SAUDI-ARABIEN Armes Land
Alle zwei Monate besteigt der Industrielle Willy Korf in Baden-Baden seinen firmeneigenen Mystere-20-Jet, um via Rhodos, wo aufgetankt wird, nach Saudi-Arabien zu fliegen. Der Stahlproduzent aus Baden-Baden muß dann wieder mal mit seinen hochkarätigen arabischen Kunden über ein Milliarden-Geschäft sprechen.
Die Korf-Stahl AG baut gemeinsam mit der staatlichen Saudi Basic Industries Corporation (Sabic) in Dschubail am Golf ein integriertes Stahlwerk, das 850 000 Tonnen Stahlerzeugnisse im Jahr herstellen soll. Korf hat an der neu gegründeten saudischen Stahlgesellschaft Saudi Iron and Steel Company einen Kapitalanteil von zehn Prozent.
Die Investitionskosten für das Großprojekt: mindestens 630 Millionen Dollar, über eine Milliarde Mark.
Um Aufträge gleichen Kalibers dürften sich bald viele westdeutsche Konzernchefs in Saudi-Arabien mühen. Wenige Wochen bevor Saudi-König Chalid sich zu einem Staatsbesuch nach Bundes-Deutschland aufmachte, hieß er einen gigantischen Entwicklungsplan gut, der westlichen Industrie-Unternehmen einen schönen Auftragsboom bescheren könnte.
Vor allem aber dürfte der Plan helfen, die durch die Öl-Verteuerung auf den Saudi-Konten angesammelten West-Milliarden wenigstens teilweise in die Industriestaaten zurückzuschleusen.
Hatten die saudiarabischen Entwicklungsstrategen in den letzten fünf Jahren bereits 180 Milliarden Dollar für Häfen und Airports, für Straßen, Elektrifizierung und Meerwasser-Entsalzungsanlagen ausgegeben, so werden sie nun bis 1985 die Rekordsumme von rund 300 Milliarden Dollar in die Industrialisierung stecken.
Anders als in den vergangenen Jahren wollen Riads Wirtschaftsplaner fortan weniger den Ausbau von Versorgungseinrichtungen und Straßen vorantreiben. Vielmehr wollen sie einen industriellen Produktionsapparat aufbauen, der später einmal die Einnahmen aus dem Ölgeschäft ersetzen kann.
»Der neue Plan«, erläutert Planungsminister Scheich Hischam Nasir, »ist das erste wirtschaftliche Entwicklungsprogramm, mit dem versucht wird, die Wirtschaftsstruktur dieses Landes so zu verändern, daß wir eine Produktionsbasis bekommen.«
Die beschleunigte Industrialisierung kommt durchaus überraschend. Denn nachdem am 20. November letzten Jahres fanatisierte Moslems die Große Moschee in Mekka besetzt hatten, waren unter den Herrschern des Öl-Imperiums die Zweifel an einer flotten Modernisierungs- und Industrialisierungspolitik gewachsen.
Hatte Saudi-Arabien, lautete die bange Frage im herrschenden Familien- und dem sie umgebenden Technokraten-Clan, die wirtschaftliche Entwicklung allzu rasch nach westlichem Vorbild vorangetrieben, die Rebellion islamischer Traditionalisten auf diese Weise provoziert?
Fortan jedenfalls, da waren Landeskenner ziemlich sicher, würden die Staats- und Wirtschaftslenker des größten Ölexportlandes der Welt das Entwicklungstempo deutlich verringern.
Nur rund sechs Monate nach dem Mekka-Überfall haben die Saudis sich anders entschieden. In fünf Jahren, wenn der Plan erfüllt ist, soll es in Saudi-Arabien zwei riesige Industriezentren für Petrochemie und Stahlerzeugung geben: das eine in Janbu am Roten Meer, das andere in Dschubail am Golf. Drei Produktionszonen für Leichtindustrie sollen bis 1985 in Tebuk, Medina und Chamis Mischet im westlichen Teil des Landes entstehen.
Mit Milliarden für die Landwirtschaft wollen die Saudis zugleich eine S.142 Entwicklung verhindern, die auf der anderen Seite des Golfs zum Sturz des Schah von Persien beigetragen hatte. Im Iran waren die Ölgelder vorzugsweise in teure und prestigeträchtige Industrieprojekte gesteckt worden, die vor allem dem Geltungsbedürfnis des Schah dienten. Am Los der armen Landbewohner hingegen änderte der neue Reichtum kaum etwas.
