Europa Dutzende Atomkraftwerke laufen offenbar ohne ausreichende Genehmigung

Das belgische Atomkraftwerk Doel: Der EuGH befand die Laufzeitverlängerung für rechtswidrig
Foto: Oliver Berg/ DPAMindestens 18 Atomkraftwerke in der Europäischen Union (EU) werden nach SPIEGEL-Informationen offenbar ohne die notwendigen Genehmigungen betrieben. Sie könnten womöglich durch Klagen von Anwohnern, Nichtregierungsorganisationen oder Nachbarstaaten stillgelegt werden. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der Atomexpertin und Grünen-Bundestagsabgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, die dem SPIEGEL vorliegt.
Vor wenigen Wochen hatte der Europäische Gerichtshof die Laufzeitverlängerung von zwei belgischen Atomreaktoren für rechtswidrig erklärt. Die Zulassungsbehörde hatte es versäumt, bei einer genehmigten Laufzeitverlängerung eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) vorzunehmen. Nach Recherchen der Grünen trifft das jedoch nicht nur für die belgischen Meiler zu. Mindestens 18 Reaktoren in der EU und mehr als ein Dutzend weitere Meiler in europäischen Nachbarstaaten wie der Ukraine dürften demnach ohne gültige Genehmigung laufen. Auch bei ihnen fand keine grenzüberschreitende UVP statt.
Viele der Atomkraftwerke stehen in der Kritik, weil sie das von den Herstellern meist empfohlene Betriebsalter von 40 Jahren überschritten haben oder kurz davor stehen. Auch nach Ansicht der auf Atomrecht spezialisierten Anwältin Dörte Fouquet, die mit der Kanzlei Becker Büttner Held solche Verfahren führt, müssten die ohne UVP genehmigten Meiler bei Klagen und Beschwerden stillgelegt werden. Zumindest müssten die Genehmigungen nachgeholt werden.
Die Bundesregierung teilte auf Anfrage der Grünen mit, dass man keine genaue Kenntnis darüber habe, "welche europäischen Anlagen derzeit ohne (grenzüberschreitende) UVP betrieben würden". Bei dem für diese Untersuchungen zuständigen Uno-Komitee befänden sich sechs Verfahren mit insgesamt 23 Atomreaktoren in der Prüfung, die ohne UVP in Europa zugelassen worden sein sollen, so die Antwort. Die Grüne Kotting-Uhl fordert von der Bundesregierung, auf ein "Ende des rechtswidrigen AKW-Betriebs" zu drängen.