»Auch mal Dankeschön sagen«
SPIEGEL: Herr Middelhoff, vor knapp drei Jahren schlugen Sie in einem SPIEGEL-Gespräch Alarm, dass der Patient KarstadtQuelle - vom Exitus bedroht - auf der Intensivstation liege. Wie geht es dem Unternehmen heute?
Middelhoff: Die Offenheit war ich Mitarbeitern, Lieferanten und Aktionären schuldig. Der Patient hat das Krankenhaus längst verlassen und begonnen, für die Qualifikation zur Champions League zu trainieren.
SPIEGEL: Als Vorstandschef kommen Sie uns weniger wie ein Therapeut vor denn als eine Art Doktor Frankenstein. Sie schnitten Glieder weg und schraubten neue an. Ihr Unternehmen hat einen Umbau hinter sich wie kaum ein anderes in Deutschland.
Middelhoff: Ich sehe mich schon eher als Notfallmediziner. Um überhaupt das Überleben zu sichern, mussten zunächst alle Geschwüre und Missbildungen weggeschnitten werden. Davon gab es viele. Danach wurden die unterentwickelten Muskeln trainiert und in Form gebracht. Das galt für alle Teile des Konzerns, also die Sparten Warenhaus, Versandhandel wie auch Tourismus.
SPIEGEL: Allein seit Anfang dieses Jahres hat sich das Unternehmen dramatisch verwandelt: Sie übernahmen die Regie bei dem Reiseveranstalter Thomas Cook samt Fluglinie Condor. Das Ganze verschmelzen Sie nun mit der britischen MyTravel. Sie kauften den TV-Kanal Home Shopping Europe, verkündeten, dass Neckermann als Online-Versandhändler 2008 an die Börse gebracht werden soll ...
Middelhoff: ... oder von einem Investor übernommen wird ...
SPIEGEL: ... und obendrein gaben Sie dem Gesamtkonzern auch noch den neuen Kunstnamen Arcandor. Nicht nur wir verlieren langsam den Überblick.
Middelhoff: Wir haben eine klare Strategie und sind in der planmäßigen Umsetzung. Um im Bild zu bleiben: Mit den von Ihnen skizzierten Maßnahmen haben wir nur die erste Hälfte des Trainingslagers hinter uns. In der zweiten wollen wir uns vor allem im Ausland verstärken. Die Champions League, auf die wir uns dann vorbereiten, wird nun einmal international gespielt.
SPIEGEL: Sie sind ein begnadeter Verkäufer. Aber im ersten Quartal waren all Ihre Bereiche im Minus.
Middelhoff: Wir betreiben in allen drei Konzernbereichen ein stark saisonales Geschäft und machen unseren Gewinn vor allem im vierten Quartal. Tatsächlich lagen wir im ersten besser als Plan. Im Übrigen hatten wir gerade die höchste Mehrwertsteuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik. Wenn ich mir unsere Konkurrenten anschaue, stehen wir einfach besser da.
SPIEGEL: Weil Sie Ihren Konzern dauernd umbauen, durchschaut niemand mehr Ihre Bilanzen. Selbst Analysten sagen: Man glaubt Ihnen oder eben nicht!
Middelhoff: Ich verstehe das Problem. Aber bis heute haben wir alle unsere Zusagen eingelöst - mit einer Ausnahme: Die Sanierung des Universalversandes Quelle braucht eineinhalb Jahre länger, als wir dachten. Nur: Was wäre die Alternative? Sollen wir die Sanierung stoppen, damit
die Zahlen besser mit dem Vorjahr verglichen werden können?
SPIEGEL: Nein, aber Sie agieren quasi in selbstentfachten Schlachtennebeln.
Middelhoff: Das wird auch noch bis Ende 2008 so bleiben.
SPIEGEL: Dann endet Ihr Vertrag, den Sie auch nicht verlängern wollen. Man wird Ihre Arbeit also erst beurteilen können, wenn Sie den Konzern verlassen haben.
Middelhoff: Dann jedenfalls wird der Umbau beendet sein. Ich werde erst gehen, wenn Arcandor topfit in der Champions League spielt. Schon jetzt hat das Unternehmen eine breite internationale Investorenbasis. Und ein Teil des Konzerns, die Thomas Cook Group PLC, wird ab 19. Juni an der Londoner Börse gelistet sein.
SPIEGEL: Arcandor wird ein Touristikkonzern, der noch ein paar Kaufhäuser mit sich rumschleppt?
Middelhoff: Auf keinen Fall - sondern ein internationales Unternehmen, das auf den drei Säulen Tourismus, Warenhäuser und Versand etwa 22 Milliarden Euro Umsatz und mehr als 1,3 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern erwirtschaften wird. Schon im laufenden Geschäftsjahr werden zusätzliche außerordentliche Erträge von mehr als 1,6 Milliarden Euro ausgewiesen.
SPIEGEL: Aber mehr als die Hälfte Ihres Konzerumsatzes stammt mittlerweile aus dem krisenanfälligen Tourismusgeschäft.