Ob es den Saudis gelingen wird, die Fehler der eigenen Vergangenheit künftig zu vermeiden, steht allerdings dahin. Eine prächtig gedeihende Korruption, die Selbstherrlichkeit der Herrschenden und wüste Finanzskandale haben die Dynastie in Verruf gebracht.
Insider behaupten, in der Vergangenheit seien von jedem Petrodollar, der für die Entwicklung des Landes vorgesehen war, 60 Cent auf dubiose Weise verschwendet worden. Die Preise für Immobilien explodierten, die Inflation fiel in den Galopp.
Trotz der Rekordeinnahmen aus dem Ölexport -- allein in diesem Jahr schätzungsweise 100 Milliarden Dollar -- sind die Zustände in weiten Teilen der arabischen Halbinsel noch mittelalterlich. Vize-Planungsminister Feisal el-Baschir: »Die Leute machen sich nicht klar, daß wir, gemessen an unserem Entwicklungsstand, ein armes Land sind. Wir haben bei Null angefangen.«
Sieben Jahre nach der ersten Ölpreisexplosion ist die Petroleumausfuhr noch immer nahezu die einzige Wohlstandsquelle der Saudis. Doch die Ölwirtschaft gibt nur rund 22 400 Arbeitern einen Job -- das sind weniger als zwei Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung.
Schon heute ist abzusehen, daß bald Hunderttausende von Saudis einen Arbeitsplatz suchen werden. Über die Hälfte der saudischen Bevölkerung -etwa fünf Millionen -- sind Kinder und Jugendliche. Rund 1,5 Millionen Saudis besuchen derzeit noch die Schule, 50 000 Studenten studieren an sechs Universitäten, 15 000 sind an ausländischen Hochschulen eingeschrieben.
Die saudiarabischen Planer wollen daher neben einer vor allem kapitalintensiven und exportorientierten Großindustrie kleine und mittlere Fabriken hochziehen, die viele Arbeitskräfte beschäftigen können.
Mit üppigen Subventionen ermuntert die Regierung einheimische Privatunternehmer, in den vom Staat gebauten Industrieparks außerhalb der städtischen Ballungszentren zu investieren, um beispielsweise Kabel zu produzieren, Nahrungsmittel zu verarbeiten oder Maschinenteile zu fertigen.
Beim Aufbau der Großindustrie, in der vorzugsweise das eigene Öl verarbeitet werden soll, setzen die Administratoren aus Riad gern auf die Kooperation mit jenen Multis, mit denen sie auch beim Ölgeschäft so vorzüglich harmonieren.
Es lohnt sich. Für eine partnerschaftliche Beteiligung zusammen mit der staatlichen Saudi Basic Industries Corporation (Sabic) an Petrochemie-Projekten bieten die Saudis feste Öllieferverträge -- sogenanntes »incentive oil«, Anreizöl.
Vorgesehen sind petrochemische Komplexe der Sabic mit der amerikanischen Shell Oil, mit Mobil Oil und Exxon, aber auch mit Firmen wie Dow Chemical, Texas Eastern/Celanese Corporation und Japans Mitsubishi Gas.
Spätestens Ende dieses Jahrzehnts wollen die Saudis auf dem Weltmarkt der Chemie mitmischen. Mitte des Jahrzehnts soll das Königreich nach den Rechnungen der Planer 8,5 Prozent des Weltbedarfs an Methanol decken. Bei Äthylenglykol, das beispielsweise als Frostschutzmittel genutzt wird, sollen die Chemie-Plantagen in der arabischen Wüste 7,2 Prozent des Weltbedarfs liefern.
Der europäischen und japanischen Konkurrenz haben die Saudis den Wettbewerbsvorteil des billigen Gases von den Ölfeldern und die Liefersicherheit aus den landeseigenen Ölquellen voraus.
Zunächst einmal geht es für die Deutschen jedoch darum, beim Aufbau der Saudi-Kombinate ordentlich liefern zu können. Beim Chalid-Besuch in Bonn hielt Riads Wirtschaftsminister Aba el-Cheil seinem Gesprächspartner, dem Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, vor, die deutschen Firmen hätten bei Auftragsvergaben immer häufiger das Nachsehen gegenüber den Japanern; die Ostasiaten, so der Minister aus dem Morgenland, seien zumeist erheblich preisgünstiger.
Die Empfehlung des Saudi: Die Deutschen sollten in Zukunft billiger anbieten und vor allem »aggressiver« um die Aufträge kämpfen.