. Laut Katholischer Universität UCA ist die Hälfte der Kinder des Landes arm. Jedes zehnte Kind leidet Hunger.

Demonstration in Buenos Aires gegen Macris Politik zu Beginn des Jahres

Demonstration in Buenos Aires gegen Macris Politik zu Beginn des Jahres

Foto: RONALDO SCHEMIDT/ AFP

Auch die Wirtschaft ist unter Macri geschrumpft. Langsam nähert sich Argentinien venezolanischen Verhältnissen an. "Eine Regierung, die in fast allem versagt hat, vertraute darauf, dass Millionen Argentinier für sie stimmen, nur weil sie die Vorgängerregierung vermutlich noch mehr ablehnen", spottete der Schriftsteller Martín Caparrós nach der Vorwahl.

Macri schaffte es zu keiner Zeit, den südamerikanischen Staat krisenfest zu machen. Zwar strich er Subventionen, öffnete das Land für Importe und Investoren, aber diese kamen kaum. Niedrige Weltmarktpreise und Dürre taten ihr Übriges. Die Regierung nahm sogar beim Internationalen Währungsfonds einen 57-Milliarden-Kredit auf. Es half alles nichts.

Ob die nun verkündeten Maßnahmen die Wende bringen, ist fraglich. Die Menschen haben die Nase voll von der konservativen Regierung. "Macri ist uns allen ans Portemonnaie gegangen", sagt ein verärgerter Argentinier. "Das Geld reicht hinten und vorne nicht." Die Menschen können ihre Miete nicht mehr bezahlen, sich das geliebte Fleisch nicht mehr leisten und kehren zum Tauschhandel zurück : "Macri macht Politik für die großen Unternehmen", ärgert sich eine Hausfrau. Aber die kleinen Firmen, die Geschäfte und die Menschen litten. "Ich bete, dass im Oktober Macri verliert".

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