Middelhoff: Wieso krisenanfällig? Diese Anfälligkeit möchte ich bezweifeln. Der schreckliche Tsunami war - buchungsmäßig, nicht was die menschliche Anteilnahme anging - nach wenigen Wochen schon wieder vergessen. Und selbst die Terroranschläge von 9/11 wirkten sich für die Tourismusbranche fast nur in zwei Ländern aus: den USA und Deutschland.
SPIEGEL: Marktführer TUI kriselt.
Middelhoff: Wir haben großen Respekt vor der TUI. Und es gibt viele positive Branchenbeispiele - von Ryanair bis Expedia. Die TUI bietet alles aus einer Hand, wir dagegen schnüren Pakete aus den Angeboten Dritter. Wenn alles gut läuft, sind die Gewinne der TUI höher, unsere dafür sind konstanter. Wir haben jetzt die richtige Strategie, das richtige Team - und mit Condor, Thomas Cook und MyTravel die richtigen Bausteine. Tourismus wird ein globaler Megatrend bleiben und ist wertvoll: Unser Anteil an der Thomas Cook Group hat schon jetzt einen rechnerischen Wert von 2,6 Milliarden Euro.
SPIEGEL: Ihr Warenhausgeschäft bietet weniger Gesprächsstoff, ist aber auch ein Geschäft von gestern.
Middelhoff: Das sehen wir natürlich anders, denn unsere Häuser entwickeln sich seit fünf Quartalen besser als die Branche.
SPIEGEL: Aber das wesentliche Wachstum verdanken Sie Top-Häusern wie dem KaDeWe in Berlin oder dem Alsterhaus in Hamburg, die schon für viele Millionen Euro renoviert wurden.
Middelhoff: Das ist doch eine positive Entwicklung. Auf die anderen Objekte, bei denen diese Renovierung noch ansteht, wird der Erfolg abstrahlen.
SPIEGEL: 74 Kaufhäuser haben Sie schon verkauft. Sie könnten auch auf die Idee kommen, das ganze Geschäft abzugeben - Tradition hin oder her.
Middelhoff: Nein, dazu sind die Wachstumschancen auf europäischer Ebene heute viel zu interessant. Thomas Cook und der Versandhandel sind schon jetzt international aufgestellt. Auch Quelle ist ja in vielen Ländern bereits Marktführer. Wir werden global. Und das Warenhausgeschäft ist auf dem Weg in diese Internationalität. Gerade da wollen wir wachsen.
SPIEGEL: Heißt das, dass Sie mit der Marke Karstadt in andere Länder möchten - oder lieber durch Zukäufe expandieren?
Middelhoff: Wir denken eher an Letzteres. Also auch an Fusionen. Die Märkte werden auch im Warenhausbereich konsolidiert. Und es kann da immer mal zu Überraschungen kommen. Das haben Sie selbst uns ja schon zugestanden - zumal auch Karstadt heute ein ganz anderes Unternehmen ist mit viel freundlicherem Personal als früher.
SPIEGEL: Das kann sich ändern, wenn Ihre Belegschaft in der anstehenden Tarifrunde zu kurz kommt. Immerhin musste sie harte Einschnitte hinnehmen seit der Krise.
Middelhoff: Deshalb überlegen wir, eine Gewinnbeteiligung einzuführen. Auf Basis von Wertkonten könnte man das steuerlich attraktiv gestalten. Wir wollen auch mal Dankeschön sagen für die Anstrengungen, zu denen viele bereit waren und ohne die der Konzern nicht überlebt hätte. Ende des Jahres läuft unser Sanierungstarifvertrag ab. Unterm Strich könnte die Gewinnbeteiligung für viele unserer Mitarbeiter 2008 ein bis eineinhalb zusätzliche Monatsgehälter bedeuten.
SPIEGEL: Gibt es eigentlich noch Kaufhäuser, von denen Sie sich trennen möchten?
Middelhoff: Gemeinsam mit dem Betriebsrat haben wir 27 Objekte identifiziert. Für jedes wurde ein Maßnahmenkatalog geschneidert. Häuser, die unsere Ziele erreichen, werden wir behalten. Die anderen werden wir abgeben. Die Bewährungsfristen laufen bis Ende des Jahres.
SPIEGEL: Ihre Strategien sind kein Hexenwerk. Warum haben eigentlich nicht schon Ihre Vorgänger vieles von dem gemacht, was Sie nun anpacken?
Middelhoff: Die Strukturen hier im Haus waren einfach viel zu komplex. Da gab es viel zu viele Gremien und Komitees, als dass noch schnelle Entscheidungen hätten getroffen werden können.
SPIEGEL: Sie haben kürzlich auch eine Einigung mit der Conference on Jewish Material Claims against Germany (JCC) erreicht über die Verwertung der früheren Wertheim-Immobilien in Berlin. KarstadtQuelle zahlt an die Erben 88 Millionen Euro. War das den jahrelangen Streit wert?
