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ELEKTROINDUSTRIE Art von Geldschneiderei

Die Elektroindustrie macht sich auf em Milliardengeschäft gefaßt: Neue Stecker und Steckdosen sollen weltweit die bisherigen Systeme ablösen.
aus DER SPIEGEL 29/1976

Die Atmosphäre war herzlich, das Wetter herrlich und die Aussicht überaus eindrucksvoll, als sich die 1200 Delegierten der Internationalen Elektrotechnischen Kommission (IEC) zum frühsommerlichen Meinungsaustausch an der Côte d'Azur trafen.

Rund 400 IEC-Mitglieder hatten auch ihre Damen nach Nizza mitgebracht. Denn es galt, Großes zu beschließen. Nicht länger nämlich will die von Managern und Technikern der Elektroindustrie beherrschte IEC es hinnehmen, daß ein Schweizer Fön sich nicht mit einer rotchinesischen Steckdose vereinen kann.

Der Völkerverständigung und der eigenen Auftragslage zuliebe einigten sich die Versammelten von Nizza darauf, endlich mit der Vielfalt der elektrischen Steckverbindungen aufzuräumen: Das von deutschen Technikern entwickelte IEC-Steckvorrichtungssystem, im Branchenjargon auch wwp (world wide plug) oder Inter-Stecker genannt, soll die verschiedenen Systeme ablösen.

Die Europäische Gemeinschaft, genauer Artikel 100 der Römischen Verträge, gab den entscheidenden Anstoß zur weltweiten Initiative. Denn dem offiziellen Ziel, einen einheitlichen Binnenmarkt zu schaffen, stand aus der Sicht der Industriellen und europäischen Beamten das »Handelshemmnis Stecker« entgegen.

Zwar mißlang den Gemeinschaftstechnikern und -politikern beispielsweise die Einigung auf ein einheitliches Farbfernseh-System. Auch mochten sie sich nicht auf eine schadenmindernde Einheitshöhe für Autostoßstangen festlegen. Doch beim Stecker stellte sich internationale Solidarität ein.

Denn dabei kommt keiner zu kurz: Die Elektro-Fabrikanten aller Länder haben bei Einführung des Inter-Steckers die Chance, einige Jahre krisensicher zu produzieren und zu profitieren.

Wesentliche Vorteile gegenüber dem erst 1953 mit Milliarden-Aufwand in der Bundesrepublik eingeführten Schuko-System (Schuko für Schutzkontakt) sind kaum auszumachen. Während der Schuko-Stecker den Strom über zwei runde Pole leitet und den aus Sicherheitsgründen gebotenen Erdungskontakt über seitlich eingelassene Metallfedern herstellt, hat der Inter-Stecker drei flache Kontaktstäbe.

Entsprechend schwer tun sich die Techniker, wenn sie die Vorzüge des teuren Systems zu erläutern haben. Mühsam klauben sie kleine Bequemlichkeiten zusammen, etwa Erleichterungen bei Umzügen oder Auslandsreisen. Selbst der Geschäftsführer des Zentralverbandes der Elektrotechnischen Industrie (ZVEI) Rudolf Winckler gibt zögernd zu: »Im technischen Sinne eine Verbesserung, aber keine Revolution.«

Um so erregter reagierte die Branche, als Karl Schwarz, Sonderreferent der Deutschen Elektrotechnischen Kommission, öffentlich vorrechnete, allein die Umstellung der etwa 1,6 Milliarden Steckdosen und 2,6 Milliarden Stecker in den neun EG-Ländern werde 60 bis 80 Milliarden Mark kosten.

Der Verband Deutscher Elektrotechniker (VDE) rechnete nach. Und kam zu dem passenden Ergebnis: »Durch die geplante langsame Einführung des neuen Systems ist nicht mit Mehrkosten für den Verbraucher zu rechnen.«

Diese Rechnung dürfte kaum aufgehen. Allein schon das Geschäft mit den Zwischensteckern, die zumindest in einer Übergangsphase zwischen altem und neuem System eingefügt werden müssen, verspricht den Herstellern beste Einnahmen. Die Verbraucher müssen die sogenannten Adapter erstehen, um etwa mit einem alten Schuko-Stecker aus einer neuen Inter-Steckdose Strom zapfen zu können. Ein anderer Adapter ist fällig, soll ein Inter-Stecker in eine alte Schuko-Steckdose gepfriemelt werden.

Die Zwischenstecker aber, wissen auch IlEC-Funktionäre, werden schon aus Kostengründen -- das Ersetzen einer Schuko-Steckdose durch das neue System dürfte im Schnitt 20 Mark kosten -- für etliche Jahre ein teures Provisorium bleiben. Folge: Die Sicherheitsfortschritte des Inter-Steckers werden kleiner ausfallen als versprochen.

Beizeiten auch sorgten sich die Techniker darum, daß auch für das Adapter-Geschäft genügend Aufträge eingehen. »Nach einer gewissen Zeit«, meint Winckler. werden alte Stecker nicht mehr das Prüfzeichen des Vereins Deutscher Elektrotechniker erhalten und damit praktisch aus dem Verkehr gezogen.

Dieses Verfahren hat sich für die Branche schon in der Vergangenheit bewährt: Vor 17 Jahren wurden die Doppel- oder Mehrfach-Stecker auf Betreiben der Elektrobranche durch ein teures neues System ersetzt. Seither können die ebenso preiswerten wie praktischen Doppelstecker nur unter dem Ladentisch gehandelt werden.

»Eine gewisse Ausweitung des Marktes ist nicht zu leugnen«, umschreibt Winckler das Zukunftsgeschäft der Stecker-Hersteller und Elektrohändler. Die allerdings legen Wert auf Diskretion. »Das ist Zukunftsmusik, man sollte nicht soviel Wind darum machen«. mahnt Emil Winter vom namhaften Stecker-Hersteller Paul Hochköpper & Co. in Lüdenscheid.

Vorsorglich bedienen die IEC-Funktionäre jene Kritiker, die den technischen Fortschritt des neuen Systems angesichts des Milliardenaufwands für überaus bescheiden halten, mit hehren Argumenten. Ihr Inter-Stecker, versichern sie treuherzig, sei ein »Mittel der Integration«, und die lassen sich die Europäer allemal etwas kosten.

»Es wird gewisse Unbequemlichkeiten geben, aber es gibt nun mal keinen anderen Weg zum Gemeinsamen Markt«, schwärmt Industrie-Funktionär Winckler.

Der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher vermutet hinter den IEC-Plänen weniger uneigennützige Ziele. Ihn erinnert »das Ganze an eine Art Geldschneiderei«.

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