Middelhoff: Eine schwierige Frage. Als der Konzern wirklich am Abgrund stand vor rund drei Jahren, gab es gerade wieder ein Urteil - gegen uns. Damals wurde ich von unseren Anwälten gefragt, ob wir den Bör-
senprospekt zur Kapitalerhöhung überhaupt noch rausgeben sollen. Die Alternative wäre damals der Gang zum Insolvenzrichter gewesen. Wir entschieden dann, dass wir das Risiko der Prozesse eingehen müssen. Wir hatten wirtschaftlich gar keinen Handlungsspielraum.
SPIEGEL: Das klingt, als seien Sie mittlerweile milder, weil Ihr Konzern sich den Vergleich wieder leisten kann.
Middelhoff: Nein, nach Abwägung weiterer Prozessrisiken war ich einfach sicher, dass die jetzige Einigung der richtige Weg war - für beide Seiten. Und es war ja auch eine hochkomplizierte Gemengelage, in der es galt, auch unserer historischen Verantwortung gegenüber den Wertheim-Erben gerecht zu werden.
SPIEGEL: Welche Rolle spielte bei der Einigung Ex-Kanzler Helmut Kohl?
Middelhoff: Er war der Meinung, dass er beide Parteien an einen Tisch bringen könnte. Deshalb rief er mich an. Und er hat dann vermittelt, als auch die JCC mit neuen Juristen kam, die sehr der Sache verpflichtet waren. Ich bin froh, dass wir es jetzt zu einem guten Ende gebracht haben.
SPIEGEL: Sie haben in Madeleine Schickedanz eine mächtige Mehrheitsaktionärin. Sind Sie eher ihr Vollstrecker oder ihr Visionär? Anders gefragt: Machen Sie, was sie sagt, oder sagen Sie ihr nur, was Sie machen?
Middelhoff: Sie ist jedenfalls ein großes Risiko eingegangen und hat dem Management ein riesiges Vertrauen entgegengebracht, als sonst kaum noch jemand auf
uns gewettet hätte. Ihr Glaube wurde am Ende auch dadurch belohnt, dass sich ihr Unternehmen vorzüglich entwickelt hat und sie ihr Kapital deutlich vergrößern konnte.
SPIEGEL: Welches Kursziel haben Sie selbst bis zu Ihrem Abgang?
Middelhoff: Wir stehen ja heute schon gut da. Aber 40 Euro plus x halte ich für durchaus möglich und erreichbar.
SPIEGEL: Welchen Auftrag haben Sie von Frau Schickedanz?
Middelhoff: Keinen, außer: Macht das Beste draus!
SPIEGEL: Auch die Konzernerbin hütet keine heiligen Kühe?
Middelhoff: Nein.
SPIEGEL: Wenn Sie zum Beispiel vorschlagen würden, den maroden Universalversand Quelle zu verkaufen ...
Middelhoff: Erstens wollen wir das nicht, denn mein Kollege Marc Sommer schafft mit seinem Team im Universalversand gerade die erfolgreiche Sanierung. Zweitens sind wir ein unabhängiges Unternehmen.
SPIEGEL: Ende 2008 wollen Sie KarstadtQuelle verlassen. Wird das Unternehmen dann noch an der Börse sein?
Middelhoff: Davon gehe ich fest aus.
SPIEGEL: Und Sie ziehen dann mit Ihrer Frau wieder nach London, wo auch Ihr früherer Arbeitgeber sitzt, der Finanzinvestor Investcorp. Im Private-Equity-Bereich verdient man deutlich mehr Geld, ohne sich ständig vor lästiger Öffentlichkeit rechtfertigen zu müssen. Oder genießen Sie die Karstadt-Show vielleicht sogar?
Middelhoff: Meine Frau sagte gerade erst, Sie hätte mich in keiner anderen Phase unseres Lebens so glücklich gesehen wie während der Investcorp-Zeit. Ich brauche das Blitzlichtgewitter nicht. Das Engagement bei KarstadtQuelle war nie meine Planung, eher eine Fügung des Schicksals.
SPIEGEL: Dass Sie das Unternehmen verändert haben, ist klar. Aber inwiefern hat KarstadtQuelle auch Sie verändert?
Middelhoff: Wissen Sie, ich habe vorher als Vorstandschef bei Bertelsmann im damaligen Zeitraum noch das ganz große Mediengeschäft erlebt samt Internet-Ära, digitaler Revolution ...
SPIEGEL: ... und geplatzten Börsenträumen.
Middelhoff: Zum Teil auch, ja. Aber auch mit der Schaffung der RTL Group, von der Bertelsmann heute stark profitiert. Danach durfte ich helfen, mit Investcorp das Thema Private Equity nach Deutschland zu bringen. Mit KarstadtQuelle habe ich quasi ein Stück alteingesessener Old Economy in einer Krise übernommen. Es war ein tolles Gefühl, gemeinsam mit den Menschen hier, mit den Kollegen, den Betriebsräten und Gewerkschaften, das Ding zu drehen ... und dabei viele tausend Jobs zu retten. Das sind drei unglaublich spannende Erfahrungen. Missen möchte ich keine davon, und Gott sei Dank gibt es hier noch viel zu tun.
SPIEGEL: Herr Middelhoff, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
* Mit den Redakteuren Klaus-Peter Kerbusk und Thomas Tuma in der Essener Konzernzentrale.